Mann zum 3. Mal vor Gericht: Hat er die Bremerin Mina C. getötet?

Bremer Mordprozess: Angeklagter zum 3. Mal vor Gericht

Bild: Radio Bremen

2020 wird im Viertel eine 28-Jährige tot aufgefunden. Ein Bekannter der Frau gerät unter Verdacht. Zwei Freisprüche hebt der Bundesgerichtshof auf. Nun wird zum dritten Mal verhandelt.

Als der Angeklagte am Montagmorgen um kurz nach 9 Uhr den Saal betritt, trägt er ein Baseball-Cap, das durchaus als Statement zu verstehen ist. "Freedom", Freiheit, steht darauf. Seit fünf Jahren wird der Mann verdächtigt, eine Frau getötet zu haben. Zweimal hat ihn das Bremer Landgericht freigesprochen, zweimal wurde das Urteil durch den Bundesgerichtshof aufgehoben. Nun hat der dritte Prozess begonnen.

Darum geht es: Am späten Abend des 25. März 2020 findet ein Anwohner in der Bohnenstraße im Bremer Viertel die Leiche einer Frau: Mina C. Nicht weit entfernt hat die 28 Jahre alte Studentin gewohnt. Die Obduktion ergibt, dass sie nur wenige Stunden zuvor erwürgt wurde.

Der Angeklagte hätte ein Motiv

Schnell fällt der Verdacht auf den gleichaltrigen U. Wenige Tage später wird er verhaftet. Viereinhalb Stunden sagt er bei der Polizei aus und bestreitet, irgendetwas mit dem Tod von Mina C. zu tun zu haben. Es gibt weder Zeugen, die ihn gesehen haben, noch Spuren, die ihn zweifelsfrei überführen. Doch U. hat ein Problem: Er hat ein handfestes Motiv.

Denn kurz vor ihrem Tod gab es Streit zwischen Mina C. und U. Es ging um ausbleibende Mietkosten. Mehrere Monate hatte U. als Untermieter in der Wohnung der jungen Frau gewohnt, während sie sich in Südafrika aufhielt — von Dezember 2019 bis März 2020.

Ärger um Mietzahlungen

Eine Straße mit Wohnhäusern im Bremer Viertel.
In der Bohnenstraße im Bremer Viertel fand ein Anwohner im März 2020 die Leiche von Mina C. Bild: Radio Bremen

U. hat die Miete für mehrere Monate nicht gezahlt. Er ist arbeitslos und steckt offenbar in finanziellen Schwierigkeiten. Zunächst hält er Mina C. hin, verspricht, das Geld bald zu bezahlen. Einmal geht man sogar zusammen zum Automaten, doch der spuckt kein Geld aus. Mina C. wartet also weiter auf ihr Geld und verliert am 25. März schließlich die Geduld. Am späten Vormittag postet sie auf Instagram ein Video, in dem U. äußerst schlecht wegkommt. Sie spricht über seine Mietschulden, behauptet, er habe die Wohnung unordentlich hinterlassen und droht, weitere unangenehme Details zu veröffentlichen. Offenbar haben sich in der Wohnung Mahnbescheide und Inkasso-Briefe angesammelt. Weniger als zwölf Stunden nach diesem Video ist Mina C. tot.

Keine direkten Tatzeugen

Hat U., der nicht vorbestraft ist, nicht als gewalttätig bekannt war, aus diesem Grund Mina C. getötet? Wegen eines Instagram-Videos? Fürchtete er so sehr um seinen Ruf im gemeinsamen Freundeskreis, dass er durchdrehte?

Die Ermittler werten Handydaten aus. Das Ergebnis: U. hätte zeitlich durchaus die Möglichkeit gehabt, Mina C. zu töten. Doch das Zeitfenster, das sich aus den Daten ergibt, ist knapp. Es ist möglich, dass U. der Täter ist, der sichere Beweis aber fehlt. Direkte Tatzeugen, Videoaufnahmen oder ähnliches gibt es weiterhin nicht.

2021 spricht das Landgericht den Angeklagten frei

Dem Landgericht Bremen reicht das nicht, um U. auf dieser Grundlage zu verurteilen. Es spricht den Angeklagten im Sommer 2021 frei. Auch die Staatsanwaltschaft hat einen Freispruch beantragt. Weil aber eine Nebenklägerin Revision einlegt, landet der Fall beim Bundesgerichtshof.

