Interview

Ex-Leuchtturmwärter über extremen Wind: Es ist "schwierig zu atmen"

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24 Jahre lang war Thomas Bickhardt auf einem Leuchtturm in der Nordsee zu Hause. Im Interview spricht er über Sehnsüchte, Extremwetter und ein Leben voll Veränderungen. 

Schon als Kind hat Thomas Bickhardt von einem Leben im Leuchtturm geträumt. Auf einer steilen Klippe in Norwegen, vom Nordmeer umspült. Mit Anfang dreißig konnte er diesen Traum verwirklichen. Der gelernte Seemann mit Psychologiestudium wanderte an die Westküste Skandinaviens aus und übernahm dort den Job des Leuchtturmwärters. Er heiratete, eröffnete ein Hotel im sturmausgesetztesten Haus Norwegens und wurde Vater. Jetzt – dreißig Jahren später – lebt er wieder in Norddeutschland. Bei 3nach9 blickt er auf seine Zeit als Leuchtturmwärter zurück.

Thomas Bickhardt, Sie sind inzwischen aus Norwegen zurück in Norddeutschland. Wie oft sehnen Sie sich noch nach Ihrem Leben auf dem Leuchtturm? 

Ich habe das Gefühl, ich bin durchtränkt von den dreißig Jahren. Und das lebt in mir weiter. Das sind Bilder, Gerüche, Stimmungen und Erinnerungen. Ich muss das alles aber nicht mehr um mich haben. Deswegen: Nicht so oft. Ich trage das alles in mir und habe es immer dabei. 

Windstärken werden eigentlich auf einer Skala von 0 bis 12 gemessen. Sie haben aber mehr erlebt?

Der Wind hält sich nicht an Skalen. Ich habe sehr viel Wind erlebt – bis zur Stärke 15. Das war 2014 und war wirklich enorm. Ob man dann noch raus gehen kann, kommt wirklich drauf an – zum Beispiel, aus welcher Richtung der Wind kommt. Es gibt Windrichtungen, wo auch ich den Leuchtturm nicht mehr verlassen habe. Grundsätzlich sollte man ab Windstärke 11 drinnen bleiben, wenn man sich nicht sehr gut auskennt. 

Wie fühlt sich es an, wenn man dann trotzdem draußen ist? 

Diese Frage bekomme ich immer wieder gestellt. Ich sage dann: Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit einem Auto bei 120 km/h auf der Autobahn. Und dann überholt Sie ein Haus mit 180 km/h. Der Winddruck ist dann ungefähr der, der auf diesem Haus wäre. 
 
Schon ab Windstärke 11 ist es draußen schwierig zu atmen, weil die Luft mit einer sehr großen Geschwindigkeit an einem vorbeizieht. Man muss also wirklich mit Kraft einatmen. Auch alltägliche Dinge, wie zum Beispiel den Müll raus bringen, kann eine große Herausforderung sein. Und so ein Wind hat oftmals mehrere Wochen gedauert.  

Wie sind Sie überhaupt an diese Stelle im Leuchtturm gekommen? 

Die Anlage stand damals – 1994 – leer. Die Gemeinde und die Betreiber mussten etwas damit anstellen. Und ich wollte nach meinem Studium unbedingt nach Norwegen ziehen und habe ein Haus am Meer gesucht. Und mein Haus wurde dann der Leuchtturm. Mit der Auflage, dass ich mich um ihn kümmern musste.  
 
Das Handwerkliche habe ich mir nach und nach selbst beigebracht. Es war immer viel zu tun. Irgendwann war das einer der Gründe, warum ich mit 60 Jahren gesagt habe: Für mich ist jetzt Schluss.  

Porträt von Thomas Bickhardt vor einem Meer mit Felsbucht.
Thomas Blickhardt auf seinem Leuchtturm in Norwegen. Bild: Ananda Bickhardt

Sie sagen auch: Es war schwer, in Norwegen enge Freundschaften zu schließen. Woran lag das? 

Ich würde das keinesfalls für ganz Norwegen sagen. Nur für die Gegend, in der ich war. Meiner Erfahrung nach war es vor allem für Männer schwer, Gefühle zuzulassen und über innere Dinge zu sprechen. Mir als Psychologe ist gerade das aber wichtig.  
 
Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, woran das liegen könnte. Noch immer ist das Leben in den Küstenregionen sehr rau. Zum Beispiel verabschieden sich die Frauen nicht von ihren Männern, die auf See fahren. Weil das Risiko so groß ist, dass den Männern etwas passiert. Gefühle wie Angst und Sorge werden also gar nicht erst zugelassen.  

Neben Ihrem Job als Leuchtturmwärter haben Sie auch Menschen gecoacht, die seekrank sind. Machen Sie das immer noch?

Ich forsche seit dreißig Jahren zu diesem Thema. Menschen, die seekrank sind zu helfen, ist ein Prozess. Es wird immer wieder gesagt, das sei Einstellungssache. Aber das stimmt nicht. Eigentlich ist Seekrankheit ein Versuch unseres Nervensystems, uns am Leben zu halten. In so einem Prozess lernen Betroffene dann zum Beispiel, ihre Augen aus dem Gleichgewichtsprozess herauszunehmen – so, dass auch sie irgendwann auf See können.  

Das Interview führte Giovanni di Lorenzo für 3nach9, verschriftlicht wurde es von Pamina Rosenthal für butenunbinnen.de.

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Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: 3nach9, 28. Juni 2024, 22 Uhr