"Cool, dass meine Oma gehört wird": Gastarbeiterinnen in Bremerhaven
In den 1960er Jahren kamen Gastarbeiterinnen auch nach Bremerhaven. Das Historische Museum zeigt nun ihre Geschichten über Heimweh, harte Arbeit im Hafen und neuen Wurzeln.
Heimweh kennt wohl jeder: zum Beispiel früher auf der Klassenfahrt, im Bett, mit Sehnsucht nach zu Hause. Zum Glück war das nach ein paar Tagen vorbei. Aber was ist, wenn man in einem fremden Land arbeitet, weit weg vom vertrauten Umfeld, und alle und alles dort vermisst?
So ging es vielen sogenannten Gastarbeitern, die ab 1961 zum Beispiel aus der Türkei nach Deutschland zogen. Auch junge Frauen kamen – auch nach Bremerhaven. Was das für sie und ihre Familien bedeutete, zeigt jetzt eine kleine Ausstellung im Historischen Museum in Bremerhaven.
Geschichten über Heimweh, Fisch und neue Wurzeln
Die Ausstellung erzählt acht Geschichten von Heimweh, harter Arbeit im Fischereihafen und neuen Wurzeln – Geschichten von jungen Frauen, die nach Deutschland kamen, um Geld für ihre Familien zu Hause zu verdienen, und von ihren Töchtern. Jeder ist eines der großformatigen Plakate an der Wand gewidmet. Sedef Yalcin steht vor ihrem und dem ihrer Mutter Nazife.
Sie sagte immer, wir haben jeden Tag geweint. Als wir im Ibbrigheim waren, wo das Frauenheim war, sagte sie, wir haben immer von Kindern die Bilder genommen, auf die Brust gelegt, nebeneinander gesessen mit Freunden und immer geweint, sagte sie, jeden Abend.
Sedef Yalcin
Biografien mehrerer Generationen
Sedef Yalcin war sechs Monate alt, als ihre Mutter ohne sie nach Deutschland ging, und 13 Jahre alt, als sie ihr mit ihrem älteren Bruder hinterherzog.
Der Kontakt mit meiner Mama war nicht so leicht. Sie wollte mich hier in Deutschland natürlich anders erziehen, hat auch Druck gemacht. Dann wollte ich wieder zurück zu meinem Papa in der Türkei, aber Mama hat gesagt, nein, jetzt bist du hier, du gehst nirgendwo hin.
Sedef Yalcin
Ähnliche Geschichten habe sie immer wieder gehört, erzählt Marli Friedrich-Heiligers vom Nord-Süd-Forum. Sie hat zusammen mit zwei weiteren Frauen die Ausstellung konzipiert. Die Form habe sich in den Interviews ergeben. Oft mussten die Töchter für ihre Mütter übersetzen, die noch immer schlecht Deutsch sprechen. "Manchmal gab es Diskussionen zwischen Mutter und Tochter: 'So war das aber nicht, ich habe das anders wahrgenommen.'" Dabei sei klar geworden, dass es verschiedene Biografien sind, erste und zweite Generation.
Schmerz reicht bis heute
Zur ersten Generation gehört auch Yeter Kilic. Sie kam 1972 mit 22 Jahren nach Bremerhaven, um das Überleben der Familie zu Hause zu sichern. Dort gab es kaum Arbeit und ihr Mann verdiente als Friseur nicht genug. Sie musste ihr 18 Monate altes Baby zurücklassen, später noch ein zweites Kind. Den Schmerz darüber trage sie bis heute mit sich herum. Dennoch bereut sie es nicht, nach Deutschland gekommen zu sein: "Ich habe selber gearbeitet, selber verdient, musste kein 'Bitte, Bitte' sagen."
Sie ist heute stolz auf das, was sie erreicht hat – ebenso wie die Mutter von Sedef Yalcin und die anderen Frauen, die in der Ausstellung porträtiert werden. Stolz sind sie auch auf ihre Kinder und Enkel, die in Deutschland ihren Platz gefunden haben. So wie Jasmin Dilan Demircioglu. Ihre Großmutter Ilham Berber kam mit 25 Jahren aus Antakya nach Bremerhaven.
Ich finde es cool, dass meine Oma jetzt gehört wird. Dass sie ihre Geschichte erzählen konnte und auch die anderen Frauen. Man spricht ja im Alltag nicht so viel darüber, wie die Geschichten sind, was meine Oma, was meine Mutter durchgemacht hat. Sich das anzuhören und bewusst darüber nachzudenken, finde ich sehr wichtig.
Jasmin Dilan Demircioglu
Die Ausstellung "Fern der Heimat verwurzelt" im Historischen Museum Bremerhaven läuft noch bis zum 11. Juni und ist ein Baustein eines Archivs von Biografien, die das Museum aufbauen will – ein möglichst umfassendes.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Das Wochenende aus Bremerhaven, 12. März 2023, 10:40 Uhr