Infografik
Bremer Praxen vor dem Kollaps?
Hausärzte in Bremen und ganz Deutschland warnen vor Praxis-Schließungen. Das System werde kaputt gespart, lautet ihre Kritik. In Berlin kamen Vertreter zu Beratungen zusammen.
Seit Wochen schwelt der Konflikt zwischen niedergelassenen Ärzten und den gesetzlichen Krankenkassen. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Bremen ist unzufrieden: Sie wirft den Kassen vor, das ambulante System seit Jahren kaputt zu sparen. Um ihrem Frust Ausdruck zu verleihen, sind Hausärzte-Vertreter aus Bremen und Bremerhaven nach Berlin gereist. Ziel ist des Treffens: klare Forderungen an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Doch worum geht es bei dem Streit überhaupt?
Was fordern die niedergelassenen Ärzte in Bremen und Bremerhaven?
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert ein sofortiges Umdenken der gesetzlichen Krankenkassen und höhere Honorare angesichts der derzeitigen schwierigen, wirtschaftlichen Lage.
Christoph Fox, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen, wirft den gesetzlichen Kassen Kalkül in den Verhandlungen vor. So würden die Kassen jedes Jahr mit einer Nullrunden-Forderung in die Verhandlungen gehen. Darunter ist zu verstehen, dass die Krankenkassen seit Jahren keine Erhöhung der Honorare akzeptierten. Dies ist laut Fox nicht mehr hinzunehmen und es leugne die Realität vieler niedergelassener Ärzte, die mit stark gestiegenen Preisen zu kämpfen hätten. Aufgrund dieser vermeintlichen Taktik der gesetzlichen Kassen seien die niedergelassenen Ärzte in Bremen und Bremerhaven seit über zehn Jahren chronisch unterfinanziert, so Fox.
Falls die Kassen den Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigung nach einer deutlich höheren Vergütung nicht entgegenkommen sollten, beschwört der Verband ein düstereres Szenario für Bremen und Bremerhaven: In diesem Falle würde sich die wirtschaftliche Situation vieler Praxen so sehr weiter verschlechtern, dass Praxen schließen müssten oder nicht neu besetzt werden könnten – die flächendeckende Versorgung durch niedergelassene Ärzte könne so auf Dauer nicht mehr gewährleistet werden.
Bereits heute fehlen nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung zum Beispiel 15 Hausärzte in Bremen und neun in Bremerhaven.
So viele Hausärzte gibt es in Bremens Stadtteilen
Fahren Sie mit dem Cursor über die Grafik, um zu erfahren, wie viele Hausärzte und Einwohner es jeweils in den Stadtteilen gibt.
Was sagen die gesetzlichen Krankenkassen zu den Vorwürfen?
Der Vorstandvorsitzende der AOK Bremen/Bremerhaven, Olaf Woggan, wirft der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen gegenüber buten un binnen eine stark interessensgeleitete Kampagne vor. Zudem weist die AOK, bei der mehr als jeder Dritte Einwohner Bremens und Bremerhavens versichert ist, darauf hin, dass die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung in Bremen und Bremerhaven nicht gefährdet sei.
Woggan kann auch die finanziellen Forderungen der Kassenärztlichen Vereinigung nicht nachvollziehen. So verdienen niedergelassene Ärzte in Bremen und Bremerhaven laut Woggan bereits acht Prozent mehr als im bundesdeutschen Durchschnitt. Probleme sieht der Vorstandvorsitzende der AOK weniger im finanziellen, sondern viel mehr im strukturellen Bereich. So brauche es kreative Lösungen, um den Wegfall vieler niedergelassenen Ärzte, die in den kommenden Jahren in Rente gehen, angemessen aufzufangen.
Der Bundesverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) macht in einer aktuellen Stellungnahme darauf aufmerksam, dass niedergelassene Ärzte Spitzenverdiener in Deutschland seien und im Gegensatz zu den meisten Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern bereits heute mit sechststelligen Jahresgehältern nach Hause gingen. Der durchschnittliche Ertrag einer Arztpraxis lag nach Zahlen des Statistischen Bundesamts 2019 bei 296.000 Euro – der Betrag ist allerdings nicht mit dem durchschnittlichen Einkommen eines Arztes gleichzusetzen. Er gibt lediglich die Differenz von Einnahmen und Aufwendungen an. So sind Personalkosten nicht mehr enthalten, der Arzt muss aber vom Ertrag noch Steuern und Versicherungen bezahlen.
So viele Hausärzte gibt es in Bremerhavens Stadtteilen
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Wie geht es weiter im Streit?
Der Kassenärztliche Bundesverband (KBV), und der Bundesverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verhandeln seit dem 9. August darüber, wie viel Geld die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte von den gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr erhalten sollen.
Die KBV fordert mindestens zehn Prozent mehr Geld als bisher. Die GKV hingegen macht darauf aufmerksam, dass die Honorare der Ärzte zu einem sehr großen Teil von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern erbracht werden. Steigen die Honorare der Ärzte stark an, müssten diese Erhöhungen vor allem von den Beitragszahlern geschultert werden. Daher will der Spitzenverband "maßvoll" in den Verhandlungen auftreten.
Die Fronten zwischen niedergelassenen Ärzten und gesetzlichen Kassen scheinen aber mehr als verhärtet zu sein. Ein Blick in die letztjährigen Verhandlungen verheißt zudem nichts Gutes. Denn schon im vergangenen Jahr konnten sich die Kassenärztliche Vereinigung Bremen und die gesetzlichen Kassen in Bremen nicht auf einen Kompromiss einigen. Der Streit wurde sogar vor das Landesschiedsgericht Bremen gezogen. Erst Mitte Juli dieses Jahres wurde der Honorarvertrag für 2023 endgültig beschlossen. Fast ein Jahr nach Beginn der Verhandlungen. Letztlich musste die Kassenärztliche Vereinigung Bremen eine herbe Niederlage vor dem Schiedsgericht einstecken, da die geforderte Erhöhung der Honorare von zwei Prozentpunkten abgelehnt wurde.
Ein Kassenarzt hat das Recht und die Pflicht Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse zu behandeln. Um jedoch Vertragsarzt zu werden, müssen Ärztinnen und Ärzte in einem Arztregister bei einer Kassenärztlichen Vereinigung sein.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland schreiben Kassensitze aus. Auf diese Sitze können sich Ärztinnen und Ärzte bewerben. Der Kassensitz erlaubt es niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten gesetzlich versicherte Menschen zu behandeln.
In Deutschland gibt es gesetzliche und private Krankenkassen. In Deutschland sind etwa 73 Millionen Menschen gesetzlich versichert. Das sind rund 90 Prozent der Bevölkerung. Zu den gesetzlichen Krankenkassen gehören Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK), Ersatzkassen (EK), Knappschaften, Innungskrankenkassen und Betriebskrankenkassen (bkk).
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 8. August 2023, 9:30 Uhr