Interview

Natur zerstören für neue Handys? Expertin warnt vor Tiefseebergbau

Bohrschiff Hidden Gem der The Metals Company, wird im Seehafen von Rotterdam, Maasvlakte, umgebaut, es soll als erstes Schiff für den Tiefseebergbau ausgerüstet werden, es soll polymetallische Knollen vom Meeresboden gewinnen.

Beim Tiefseebergbau treffen Ressourcen- und Umweltkonflikt aufeinander

Bild: dpa | Jochen Tack

Im Ozean wachsen wertvolle Rohstoffe, die für Handys oder Autobatterien genutzt werden. Antje Boetius vom Bremerhavener AWI warnt jedoch vor voreiligen Baggeraktionen.

Eisen, Kupfer, Nickel, Mangan: Diese wertvollen Rohstoffe gibt es tief unten im Meer. Viele Unternehmen haben es darauf abgesehen, etwa für Smartphones, den Bau von Solaranlagen oder Autobatterien. Der Tiefseebergbau war in dieser Woche Thema auf der Generalversammlung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) auf Jamaika. Die Bundesregierung und andere Staaten fordert aktuell eine Aussetzung der Zulassung. Auch Meeresbiologin Antje Boetius vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) warnt vor dem Abbau.

Eine Frau im roten Overall lehnt an einem Gerät.
Antje Boetius ist Meeresbiologin und arbeitet am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI). Bild: Imago | Zuma Wire/Kerstin Rolfes

Frau Boetius, wie notwendig und wie sinnvoll ist es, vom Meeresgrund aus weiter in die Erde vorzudringen?

Diese Frage beschäftigt uns wirklich schon Jahrzehnte. Da treffen ganz verschiedene Konflikte aufeinander. Das eine ist: Ja, wir Menschen sind mit unseren Materialien derzeit leider von der Beschaffung solcher seltenen Metalle abhängig und auch an Land sieht das nicht gut aus mit dem Bergbau. Und: Nein, wir haben das Wissen heute nicht, um festzustellen, wofür auch die Meeresbodenbehörde zuständig ist, dass dieser Bergbau nachhaltig funktionieren könnte, ohne Artensterben oder Vernichtung von Lebensraum zur Folge zu haben.

Und dann gibt es noch viele Konflikte mehr, nämlich zum Beispiel Gerechtigkeit zwischen Staaten, die technisch so aufgestellt sind, dass sie das überhaupt machen können, und Staaten, die eben keine Technik haben, den Meeresboden, der theoretisch uns allen gehört, zu beackern.

Warum sind eigentlich bislang nur so wenige Staaten weltweit gegen eine Genehmigung des Bergbaus auf dem Meeresboden?

Es gibt eine Gruppe von Staaten, zu denen gehören auch Frankreich und Deutschland, die sagen: Wir haben das Wissen nicht, um uns jetzt daran zu wagen, schon Schäden zu verursachen. Da müssen wir viel mehr wissen, und vielleicht macht das auch überhaupt keinen Sinn.

Viele Staaten sind noch unentschieden, und merkwürdigerweise geht das quer durch Arm und Reich. Es gibt genauso pazifische Inseln, die sich davon eine Zukunft versprechen, und pazifische Inseln, für die das der Untergang wäre nach ihrer Einschätzung – wie auch ganz reiche Staaten wie Norwegen, die dafür sind, und reiche Staaten, die dagegen sind. Und auch in der Industrie ist es eine absolute Unentschiedenheit. Und all das sind Anzeiger dafür: Wir sind lange nicht so weit, zu wissen, was wir hier als Menschheit brauchen und wollen sollten.

Was wissen wir eigentlich von dieser Gegend unter der Meeresoberfläche? Was könnte man kaputtmachen?

Wir haben einigermaßen gut kartiert, wo solche Ressourcen zu finden wären. Und sie sind eben hauptsächlich in der Tiefsee, also unterhalb von drei, vier Kilometern Wassertiefe. Und von dieser Tiefe wissen wir sehr, sehr wenig. Es gibt Grundlagenforschung, wie wir sie auch in Deutschland machen. Und dann stellt man fest: Wo immer ein harter Untergrund ist, ein Stein liegt oder eine Manganknolle oder eine Kruste, da wächst besonderes Leben drauf. Wir haben die verrücktesten Zusammenhänge gefunden: Kraken, die acht Jahre lang brüten, indem sie sich auf eine Schwammnadel setzen, die nur auf bestimmten Manganknollen wächst.

Und da sind wir am Anfang. Wir sind so richtig Entdecker unserer eigenen Erde. Und deswegen sagen auch viele Meeresforscher: Wir können uns einfach nicht leisten, da mit Baggern hinzufahren und ein Stück Fläche platt zu machen. Wir wissen ja noch nicht mal, ob diese Lebewesen woanders noch mal vorkommen. Deswegen die Warnung der Wissenschaft.

Von dieser Tiefe wissen wir sehr, sehr wenig.

Antje Boetius sitzt in Arbeitskleidung auf einer Treppe an Bord der Polarstern
Antje Boetius, Meeresbiologin am Alfred-Wegener-Institut

Arbeitet die Internationale Meeresbodenbehörde eigentlich mit Ihnen zusammen? Hören die auf Sie?

Ich bin auch schon angehört worden von der Meeresbodenbehörde und wir haben eine Delegation da vor Ort, die zusammengesetzt ist aus Politik, aber auch Stakeholder sind vor Ort, wie zum Beispiel Deutsche Greenpeace und andere. Und unser wissenschaftliches Wissen geht auf jeden Fall mit ein. Es gibt regelmäßig Herausgaben von Papieren, die man offen und frei kommentieren kann.

Man möchte natürlich, dass das, was man kommentiert, was wir herausgefunden haben, wirklich auch direkt eingeht und dass die Sorgen ernst genommen werden.

Es ist nicht so einfach. Es gibt es auch nicht "die Wissenschaft", die eine Stimme der Wissenschaft, sondern auch dort gibt es eben wissenschaftliche, technische Beratungen, die sagen: Es ist doch nicht so schwer. Dann bauen wir eben Roboter, die das ganz sauber abpicken, das Zeug, was wir brauchen. Wir müssen verhandeln. Wir müssen die Vielfalt der Stimmen berücksichtigen und diesen Prozess demokratisch, international und kollaborativ gestalten. Und dann kommen wir als Menschheit voran. Es dauert dann halt nur alles etwas länger.

Rückblick: AWI-Chefin über UN-Meeresvertrag: "Das ist ein ganz großes Abkommen"

Bild: Radio Bremen

Autor

  • Jörn Albrecht
    Jörn Albrecht Moderator

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 2. August 2024, 17.40 Uhr