Ärger um Bremer Firma Performa Nord: Immer mehr Betroffene melden sich
Immer mehr ehemalige Beamte berichten von Problemen bei der Rückzahlung von Krankheits- und Pflegekosten durch das städtische Unternehmen. Sie fordern Lösungen.
Nach der Berichterstattung von buten un binnen über die verspäteten Rückerstattungen von Beihilfe bei der städtischen Firma Performa Nord melden sich immer mehr Betroffene zu Wort. Teilweise geht es um Beträge, die die 3.000-Euro-Schwelle deutlich überschreiten.
Wie im Fall von Bernd Rosebrock, der über 40 Jahre in der Finanzverwaltung tätig war und nun jeden Tag 13 Tabletten schlucken muss, um gegen seine Krebserkrankung zu kämpfen. Medikamente, die an manchen Monaten Kosten von über 10.000 Euro verursachen. An die Rückerstattung des Beihilfe-Anteils von über 8.000 Euro hat er im Frühjahr gut drei Monate gewartet, wie ein Schreiben bestätigt. Jetzt stehe die nächste aus. Nie hätte er mit einer solchen Situation gerechnet, sagt er.
Das macht mich sprachlos und auch ein bisschen nervös. Meine gesamte Pension geht für Medikamente drauf.
Bernd Rosebrock, ehemaliger Beamter
Oder Hans Mayer, pensionierter Feuerwehrmann, 71 Jahre alt, der inzwischen in Wildeshausen lebt und erzählt, er hätte jüngst sogar einen Kredit aufnehmen müssen, weil er die Kosten für die medizinischen Behandlungen seiner Frau allein nicht finanzieren konnte. Seit Februar hätten sich Rechnungen in Höhe von fast 8.000 Euro angesammelt. "Meine Frau kann bald kein Auge zumachen, sie wollte nicht zur Facharztuntersuchung", sagt er.
Nicht alle Zuschriften konnten überprüft werden, doch die ausstehenden Beträge summieren sich auf über 40.000 Euro. Für die Betroffenen hat das Folgen. So fordern sie Lösungen. Von den Verantwortlichen, von ihrem ehemaligen Arbeitgeber: dem Staat.
Betroffene: Abtretung könnte eine Lösung sein
Für die Bremerin Renate M., die seit über drei Monaten auf die Rückerstattung von etwa 5.700 Euro wartet, wäre die Lösung naheliegend: Dass Ärzte und Kliniken die Rechnungen direkt mit der Beihilfe-Stelle abrechnen. "Unsere Krankenversicherung hat folgendes Verfahren: Wenn man ins Krankenhaus eingeliefert wird, kann man sofort eine Abtretung machen. Ein ähnliches Verfahren wünsche ich mir auch für die Pflegefälle." Das gesamte Beihilfe-Verfahren sei zudem sehr altertümlich, fern jeglicher Digitalisierung.
Alles, was wir so haben, geht eben drauf, um die Pflege zu bewältigen.
Renate M., Ex-Beamtin
Einen ähnlichen Vorschlag macht Nils Winter, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Bremen (GdP): "Wichtig ist, dass es digitalisiert und vereinfacht wird. Und dass die Voraussetzungen für die direkte Abrechnung der Ärzte und Kliniken mit der Beihilfe-Stelle geschaffen werden." Dann müssten sich die Betroffenen keine Sorgen mehr machen, dass die Rechnungen nicht rechtzeitig bezahlt würden, etwa bei bevorstehenden Operationen. Allerdings bremst das Finanzressort: Eine direkte Abrechnung mit Kliniken und Ärzten sei "aufgrund des geltenden Beihilferechts nicht zulässig".
GdP: Problem kommt zeitweise immer wieder
Auch die GdP sei durch Mitglieder über die Probleme informiert gewesen, berichtet Winter. Verzögerungen seien aber kein ganz neues Problem, sagt er. Zeitweise sei in den vergangenen Jahren alles wieder gut gewesen, nun habe sich die Lage jedoch wieder extrem zugespitzt. "Es wiederholt sich immer wieder. Es ist kein neues Problem."
Auf Nachfrage teilt das Finanzressort mit:
Der Zeitraum ab Januar 2021 zeigt, dass die Bearbeitungszeiten stark schwanken. So lag im Juli 2021 die Bearbeitungszeit bei gerade einmal vier Tagen. Im vergangenen Jahr lag die Bearbeitungszeit zwischen 21 und 51 Tagen. Die Schwankungen kann man unter anderem mit den stark schwankenden Eingangszahlen der Anträge erklären.
Ramona Schlee, Sprecherin des Bremer Finanzsenators
Nach buten un binnen-Recherchen sind die Bearbeitungszeiten zuletzt seit Ende 2021 nach und nach länger geworden. Zu den Gründen zählen nach Angaben der Behörde große Personalausfälle und eine Zunahme von Anträgen und Nachfragen.
