Deshalb sind gebrauchte Schulranzen in Bremen gar nicht angesagt
Zur Einschulung muss es ein Markenranzen mit den neuesten Stickern sein. Wer da nicht mitmacht, fällt auf. Für die wenigsten Familien ist ein gebrauchter Schulranzen eine Option.
Die Einschulung eines Kindes ist eine teure Angelegenheit: Ein neuer Ranzen kostet inzwischen im Schnitt 250 bis 300 Euro. Strahlende Neonfarben, ein blitzsauberes Federmäppchen und vor allem die bunten Motivsticker locken Kinder und Eltern.
Schon im Januar geht das Geschäft los, und wer noch sein Wunschmotiv haben möchte, sollte spätestens um Ostern zugeschlagen haben, sagen die Händler. Einhorn, Dino, Fußball oder Raumschiff – jedes Jahr kommen neue Modelle auf den Markt und in vielen Familien scheint es eine Selbstverständlichkeit, dass das zukünftige Schulkind sich das Lieblingsmodell aussucht. Doch Familien mit geringem Einkommen stellt das vor Herausforderungen.
Kaum Secondhand-Handel
Der Grundschüler Ozan aus Walle berichtet, dass er vor seiner Einschulung auch mit seinen Eltern in einem Taschengeschäft war, auf der Suche nach seinem Wunsch-Ranzen. "Ich habe mir einen ausgesucht, aber die waren alle zu teuer. Dann sind wir wieder nach Hause gegangen und meine Mama hat irgendwann einen günstigen im Internet gefunden", berichtet Ozan.
Einen Secondhand-Handel mit Schulranzen – wie bei Kinderkleidung oder Spielzeug – gibt es kaum. Auf den Kleinanzeigenportalen ist das Angebot an gebrauchten Modellen groß, aber die Nachfrage gering. Mehrere Secondhandläden in Bremen berichten uns, dass sie gebrauchte Ranzen inzwischen gar nicht mehr anbieten.
Stigma gebrauchter Schulranzen?
"Einen gebrauchten Schulranzen kaufen wirklich nur Familien, die auch staatliche Unterstützung bekommen", sagt Sylvia Schikker, die das Familienzentrum des SOS-Kinderdorfs in der Neustadt leitet. Dort können Familien aller Einkommensklassen Secondhand-Waren für Kinder kaufen. Aber ein gebrauchter Schulranzen scheint nur für die Ärmsten in Frage zu kommen.
Es ist ein weiteres Gesicht der Kinderarmut, denn wer sich keinen neuen Ranzen leisten kann, ist bei der Einschulung auf den ersten Blick zu erkennen und stigmatisiert.
Sylvia Schikker, Leiterin des SOS-Kinderdorfzentrums
Und so ist der fabrikneue Markenranzen ein Prestige-Objekt, das möglichst viele Familien ihren Kindern ermöglichen möchten. Aus Sorge, dass ihr Kind das Einzige ist, das ohne brandneue Schultasche in der Klasse sitzt, berichtet uns eine Mutter. Sie befürchte, das Kind könne sich komisch fühlen und ausgeschlossen werden, "denn alle anderen Kinder haben ja dann einen superschicken neuen Ranzen."
Dass es eine Art Gruppenzwang gebe, bestätigt auch die Einzelhändlerin Jana Thies, die seit fünf Jahren das Taschen-Geschäft "Bags and Boxes“ im Weserpark betreibt. Sie bietet individuelle Beratungstermine für Familien an, in denen sie die Ergonomie der Schultaschen erklärt. "Die Kinder achten beim Kauf aber am meisten auf die Sticker," berichtet die Einzelhändlerin.
Sie kennen die Motive aus dem Fernsehen oder den Sozialen Medien. Die Sticker sind in den letzten Jahren begehrte Tauschobjekte geworden. Wer da nicht mitmacht, riskiert, ausgeschlossen zu werden.
Jana Thies, Einzelhändlerin im Taschen-Geschäft
Die Motiv-Sticker werden per Magnet oder Klettverschluss an den Ranzen angebracht und können ausgetauscht und nachgekauft werden. Sie gehören zu den vielen Zubehörteilen, die das Gesamtpaket Ranzen oft noch teurer werden lassen. Denn im Design der Schultasche gibt es noch die passende Trinkflasche, Brotdose, Sporttasche und sogar die Schultüte.
Ranzenkauf als Familienritual
Der Ranzenkauf sei ein emotionales Thema, berichtet die Einzelhändlerin, Jana Thies. Für die Familien sei es etwas Besonderes, dafür gebe man eben etwas mehr aus. "Oft zahlen die Großeltern das, als Geschenk zur Einschulung."
Das schöne Ritual möchten auch Familien, die weniger verdienen, ihren Kindern ermöglichen. Und so kauft etwa ein Fünftel der Familien im Taschengeschäft von Jana Thies den Schulranzen per Ratenzahlung. "Sie kommen dann jeden Monat vorbei und zahlen 50 bis 100 Euro, und bis zur Einschulung gehört der Ranzen dann ihnen", berichtet sie.
Markenranzen haben kaum Konkurrenz
Auch "no name"-Ranzen habe sie im Sortiment, die seien zwar mit ca. 160 Euro weitaus günstiger als die Markenprodukte, aber sie würden kaum nachgefragt. "In Sachen Rückenfreundlichkeit sind die Markenprodukte einfach besser, außerdem sind die billigen Ranzen ohne Sticker für die Kinder wenig attraktiv", sagt Jana Thies. Die gängigen Marken "step by step", "Ergobag" und "Scout" seien am meisten nachgefragt und hätten kaum ernstzunehmende Konkurrenz.
Die wenigen Großen teilen sich den Markt. Das hat auch schon die Wettbewerbsbehörde auf den Plan gerufen. Die Firma "Fond Of", die die Ergobag-Ranzen herstellt, musste im Jahr 2021 ein Millionenbußgeld zahlen, weil sie Mindestpreise diktiert und die Einzelhändler unter Druck gesetzt habe.
Die Zahlungsbereitschaft der Eltern sei beim Thema Schulranzen hoch, und das würde vom Hersteller ausgenutzt, hieß es in der Begründung des Bundeskartellamts. An der Beliebtheit der Markenranzen hat sich dadurch nicht viel verändert.
Nachhaltigkeit ist in aller Munde, aber beim Thema Schulranzenkauf ist das noch nicht angekommen.
Sylvia Schikker
Der Schulranzen sei ein Statussymbol, sagt Sylvia Schikker vom SOS-Kinderdorfzentrum. "Es müsste cool werden, einen gebrauchten Ranzen zu nutzen." Sie kann sich vorstellen, neue Rituale zu entwickeln, etwa gemeinsame Treffen, um die gebrauchten Ranzen zu säubern und wieder schick zu machen.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. März 2024, 19:30 Uhr