Neustart mit Hindernissen: Bremer Turnerin Schönmaier in Chemnitz
Karina Schönmaiers Umzug an den Bundesstützpunkt soll sie sportlich weit nach vorne bringen, Olympia ist das Ziel. Doch noch kämpft die 17-Jährige mit der Umstellung.
Karina Schönmaier hadert – mit sich, mit den neuen Übungen, mit ihrem Körper und ihrem Kopf. "Ich bin mental noch nicht so gut drauf. Ich erwarte von mir, dass ich schöne Übungen zeige, mit vielen neuen Elementen, aber das funktioniert noch nicht so. Es ist alles anders, daran muss ich mich noch sehr gewöhnen. Mir fällt es schwer im Training", sagt die 17-Jährige. Da hat sie gerade zweieinhalb Stunden Training hinter sich. Barren, Schwebebalken, Boden. An jedem Gerät baut sie derzeit neue Elemente ein, um die Übung schwieriger und damit die Wertnote höher zu bekommen.
Um sie herum: Drei andere Athletinnen, die zum Bundeskader gehören und auf dem Stützpunkt in Chemnitz trainieren und leben. Die Stimmung in der großen und bestens ausgestatteten Halle ist ruhig und konzentriert, aber auch angespannt. Leistungsdruck gehört hier dazu. "Manchmal gibt es Zickenkrieg, manchmal nicht. Manchmal funktioniert es richtig gut. Aber ich finde, wir halten immer zusammen und unterstützen uns", sagt Schönmaier.
Druck vor dem ersten Wettkampf
Am nächsten Wochenende steht ein internationaler Wettkampf an, der DTB-Pokal in Stuttgart. Für Karina Schönmaier ist es der erste Wettkampf nach ihrem Wechsel. "Die Nervosität steigt immer mehr. Ich habe etwas Angst davor. Mir fällt es von der Kondition und Kraft her schwer, die Übung zu turnen, aber die Elemente sind da und ich muss sie nur verbinden." Zudem hat sie der Bundestrainer kürzlich von einem geplanten Weltcup-Start gestrichen. Ein weiterer Dämpfer.
Denn Karina Schönmaier will sich beweisen, macht sich viel Druck. Nicht abzuliefern kennt sie nicht. Ihr letztes Jahr, ein einziger Höhenflug. Bronze am Sprung beim internationalen DTB-Pokal, Silber bei der Deutschen Meisterschaft am Sprung, Aufnahme in den Bundeskader, WM-Teilnahme. Ein Jahr wie im Rausch, an dessen Ende der Wechsel auf den Bundesstützpunkt stand. In Bremen waren die Trainingsbedingungen für ihr Niveau auch mit viel gutem Willen nicht mehr gegeben.
Hier in Chemnitz sind einfach super Bedingungen, super Methoden und so viel Platz. Du kannst alles machen. Verschiedene Übungen an jeder Ecke. Jeder kann alles nutzen, es gibt viele Geräte mit Qualität, das war zu Hause nicht so.
Karina Schönmaier
Doch eine tolle Halle allein macht nicht glücklich. Karina Schönmaiers Leben hat sich auf einen Schlag radikal gewandelt. Vor einigen Monaten noch der Star vom TuS Huchting, umsorgt von Mutter und Trainerin – jetzt weit weg von zu Hause, von Freunden und Familie und eine von mehreren Top-Athletinnen in der Halle. Sie muss sich neu beweisen, neue Freundschaften schließen. Emma Malewski, Europameisterin am Schwebebalken gehört auch zu ihrer Trainingsgruppe, lebt schon seit sechs Jahren in Chemnitz. "Es ist natürlich hart, von einem normalen Leben in so ein strukturiertes Leben einzutauchen. Es hat sich alles verändert für Karina, da muss man erstmal mit klarkommen. Aber sie hat sich schon gut eingelebt. Es wird noch etwas dauern bis das mit dem Heimweh besser wird, aber das schafft sie schon."
Streit mit dem TuS Huching
Es ist aber nicht nur das Heimweh, das Karina Schönmaier in ihre erste Krise gestürzt hat, es sind die Umstände ihres Weggangs aus Bremen. Denn zwischen ihr und ihrer ehemaligen Trainerin Katharina Kort gibt es derzeit keinen Kontakt mehr – dabei hatten sie über Jahre ein sehr enges, familiäres Verhältnis. Es ist viel vorgefallen zwischen Familie Schönmaier und dem TuS Huchting – aus einer sehr engen ist eine sehr, sehr schwierige Beziehung geworden, die momentan komplett stillsteht. "Es gab halt viele Meinungsverschiedenheiten, und die jeweiligen Meinungen wurden nicht akzeptiert. Es war sehr traurig und emotional, egal für welche Seite, dass ich gegangen bin. So hat sich alles in Streit aufgelöst. Ich hoffe einfach, dass es sich mit der Zeit legt", sagt Karina Schönmaier.
