Fragen & Antworten
Streit um telefonische Krankmeldung: Bremer Unternehmer laufen Sturm
Vor einem Jahr trat die telefonische Krankschreibung erneut in Kraft– und statistisch gibt es in Deutschland mehr denn je. Warum ist das so? Und was jetzt folgt daraus für Bremer?
Warum wurde die telefonische Krankschreibung eingeführt?
Erstmals ermöglicht wurde die telefonische Krankschreibung im Zuge der Corona-Pandemie. Nach mehrmaliger Verlängerung der Regelung, wurde sie dann dauerhaft in ihrer heutigen Form im Dezember 2023 für Patientinnen und Patienten mit leichten Erkrankungen (zum Beispiel bei grippalen Infekten) eingeführt. Die Argumente: Praxen entlasten, Bürokratie abbauen und unnötige Arztbesuche vermeiden.
Wie funktioniert die telefonische Krankschreibung?
Seither können sich Erwachsene telefonisch bis zu fünf Kalendertage krankschreiben lassen – voraussetzt, sie sind in der Arztpraxis bekannt. Auch Eltern können eine ärztliche Bescheinigung bei Erkrankung ihres Kindes per Telefon erhalten.
Welche Regelungen bei der telefonischen Krankschreibung im Detail gelten, beschreibt das Bundesgesundheitsministerium auf dieser Website.
Warum wird die Regelung von Wirtschaftsverbänden kritisiert?
Es ist vor allem die Statistik, die Kritiker der telefonischen Krankschreibung derzeit auf den Plan ruft. Denn seit 2021 haben sich die jährlichen Krankheitstage der Deutschen im Schnitt deutlich erhöht. 2022 kamen sie im Schnitt auf 14,8 Krankheitstage, 2023 waren es im Schnitt 15,1. Ein Zuwachs von vier Tagen im Vergleich zum Pandemie-Jahr 2021.
Deutlich wird der statistisch hohe Krankenstand auch an der prozentualen Quote krank gemeldeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie lag 2023 bei 6,1 Prozent. Bis August 2024 verharrt sie im historischen Vergleich auf diesem hohem Niveau (siehe Grafik).
Durchschnittlicher Krankenstand gesetzlich Krankenversicherter in Deutschland
Angesichts des aktuell hohen Krankenstands fordern die Arbeitgeber die Abschaffung der telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. So sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, der "Rheinischen Post", er vermute Missbrauch bei der telefonischen Krankschreibung. Ungerechtfertigte Praktiken von digitalen Geschäftemachern müssten unterbunden werden.
"Der Krankenstand in Deutschland und auch hier in Bremen ist seit einigen Jahren unverändert hoch", sagt auch Cornelius Neumann-Redlin, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen. Die telefonische Krankschreibung sei aus seiner Sicht ein Ausnahmeinstrument für die Pandemiesituation gewesen.
Eine Fortführung oder gar Ausweitung der Regelung nach Wegfall der Pandemiesituation halten wir für falsch.
Cornelius Neumann-Redlin, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen
"Die Erfahrungen aus der Pandemie – gerade auch der Ärztekammern – zeigen, dass es in der Pandemiesituation zu unrechtmäßigen Angeboten von telefonisch ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder der Ausstellung von "Gefälligkeitsattesten" kam", sagt der Arbeitgebervertreter.
Diese Argumentation stützt eine repräsentative Umfrage der Meinungsforscher von YouGov in Kooperation mit Statista. Sie kamen im Juli 2024 zu dem Ergebnis, dass 27 Prozent derjenigen, die die Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung schon mindestens einmal genutzt haben, damit schon einmal "krankgefeiert" haben, obwohl sie eigentlich nicht wirklich krank gewesen seien.
Was entgegnen Befürworter der telefonischen Krankschreibung?
Anders als die Arbeitgeber, spricht sich die bundesweite Ärzteschaft für die Beibehaltung der telefonischen Krankschreibung aus. Entsprechend werben der Verband der Hausärzte und die Bundesärztekammer für das aktuelle Modell, ebenso wie die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB).
"Wenn leicht erkrankte Patienten für eine Krankschreibung nicht mehr persönlich in die Praxis kommen müssen, sinkt das Risiko, dass sie andere im Wartezimmer anstecken", sagt KVHB-Sprecher Christoph Fox. Gerade in der Erkältungs- und Grippezeit trage das zur Entlastung bei und senke die Krankheitslast.
Die telefonische Krankschreibung reduziert den Druck auf Arztpraxen, weil weniger Patienten mit Bagatellerkrankungen die Praxen aufsuchen.
Christoph Fox, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen
Die gewonnene Zeit könne für schwerwiegendere Fälle verwendet werden, was die Versorgung insgesamt verbessere, sagt Fox.
Auch aus der Wissenschaft kommen Argumente, die gegen einen unmittelbaren Zusammenhang von telefonischer Krankschreibung und hohem Krankenstand in der Bevölkerung sprechen. So bezeichnete das Robert-Koch-Institut (RKI) in der Zeit von Anfang Oktober 2022 bis Ende Dezember 2023 die Anzahl der Krankheitsfälle in der Gesamtbevölkerung als "ungewöhnlich hoch".
Und auch das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) weist in einer an diesem Montag veröffentlichten Studie darauf hin, dass die Ursachen des Anstiegs der Fehlzeiten nicht unmittelbar mit der telefonischen Krankschreibung zu tun habe. So würden sich nämlich vor allem die Krankschreibungen zwischen vier und 14 Tagen Dauer mehren. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Telefon gebe es aber nur für maximal fünf Kalendertage.Der ZEW-Studie zufolge führe vielmehr die bessere Erfassung von Krankschreibungen zu statistisch höheren Fehlzeiten. Seit Januar 2022 werden Bescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit elektronisch und automatisch an gesetzliche Krankenkassen übermittelt.
Wie positioniert sich die Politik?
Dass die Zahl der Krankheitstage deutlich gestiegen ist, hat somit verschiedene Gründe. Dennoch hat die Politik im Zuge ihrer der sogenannten "Wachstumsinitiative" eine Überprüfung der Maßnahme vereinbart, wenn dies "bürokratiearm" möglich sei.
Der ehemalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) stellte sich auf die Arbeitgeberseite. Eine Sprecherin von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigt hingegen die telefonische Krankschreibung. Ohne dabei jedoch auszuschließen, dass sie von manchen Patienten ausgenutzt werden könne.
Dieser Artikel wurde erstmals am 28. Oktober 2024 veröffentlicht und jetzt mit leichten Anpassungen noch einmal publiziert.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 28. Oktober 2024, 16 Uhr