Interview

Gewalt gegen Frauen: Wie ist die Situation in Bremen?

Eine junge Frau sitzt im Schlafzimmer eines Frauenhauses.

Zehn Jahre Istanbul-Konvention: Was hat sie in Bremen verändert?

Bild: dpa | Ina Fassbender

Vor 10 Jahren trat die sogenannte "Istanbul-Konvention" zum Schutz von Frauen vor Gewalt in Kraft. Was sich seither in Bremen getan hat, erklärt eine Bremer Frauenhaus-Leiterin.

Durch den völkerrechtlichen Vertrag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sollten in der EU verbindliche Rechtsnormen eingeführt werden. Die Hoffnung war, dass Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft nachhaltig zurückgeht. Tatsächlich ist etwa häusliche Gewalt aber noch immer ein riesiges Thema, sagt Susanne Eilers: Sie leitet das Frauenhaus "Frauen helfen Frauen" in Bremen-Nord.

Frau Eilers, neun Zimmer hat Ihr Frauenhaus. Wie viele sind davon aktuell belegt?

Alle.

Merken Sie denn, dass sich irgendwas durch die Istanbul-Konvention verbessert hat in den vergangenen Jahren?

Das Thema ist dadurch natürlich präsenter geworden. Und was uns ja auch immer ein bisschen in die Karten spielt, ist, dass wir in der Öffentlichkeit mehr Anerkennung kriegen – auch was die Finanzierung angeht. Das hat sich also schon ein bisschen verändert. Aber an dem Zustand, dass wir immer voll sind – und das gilt nicht nur für unser Frauenhaus, sondern auch für die anderen in Bremen und Bremerhaven – daran hat sich nichts geändert. Ich glaube, da kann ich für alle sprechen: Wenn mal ein Zimmer frei ist, dann ist das auch innerhalb von der kürzesten Zeit wieder belegt.

Wie viele Anfragen bekommen Sie denn so in der Woche?

Das kann ich ganz schlecht schätzen. Mal ist es sehr, sehr tummelig, dass wirklich irre viele Anfragen kommen und wir wirklich nur immer absagen, was uns total frustriert. Und dann gibt es auch wieder ganz ruhige Zeiten, wo vielleicht ein-, zweimal am Tag jemand nach einem Zimmer anfragt. Also das ist ganz unterschiedlich. Das geht in Schlangenlinien rauf und runter.

Wie können Sie den Frauen überhaupt helfen, die bei Ihnen anrufen und dann bei Ihnen ein Zimmer bekommen?

Wir versuchen, dafür zu sorgen, dass bei den Frauen erstmal die finanzielle Sicherung wieder steht. Das heißt: Wir beantragen Bürgergeld, wenn die Person Bürgergeld-berechtigt ist, daneben auch Dinge wie Kindergeld und einen Unterhaltsvorschuss.

Wir arbeiten daran, dass alles wieder in guten Bahnen läuft, weil die Frauen oft gar nicht in der Lage sind, das alles hinzukriegen.

Susanne Eilers, Frauenhaus "Frauen helfen Frauen" Bremen-Nord

Beispiel Kontoeröffnung: Viele Frauen haben kein eigenes Konto, denn das war vorher ein Familienkonto. Daneben geht es darum, die Frauen wieder zu stärken und zu gucken, dass es ihr wieder gut geht, damit sie mit dieser – oft nicht schönen – Trennung klarkommt. Sie haben oft auch die Kinder bei sich und wir docken den Kinderschutz an, gucken nach einer Schule oder einem Kindergartenplatz. Also: Wir schnüren das ganze Paket, damit sich die Frau wieder, wenn sie es möchte, ein selbstbestimmtes Leben aufbauen kann.

Wie lange dürfen die Frauen bei Ihnen bleiben?

Wir haben keine Grenzen. So lange wie die Frau uns braucht, solange kann sie bleiben.

Viele Frauen bleiben ja erstaunlich lange – unverständlich lange – bei ihren prügelnden Partnern. Wann sollte eine Frau sofort bei Ihnen anrufen oder Konsequenzen ziehen?

Nach dem ersten Angriff.

Also dieses "Ich bessere mich" und "Das ist ein Ausrutscher gewesen" sollte man gar nicht erst gelten lassen?

Nein. Wer einmal diesen Weg geht, das zeigen alle Untersuchungen, alle Gespräche, geht ihn auch nochmal. Es passiert das erste Mal, dann kommt eine große Lücke, aber dann passiert es wieder, wenn der Damm einmal gebrochen ist. Wir haben in unserer Berufszeit – und wir sind sehr lange schon dabei – eigentlich noch nie erlebt, dass das dann nie wieder vorkommt.

Und eigentlich sollte die Frau sich wirklich dann aufmachen oder sie muss mit ihrem Partner eine Aggressionstherapie machen, was ja auch möglich ist. Wir sind ja nicht die einzige Institution, die da hilft, es gibt ja auch noch andere. Dann hat man vielleicht eine reelle Chance. Aber meistens wird es ja kleingeredet: "Ach, ich war nur im Stress", "Das habe ich nicht so gemeint" – die ganzen Ausreden.

Die von Gewalt betroffenen Frauen haben keine Schuld. Muss man ihnen das immer wieder mitgeben?

Genau, wenn jemand handgreiflich wird, hat derjenige, der getroffen ist, keine Schuld. Der andere hat sich einfach nicht im Griff. Die Schuldfrage gibt es überhaupt nicht, der Aggressor hat immer schuld. Das ist einfach so.

Das Gespräch führten Katharina Guleikoff und Jens-Uwe Krause für Bremen Eins. Julian Beimdiecke hat es für butenunbinnen.de aufgeschrieben.

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 02. August 2024, 9.10 Uhr