Den überzeugt die Urteilsbegründung nicht, das Urteil wird aufgehoben und nach Bremen zurückverwiesen. Nun muss eine zweite Kammer des Bremer Landgerichts den Fall erneut verhandeln. Im Jahr 2023 steht U. wieder vor Gericht, wieder sagen Zeugen und Sachverständige aus. Die Bremer Staatsanwaltschaft hat nun ihre Meinung geändert. Inzwischen ist sie von der Täterschaft überzeugt, fordert neuneinhalb Jahre Haft wegen Totschlags.

Der Bundesgerichtshof sieht Fehler

Doch das Bremer Landgericht kommt auch im zweiten Durchgang zum gleichen Urteil: Es kann nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass U. der Täter ist, dass er Mina C. umgebracht hat. Ein zweites Mal wird U. freigesprochen.

Zwei Schwurgerichtskammern des Bremer Landgerichts — jeweils drei Berufsrichter und zwei Schöffen — haben also zweimal unabhängig voneinander auf Freispruch erkannt. Doch der Bundesgerichtshof ist auch dieses Mal nicht überzeugt. Wieder hebt er das Urteil auf, wieder sieht er Fehler in der Urteilsbegründung.

Ein ungewöhnlicher Vorgang

Eine Luftaufnahme des Bremer Landgerichts.
Bereits zweimal hat das Bremer Landgericht den Angeklagten freigesprochen – und könnte es theoretisch ein drittes Mal tun. Bild: Radio Bremen

Für Verteidiger Sven Seelkopf ein Vorgang, wie es ihn in der Rechtsgeschichte noch nicht oft gegeben habe. "Der BGH hat sehr stark in die Beweiswürdigung der Instanzgerichte eingegriffen." Das sei sehr ungewöhnlich, so Seelkopf. "Es gilt im Grunde der Standardsatz, dass die Beweiswürdigung Sache der Instanzgerichte ist." Und so steht U. zum dritten Mal vor Gericht. Nun muss die dritte Strafkammer des Bremer Landgerichts den Fall noch einmal komplett neu aufrollen. 13 Verhandlungstage hat sie dafür vorgesehen und wird am Ende ein Urteil fällen, in dem sie zwar die Vorgaben des BGH berücksichtigen muss, den Angeklagten aber trotzdem ein drittes Mal freisprechen kann.

Welche Indizien sprechen für und gegen den Angeklagten?

"Der Bundesgerichtshof kann eine Kammer nicht anweisen, einen Angeklagten schuldig zu sprechen und zu verurteilen", erklärt Gerichtssprecher Benjamin Steinhilber. "Die Kammer wird nun auch im dritten Anlauf eigenständig die Beweise, die sie erhebt, überprüfen und am Ende zu einer autonomen Entscheidung gelangen."

Warum wusch der Angeklagte am Tag nach dem Tod von Mina C. seine Kleidung, inklusive seiner Jacke? Welche Rückschlüsse erlauben seine DNA-Spuren an der Leiche? Und welche weiteren Indizien gibt es, die für oder gegen den Angeklagten sprechen? All das wird sich die Strafkammer noch einmal genau ansehen müssen.

Belastung für alle Beteiligten

Für alle Beteiligten ist dieses Verfahren schon jetzt eine große Belastung. Der Mutter des Opfers war im Gerichtssaal anzusehen, wie sehr sie es belastet, dass der Tod ihrer Tochter noch immer nicht aufgeklärt ist.

Und auch der Angeklagte selbst ist seit fünf Jahren nicht mehr auf die Beine gekommen. Ein Dreivierteljahr saß er in Untersuchungshaft. Mit einem laufenden Verfahren wegen Totschlags im Nacken findet er keinen Job. Und über allem steht die Möglichkeit, dass er doch noch verurteilt wird und wegen Totschlags ins Gefängnis muss.

"Die psychische Belastung für meinen Mandanten ist in diesen fünf Jahren natürlich erheblich gestiegen", sagt sein Anwalt Sven Seelkopf. Egal, wie dieser Fall ausgeht: Es ist ein Verfahren, das am Ende wohl nur Verlierer kennt.

Autor

  • Steffen Hudemann
    Steffen Hudemann Autor

Dieses Thema im Programm: Buten un binnen, 17. März 2025, 19:30 Uhr