Wieder Freude am Lesen finden? Eine Bremer Lektorin gibt 5 Tipps
Zwischen Alltagshektik und Arbeitsstress bleibt vielen Menschen wenig Zeit zu lesen. Wir geben Tipps, wie Sie zwischen den Jahren wieder zum Buch finden.
Lesen – eine Freizeitbeschäftigung für die angeblich immer weniger Menschen Zeit und Muße finden. Dabei geben immerhin 46 Prozent der Deutschen an, eine Leseratte zu sein. Das zeigt zumindest eine Yougov-Umfrage, die zum Welttag des Buches im April 2022 in Zusammenarbeit mit Statista erstellt worden ist.
Jedoch gibt es bei dieser Aussage ein Gefälle zwischen den Geschlechtern. 54 Prozent der Frauen gaben an, gerne zu lesen und 38 Prozent der Männer. Mehr als die Hälfte aller Befragten hat nach eigenen Angaben als Kind viel gelesen. Jetzt sei das weniger geworden. Wie schaffen wir es, das Lesen mehr in den Alltag zu integrieren? Und warum lesen Erwachsene überhaupt so selten?
Unsere Fragen hat uns Caroline Simonis beantwortet. Denn ihr Beruf ist es zu lesen, sie ist Lektorin beim Bremer Carl Schünemann-Verlag.
Simonis schätzt an Büchern vor allem, dass sie so vieles können, was anderen Medien nicht möglich ist. "Jeder kann in ein Buch etwas von sich reingeben. Charaktere werden zwar beschrieben, aber jeder hat seine eigene Vorstellung – das ist sehr wertvoll", sagt Simonis.
Ich glaube nicht, dass das Buch tot ist!
Caroline Simonis, Lektorin beim Schünemann-Verlag Bremen
1 Schaffen Sie sich ein Zeitfenster zum Lesen
Oft ist es nicht so einfach, mit dem Lesen wieder anzufangen, wenn es eine längere Pause gab – diese Erfahrung macht selbst Simonis als Lektorin. "Dann kann der Start schwierig sein und man muss sich die Zeit aktiv abknapsen", sagt sie. Dennoch sei das ihr erster Tipp: Einfach ein wenig Zeit am Tag nehmen, um zu lesen – und wenn es nur die zehn Minuten sind, bis das Nudelwasser kocht. "Einfach ins Regal greifen und anfangen ist der beste Beginn", sagt sie.
2 Worauf habe ich Lust?
Gerade wenn man länger nicht mehr viel gelesen hat, empfiehlt Simonis, vorab zu überlegen, worauf man Lust hat. "Mit den Buddenbrooks würde ich vielleicht nicht unbedingt anfangen. Es darf ruhig sogenannte leichte Kost oder eine Reihe sein. Da kennt man die Charaktere und will wissen, wie es ihnen so ergeht. Und man weiß, was einen erwartet." Natürlich sei es individuell sehr unterschiedlich, was man gerne lese, aber man solle sich nicht durchquälen, wenn es nicht passe. Was sie schon zum nächsten Tipp bringt.
3 Ruhig ein Buch weglegen und nicht weiterlesen
Früher sei ihr das zwar unglaublich schwergefallen, aber trotzdem: Wenn ein Buch beim Lesen nichts als Ärger bringt oder auf Seite 246 immer noch das Gefühl besteht, nicht in die Geschichte eintauchen zu können, dann ist es in Ordnung, dieses Buch wegzulegen. "Ich habe mal ein Buch gelesen, über das ich mich so geärgert habe. Ich fand es schrecklich – und irgendwann habe ich mich gefragt: 'Warum lese ich es eigentlich noch, wenn es mir doch gar nicht gefällt?'", erzählt Simonis. Oft hätten Bücher, die beim Lesen Freude bereiten, den Ruf "leichte Kost" zu sein und das habe einen negativen Beigeschmack. Doch das hält Simonis für Quatsch: "Die Leute sollen lesen, was ihnen Freude macht!"
Natürlich könne an sich mit einem Buch auch herausfordern – aber vielleicht ist das eher etwas, wenn wieder mehr Routine in den Lesealltag getreten ist.
4 Einen Buch-Club gründen
Wenn es jemandem schwerfällt, sich alleine ein Ziel zu setzen und ein Buch zu lesen, könne laut Simonis auch ein Buch-Club helfen. "Für manche Menschen kann das funktionieren", sagt sie. Dann sei klar, um über das Buch beim nächsten Treffen zu sprechen, muss es vorher gelesen werden.
5 Sich gegenseitig vorlesen
Egal ob im Freundeskreis, den Kindern oder in einer Partnerschaft, sich gegenseitig Vorlesen kann auch helfen, sich wieder für Bücher zu begeistern. Für Kinder sei es sowieso wichtig – gerade für die Bindung, Fantasie und Kreativität. Aber natürlich auch für das Sprachverständnis und später die Lesekompetenz.
Doch auch Erwachsene können noch davon profitieren, selbst wenn sie sich mit Kinderbüchern befassen. "Vorlesen ist ja sehr heimelig. Das fördert das Beisammensein und ist ein schönes Ritual, ums Lesen geht es da ja gar nicht ausschließlich", sagt Simonis.
Außerdem könne das Vorlesen Kindern und Jugendlichen vermitteln, wie viel Freude das Lesen macht. Jedes Jahr gibt der medienpädagogische Forschungsverbund Südwest die sogenannte JIM-Studie heraus. Sie untersucht die Mediennutzung von Jugendlichen. Das Leseverhalten von Jugendlichen ist von Anfang an fester Bestandteil der Befragung.
Zwar sei der Anteil an Zwölf- bis 19-Jährigen, die regelmäßig in ihrer Freizeit Bücher lesen, in der langfristigen Betrachtung von etwa zwei Fünftel auf ein Drittel gesunken – doch dieser Wert sei in den letzten Jahren recht konstant geblieben, schreiben die Autoren der Studie.
Mehrheit der Deutschen liest gerne auf Papier
Generell gehe es dem Buchmarkt laut Simonis aktuell nicht schlecht, zwar sei die Situation durch die rasant steigenden Papier-Preise und die teuren Energiekosten schon schwierig, der Umsatz jedoch stabil. "Es kaufen zwar weniger Leute Bücher, aber die dafür mehr", erzählt sie.
Ihrer Einschätzung nach nimmt der E-Book-Trend eher ab. Das zeigt auch die Yougov-Umfrage, denn die Mehrheit der Deutschen – nämlich 52 Prozent – liest ihre Bücher am häufigsten in gedruckter Form. 14 Prozent nutzen häufiger ein E-Book und elf Prozent nutzen Bücher in gedruckter Form genauso häufig wie das E-Book.
Es lebe das Buch!
Spannend wird es laut Simonis, wenn der Markt des Selfpublishing so weiter wachse. "Das ist ein boomender Markt und es wird bestimmt noch eine Weile so bleiben", sagt Simonis. Sie ist sich sicher, dass das Buch und das Lesen niemals ganz verschwinden werden.
Menschen, die das Buch totsagen, haben noch nicht das richtige Buch gefunden.
Caroline Simonis, Lektorin beim Schünemann-Verlag Bremen
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 23. Dezember 2022, 19:30 Uhr