Missbrauch in evangelischer Kirche: Mehr Bremer Betroffene vermutet

Über einen Kirchturm ziehen dunkle Wolken hinweg.

Missbrauch in evangelischer Kirche: Mehr Bremer Betroffene vermutet

Bild: dpa | Federico Gambarini

Eine Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie zeigt auch Fälle in Bremen auf. Kirche und Forscher gehen jedoch von einer viel höheren Dunkelziffer aus.

Immer wieder kommen Missbrauchsvorwürfe gegen die Kirchen ans Licht. Die evangelische Kirche hat nun erstmals mit einer Studie einen Überblick über das Ausmaß verschafft: Ein unabhängiges Forschungsteam untersuchte im Auftrag der Kirche Fälle sexualisierter Gewalt seit 1946.

Dabei kam raus: Insgesamt meldeten Gemeinden in Deutschland den Forschern und Forscherinnen knapp 1.300 Tatverdächtige. In Bremen hat die Kirche nach eigenen Angaben acht Verdächtige gemeldet, wie hoch die Zahl in der Diakonie ist, wird noch untersucht.

Höhere Dunkelziffer befürchtet

Das Forschungsteam macht dabei aber eines deutlich: Eine viel höhere Dunkelziffer ist wahrscheinlich. Denn unter anderem gewährten nicht alle Gemeinden Einsicht in die Personalakten. Dass es viele noch unbekannte Fälle gibt, glaubt auch Nancy Janz, Sprecherin des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt der evangelischen Kirche.

Die 44-jährige Bremerin ist selbst betroffen, sie erzählt von sexualisierter Gewalt in Celle: Ein Mann im Geistlichen Dienst habe ihre Hilfsbedürftigkeit als Minderjährige und junge Erwachsene über Jahre hinweg ausgenutzt.

Wenn ich mich nicht gemüht hätte, immer wieder nachgefragt, gebohrt und selbst Initiative ergriffen hätte, wäre der Fall nicht so bearbeitet worden.

Nancy Janz, Sprecherin des Beteiligungsforums der evangelischen Kirche

Jahre später erzählt sie von ihren Erlebnissen, trifft auf Mitgefühl – und weitere Betroffene: Durch ihren Aufruf melden sich Frauen mit ähnlichen Erfahrungen. Grundsätzlich findet sie die Studie gut: "Das ist einfach ganz wichtig für Intervention, Prävention und Hilfe. Und auch ganz klar ein Handlungsauftrag an das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt."

Opfer melden sich noch Jahre später

Bernd Kuschnerus, Theologe und Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, findet die Aufarbeitung sehr wichtig. Auch er geht davon aus, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. So habe man bei der Bremischen Evangelischen Kirche kurz nach Einsendung der Studie erfahren, dass sich im Falle des Dompredigers Abramzik weitere Opfer gemeldet haben. Diese habe man nachgemeldet. Ob diese Fälle noch berücksichtigt werden konnten, ist nicht klar.

Für ein finales Statement ist es laut Kuschnerus noch zu früh. Bei der Bremischen Evangelischen Kirche will man sich die Ergebnisse der Studie erst einmal genau ansehen – der ganze Bericht umfasst knapp 900 Seiten.

Allerdings stehe jetzt schon fest, dass man weiterhin auch auf präventive Arbeit setzen möchte, unter anderem über Fortbildungen und Schulungen. Laut Kuschnerus kann es da zum Beispiel darum gehen, ein komisches Bauchgefühl ernst zu nehmen oder auch die Grenzen von Mitmenschen richtig zu erkennen, zum Beispiel was körperliche Nähe betrifft.

Betroffene: "Kein Einzelfall"

Für die Betroffene Janz steht jetzt schon fest: Die Studie ist weder Anfang noch das Ende einer langen Aufarbeitungsarbeit. "Die Wahrnehmung, dass das, was da passierte ‚nur‘ ein Einzelfall wäre, muss aufhören. Wer sich noch erschreckt über das Ausmaß, der hat das strukturelle Problem noch nicht verstanden."

Autorin

  • Marie Roters
    Marie Roters Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 26. Januar 2024, 7 Uhr