Arbeiten trotz Rente: Wenn das Geld nicht für den Ruhestand reicht

Warum diese Bremerin trotz Rente arbeiten geht

Bild: dpa | Christin Klose

Immer mehr älteren Menschen in Bremen droht die Armut, Frauen noch öfter als Männern. Sie müssen trotz ihres Alters arbeiten – sofern sie dazu in der Lage sind. Ein Beispiel.

Die durchschnittliche Rente in Bremen liegt laut Sozialverband VDK bei 1.600 Euro. Aber viele Menschen müssen im Alter mit weitaus weniger Geld auskommen. Sie sind arm oder zumindest von Armut bedroht. buten un binnen hat eine Betroffene begleitet.

Helga Kerr ist 72 Jahre alt und immer noch berufstätig. 25 Stunden pro Woche arbeitet sie als Briefzustellerin. Ihre Rente reicht nicht aus, sie muss sich etwas dazu verdienen. Dazu sagt sie: "Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich auf das Rentenalter zu freuen, anderen Dingen nachzugehen, Hobbys. Und jetzt ist das so: Ich muss arbeiten, um über die Runden zu kommen."

Helga Kerr bekommt rund 900 Euro Rente. Sie wohnt seit 20 Jahren in Bremen und hat eine kleine Wohnung in Arbergen. Knapp 50 Quadratmeter. Das ist ihr Reich. Helga Kerr zahlt dafür 520 Euro warm pro Monat.

Wenn ich nicht arbeiten würde, dann hätte ich zwar ein Dach überm Kopf, aber nichts im Kühlschrank.

Helga Kerr

Speisen im Familienzentrum

Ältere Frau mit Brille und blauem Pulli
Helga Kerr arbeitet auch mit 72 Jahren noch. Ihre Rente ist klein. Bild: Radio Bremen

Helga Kerr muss überall sparen, wo es nur geht. So geht es vielen Rentnerinnen und Rentnern in Bremen. Die Möglichkeit auf ein vergünstigtes Mittagessen gibt es im Familienzentrum Mobile in Bremen Hemelingen. Nur zwei Euro kostet hier die Mahlzeit, inklusive Nachtisch und Salat. Heute auf dem Speiseplan: Gyros mit Reis, Gemüse und Zaziki. "Ich spare dadurch Strom, brauch nicht einkaufen gehen – und hier bekomme ich das vorgesetzt und es schmeckt mir wirklich gut", sagt Kerr.

Gaby Dönselmann ist die Einrichtungsleiterin. Sie kennt Helga Kerr mittlerweile seit vielen Jahren. "Ich finde es schon traurig, dass sie ihr Leben lang gearbeitet hat, und dass sie so wenig Rente bekommt, dass sie noch über ihr Rentenalter hinaus beschäftigt ist."

Hohe Dunkelziffer?

Frau mittleren Alters mit Brille
Claudia Schilling glaubt, dass die Armut vieler Seniorinnen und Senioren dem Staat verborgen bleibt, weil sich die Betroffenen aus Scham nicht ans Amt wenden mögen. Bild: Radio Bremen

Helga Kerr ist kein Einzelfall. Der Anteil an Menschen zwischen 65 und 69, die trotz Rente arbeiten, ist zwischen 2012 bis 2022 von elf auf 19 Prozent gestiegen. Viele können aber gar nicht mehr arbeiten. Sie sind deshalb auf staatliche Unterstützung angewiesen, wenn ihre Rente nicht reicht.

Das macht auch der Sozialsenatorin Sorgen. Claudia Schilling (SPD) sagt: "Wir haben eine Quote von etwa sieben Prozent Seniorinnen und Senioren, die auf die Grundsicherung zurückgreifen. Aber man muss natürlich auch sehen, dass die Dunkelziffer eventuell höher ist, weil sich sehr viele ältere Menschen schwer tun, zum Amt zu gehen und dann ergänzende Leistungen zu beantragen." Unwissenheit aber auch Schamgefühl hinderten viele, erklärt die Senatorin.

Lebenslauf mit Brüchen

Zurück zu Helga Kerr: Die Rentnerin ist gelernte Bürokauffrau, hat später als Kellnerin und auch im Lager gearbeitet. Ihre berufliche Karriere hat mehrere Brüche. Dazu erklärt die Soziologin Simone Scherger von der Uni Bremen: "Bei Frauen schlägt besonders stark zu Buche, dass sie häufiger unterbrochene Erwerbskarrieren haben, häufiger in Branchen arbeiten, die schlecht bezahlt sind." Es gebe Grund zu der Annahme, dass Altersarmut künftig noch häufiger zu beobachten sein werde als heute. Denn immer öfter gebe es Karrieren mit Unterbrechungen. Der Niedriglohnsektor sei gewachsen.

Nicht wenige Rentnerinnen und Rentner, die Hilfe benötigen, gehen zur Beratung des Sozialverbands VDK Bremen. Christine Henke, Geschäftsführerin des VDK Bremen sagt: "Es gibt Menschen, die sind sehr sauer, dass sie lange gearbeitet haben, dass sie hart gearbeitet haben und die Rente kaum reicht."

Wende zum Guten

Älteres Paar beim Spaziergang von hinten aufgenommen
Für Helga Kerr gibt es an der Seite Ihres Mannes ein Happy End nach drohender Altersarmut. Bild: Radio Bremen

In Helga Kerrs Leben gab es vor einigen Monate eine Wende. Die Rentnerin hat mit 72 Jahren geheiratet. Aus Liebe, aber auch aus einem anderen Grund. Ihr Partner, Klaus Heinisch, beschreibt es so: "Das hat für uns beide Vorteile: ihre Rente und meine Rente, da lässt es sich besser leben als auf Staatskosten."

Kerr sagt dazu: "Ich weiß, dass jemand an meiner Seite ist, der mir Rückhalt gibt. Und für mich ist mein Mann der Fels in der Brandung." Helga Kerr hat nicht nur ihre späte Liebe gefunden, sondern sie ist dadurch jetzt auch besser abgesichert. Trotzdem will sie ihren Job als Briefzustellerin nicht ganz aufgeben. Sie möchte eine Beschäftigung haben.

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Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 9. August 2024, 19:30 Uhr