Ihrer Trainerin Katharina Kort in Bremen geht es auch nicht gut – obwohl sie gerade bei der Sportgala als Trainerin des Jahres 2022 ausgezeichnet wurde. Schwere Monate für beide. "Es ist sehr, sehr schade, dass wir uns leider nicht im Positiven getrennt haben", sagt Kort. So ist Karina beispielsweise direkt nach ihrem Wechsel aus dem Verein ausgetreten. Ein Schritt, der beim TuS Huchting mehr als Kopfschütteln ausgelöst hat. Nur ein Punkt, um den es Streitigkeiten gibt.
Sven Kienke, Abteilungsleiter beim TuS Huchting sagt: "Der Verein hat über elf Jahre lang die Familie Schönmaier so oft und so viel es geht finanziell unterstützt. Karina ist die Athletin im Verein gewesen, die von Stiftungen profitiert hat, für die sich der Verein eingesetzt hat, und da kränkt es einen schon und man ist traurig und enttäuscht, dass es dann solche Wege geht."
Zum Austritt sagt Karina, sie habe auch für Chemnitz starten wollen, wenn sie immer dort trainiere. Auch Förderungen in Chemnitz haben bei der Entscheidung eine Rolle gespielt. Trainerin Katharina Kort berichtet von Vertrauen, das verloren gegangen ist, aber auch davon, dass Karina immer in ihrem Herzen bleibe. "Ich hoffe, sie schafft es, sich aufzurappeln und ihr Ziel Olympia weiter zu verfolgen. Das ist unser gemeinsamer Traum gewesen, und den träume ich weiter, nur jetzt im Hintergrund."
Training unter erschwerten Bedingungen
Noch fühlt sich der neue Weg nicht komplett richtig an für Karina Schönmaier. Zu sehr belasten sie die Umstände. Das sieht auch ihr Trainer Anatol Ashurkov: "Natürlich verlieren wir gerade Effektivität im Training, weil sie nicht glücklich ist. Sie ist müde, schläft nicht genug. Es ist leicht zu erkennen, wenn Menschen Stress haben. Wir versuchen, ihr zu helfen. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können eine schöne Zukunft kreieren.“ Ashurkov stammt aus Weißrussland, war lange Trainer in Norwegen und spricht mit Karina Schönmaier russisch. Das hilft beiden, so kann er beim Training besser ins Detail gehen. Er glaubt an die Bremerin.
Wir lernen gerade viel. Sie hat viel in Bremen gelernt und nun versuchen wir, sie auf ein neues Level zu heben. Wir bauen auf. Es ist schwer zu sehen, aber wir haben schon viel in der Basis gelegt. Es braucht Geduld, nur Geduld.
Anatol Ashurkov, Trainer Bundesstützpunkt Chemnitz
In dieselbe Kerbe schlägt auch der Deutsche Turnerbund DTB. So ein Wechsel brauche Anpassungszeit, es sei noch zu früh ein Fazit zu ziehen. Mittel- und langfristig sei der Weg der richtige, heißt es in einem schriftlichen Statement des Pressesprechers.
Schließlich ist alles neu für die 17-Jährige, nicht nur der Trainer und die Trainingskolleginnen. Am Bundesstützpunkt lebt sie in einem Internat, bewohnt ein Einzelzimmer. "Zum Glück", sagt sie. So kann sie sich auch mal zurückziehen. Essen kann sie dreimal am Tag in der Mensa, dazu bekommt sie zweimal in der Woche Physiotherapie, geht zur Ernährungsberatung und zu einer Psychologin. Aber: Professionelle Strukturen allein ersetzen keine Nestwärme. Damit muss die Turnerin leben lernen.
Nächstes Ziel: Sportfördergruppe der Bundeswehr
Um ihrer Schulpflicht nachzukommen, macht Karina Schönmaier ein Grundbildungsjahr an einer Berufsschule mit deutlich reduzierter Stundenzahl. Eine Notlösung, aber eine, die alle als die beste empfunden hätten, sagt Ronny Kaiser, Laufbahnberater am Olympiastützpunkt Chemnitz. Er hat schon viele Top-Athletinnen auf ihrem Weg in die Weltspitze begleitet. Karina Schönmaiers Weg sei nicht der einfachste – auch weil sie so spät an den Stützpunkt gekommen sei. Im Sommer, so der Plan, will sie in die Sportfördergruppe der Bundeswehr wechseln. "Ich habe auch mit einigen anderen Turnerinnen gesprochen, die das gemacht haben, und die sind ganz begeistert", sagt Karina Schönmaier. Gerade Turnerinnen, erklärt Ronny Kaiser, seien durch das extrem hohe Trainingspensum prädestiniert für die Bundeswehr. Denn nach der Grundausbildung sei der Zeitaufwand gering und die Sportlerinnen können sich voll aufs Training konzentrieren. Gehalt gibt es zudem auch noch.
Karina Schönmaier richtet ihr Leben voll auf den Leistungssport aus. Turnen ist das, was sie immer wollte. Trotz allem Verzicht, Druck und Stress. Olympia ist ihr Ziel – vielleicht schon 2024. Dieser Traum lässt sie durchhalten, auch wenn es ihr mal schlecht geht. Ob der Wechsel die richtige Entscheidung war? "Ich hoffe es", sagt Karina Schönmaier.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen mit Sportblitz, 12. März 2023, 19:30 Uhr