Für die jetzige Situation hat Winter wenig Verständnis. "Das ist für den einen oder anderen, gerade für unsere Versorgungsempfänger, natürlich brutal. Weil sie nicht wissen, woher sie das Geld nehmen sollen." Allerdings betont er, dies sei keine Kritik an das Personal der Performa Nord. Nach Schilderungen der Betroffenen seien die Mitarbeitenden selbst so überlastet, dass sie nicht wüssten, wie sie es schneller machen sollten.
Gesamtpersonalrat fordert nachhaltige Personalausstattung
Mitte letzten Jahres habe der Personalrat eine personelle Verstärkung für die Beihilfe-Abteilung gefordert, erzählt Lars Hartwig, Vorsitzender des Bremer Gesamtpersonalrats. Die Behörde habe dann zwar die Stellen bewilligt, allerdings habe man sich gewünscht, dies wäre schneller passiert.
Jetzt schlägt der Gesamtpersonalrat vor, dass Menschen, die auf ihr Geld warten, Abschlagszahlungen erhalten. Auch sollte eine "nachhaltige Personalausstattung" erfolgen, damit die Anträge künftig in maximal zwei Wochen bearbeitet werden können. "Wir erwarten jetzt, dass die Kollegen und Kolleginnen, die dort arbeiten, zum einen Entlastung bekommen. Dass sie nicht mehr vor diesen großen Bergen an Anträgen sitzen müssen. Dann wünschen wir uns, dass Leistungsempfänger schnellstmöglich ihr Geld bekommen", so Hartwig.
Dazu sagt die Finanzbehörde, die Personalausfälle aus dem Frühjahr seien nicht vorhersehbar oder planbar gewesen. "Die Reaktion der Performa Nord erfolgte angemessen", so die Sprecherin Ramona Schlee. Die drei zusätzlichen Arbeitskräfte seien bereits im September eingestellt worden. Inzwischen seien drei weitere Stellen in der Beihilfe-Abteilung bewilligt worden. Auch sollen Unterstutzungskräfte aus anderen Bereichen der Verwaltung hinzukommen. Abschlagszahlungen im Bereich Pflege sollen zudem verstärkt gewährleistet und Verfahren verschlankt werden.
SPD-Politiker: Alternativen zum jetzigen Verfahren suchen
Für Arno Gottschalk, SPD-Politiker und Betriebsausschuss-Mitglied bei Performa Nord, ist klar, dass das aktuelle Verfahren "nicht geeignet ist, um den Stau abzubauen". Inzwischen schaue man sich nach Alternativen um. Eine Möglichkeit wäre, ein sogenanntes risiko-orientiertes Verfahren einzuführen. Damit könnten Anträge bis zu einem bestimmten Betrag ohne weitgehende Überprüfungen erstattet und dann stichprobenartig geprüft werden. Laut dem SPD-Politiker soll der Senat den Vorstoß demnächst beraten.
Gleichzeitig könnte man laut Gottschalk an die Nutzung von Softwares mit Elementen der künstlichen Intelligenz denken, wie private Krankenversicherungen sie teilweise bereits einsetzten. "Auch in Bremen gibt es Firmen, die solche Systeme herstellen", fügt er hinzu. Das Problem allein durch mehr Arbeitsstellen in der Abteilung zu lösen, ist offenbar schwierig. Nicht zuletzt, weil Mitarbeitende durch den herrschenden Fachkräftemangel nicht so schnell zu finden seien.
FDP-Politiker: Situation ist unhaltbar
Für Marcel Schröder, FDP-Politiker und ebenfalls Mitglied im Betriebsausschuss der Performa Nord, ist die derzeitige Situation "unhaltbar".
Es kann nicht sein, dass die Menschen, die das Land selbst beschäftigt, unverschuldet in finanzielle Notlagen geraten, weil sie zum Beispiel ihre Arztrechnungen nicht rechtzeitig erstattet bekommen.
Marcel Schröder, FDP-Politiker
Der FDP-Politiker schlägt vor, eine "Task-Force mit zusätzlichem Personal einzurichten" und eventuell Werkstudenten einzuarbeiten. Die Digitalisierung voranzutreiben sei wichtig, genauso wie sich Beispiele aus anderen Bundesländern und der Wirtschaft anzuschauen, allerdings sei die Digitalisierung ein "komplexes Unterfangen, das keine kurzfristige Abhilfe schaffen kann und erst mittelfristig Wirkung zeigen wird".
Dass ein digitales Verfahren Abhilfe schaffen könnte, sieht die Finanzbehörde ebenso ein. Wenn alles nach Plan läuft, könnten Beihilfe-Anträge etwa ab 2025 digital und per App eingereicht werden können. Die komplette Digitalisierung der Bearbeitung werde ebenfalls angestrebt, sei aber ein komplexes Verfahren – also nicht kurzfristig umsetzbar.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 22. Juni 2023, 19:30 Uhr