Interview

Kann jeder singen lernen – auch im Erwachsenenalter?

Warum diese Bremerinnen und Bremer gerne singen

Bild: Imago | Funke Foto Services

"Singen ist wie Ausatmen – nur in schön", sagt die Bremer Gesangslehrerin Sonja Gebert. Sie verrät im Interview, worauf es beim Singen ankommt – und warum das Alter keine Rolle spielt.

Beim Singen zähle vor allem das Talent, heißt es oft. Eine Bremer Gesangslehrerin widerspricht. Sonja Gebert ist ausgebildete Opernsängerin und Gesangspädagogin und gibt seit 2018 Gesangsunterricht in Bremen. Die 37-Jährige begleitet Menschen dabei, ihre Stimme zu entdecken – unabhängig von Alter, Erfahrung oder vermeintlichem Talent. Im Interview teilt sie ihre Erfahrungen aus dem Gesangsunterricht und erklärt, worauf es beim Singen besonders ankommt.

Bremer Gesangslehrerin Sonja Gebert.
Gesangslehrerin Sonja Gebert ist überzeugt: Alle können singen. Bild: Patric Leo

Frau Gebert, kann jeder Mensch das Singen erlernen?

Definitiv ja! Jeder startet jedoch mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Beim Singen ist der ganze Körper das Instrument: die Stimmbänder natürlich, aber auch die Zunge, der Kiefer, die Bauch- und Rückenmuskeln und die Körperhaltung. Manchmal haben die Stimmbänder ein Problem, zum Beispiel ist eines stärker als das andere. Oder der Rücken ist nicht gesund. Mit der richtigen und gesunden Gesangstechnik kann man aber trotzdem singen. Es ist wie beim Sport: Jeder kann Basketball spielen, aber manche Menschen haben vorteilhaftere körperliche Eigenschaften als andere. Und es ist durchaus möglich, auch mit einer Verletzung zu spielen, wenn man sein Spiel entsprechend anpasst. Jeder kann also singen lernen, und man muss üben, um zu wissen, was man drauf hat. Wahrscheinlich hatten die Menschen, die auf der Bühne stehen und das Singen zu ihrem Beruf gemacht haben, von vornherein eine gute körperliche und stimmliche Konstitution.

Wie wichtig ist Talent?

Talent ist natürlich super, es kann helfen, schneller voranzukommen oder länger motiviert zu bleiben. Aber es ist sicher nicht alles.

Das größte Talent nützt nichts, wenn man nicht bereit ist, Zeit und Fleiß zu investieren.

Sonja Gebert, ausgebildete Opernsängerin und Gesangspädagogin

Man muss sich fit halten, an sich selbst arbeiten und jeden Tag seine Übungen machen. Eine gute und gesunde Gesangstechnik – das ist das A und O, um gut singen zu lernen.

Was braucht es sonst noch, um gut singen zu können?

Die Freude am Singen ist sehr wichtig – und dass man seine Stimme kennenlernen möchte. Irgendwann kommt immer der Punkt, wo es an die Emotionen geht. Es gibt kein so intimes Instrument wie die Stimme selbst. Wenn beispielsweise bei einer Geige die Tonlage nicht stimmt, dann stimmt man sie. Wenn beim Singen etwas nicht funktioniert, dann hängt das mit uns zusammen, davon wie müde wir sind oder wie viel Stress wir haben. Wichtig ist auch ein Verständnis für das, was in meinem Körper passiert. Wo spüre ich Resonanz? Kann ich ein Gefühl für mich selbst entwickeln, kann ich Spannungen im Körper feststellen? Wie ist meine Körperhaltung? Was spüre ich muskulär beim Ein- und Ausatmen?

Kann man Gesang in jedem Alter noch erlernen?

Ich habe selber viele Schüler, die erst im höheren Alter zu singen beginnen. Viele haben ein kleines Trauma zu bewältigen, weil sie in der Schule immer gehört haben, dass sie nicht singen könnten. Dann braucht es oft seine Zeit, um sich dem zu stellen. Natürlich verändert sich viel im Alter, die Konstitution ist anders, die Muskulatur lässt nach. Aber wenn man dabei bleibt und regelmäßig übt, ist es nie zu spät dafür.

Was haben Sie für Tipps für Einsteiger?

Einen guten Gesangslehrer suchen, dem man vertraut. Man sollte aber unbedingt den Mut haben, den Lehrer zu wechseln, wenn man sich nicht wohl fühlt. Auch toll sind Chöre. Bremen hat eine große Chorlandschaft und viele gute Chorleiter. Generell sollte man beim Singen immer auf den Atemfluss achten und nicht mit Druck auf Kehlebene singen. Das bedeutet grob gesagt, dass ein Klang durch Schwingungen der Stimmlippen, mit Hilfe des Atemstroms, entsteht und nicht durch ein hartes Zusammenpressen der Stimmlippen und ein Fixieren der Kehlmuskulatur. Ich sage immer: Singen ist Ausatmen, nur in schön.

Kann heutzutage jeder mit Auto-Tune singen, also auch schlechter Gesang gerettet werden?

Auto-Tune ist da, um die Tonhöhe anzupassen und kleine Schönheitsfehler auszubessern. Aber es ist kein Ersatz für eine gute und gesunde Gesangstechnik. Die sollte man nicht wegen Auto-Tune vernachlässigen.

Wenn man gegen stimmliche Probleme mit Technologie angeht, verschleiert man die Probleme und geht die Ursache nie an.

Sonja Gebert, ausgebildete Opernsängerin und Gesangspädagogin

Allerdings kann man Auto-Tune auch als Effekt oder spezielles Hörerlebnis einsetzen. So hat es zum Beispiel auch Cher gemacht – und die kann ja durchaus gut singen.

Was gibt es noch für technische Hilfsmittel, die Einsteigern helfen?

Um überhaupt mal mit der eigenen Stimme in Kontakt zu kommen, gibt es inzwischen viele Apps, wo man beispielsweise Songs einsingen kann, und jemand am anderen Ende der Welt singt mit. Dadurch kann man spielerisch mit dem Singen beginnen. Das Gleiche gilt für Karaoke, um mal zu sehen, was gut an meiner Stimme funktioniert, wo ich mich wohlfühle, und auch, was ich gern singe.

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Autor

  • Lukas Scharfenberger

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. Januar 2025, 19.30 Uhr