Gutachter: Jede Reanimation war wie ein Rausch für ihn

Ein Jahr nach dem Mordurteil gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel erzählt der Prozess-Gutachter, was ihn zum größten Serienmörder der Nachkriegszeit gemacht hat. Was trieb ihn an, als er seinen Patienten eine lebensgefährliche Dosis eines Herzmedikaments spritzte?

Bild: Radio Bremen

Noch immer findet die Polizei neue Opfer des Delmenhorster Krankenpflegers auf den Friedhöfen der Region. Rund 200 Verdachtsfällen gehen die Beamten nach. Es sind ehemalige Patienten, die Niels Högel zu Tode spritzte. Vor einem Jahr wurde er für einen Teil seiner Taten verurteilt. Wenn sich seine eigenen Angaben bewahrheiten, dann ist er wohl der größte Serienmörder seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Seine Opfer kannte er kaum. Eher zufällig wählte Krankenpfleger Niels H. die Patienten aus, denen er absichtlich ein zu starkes Herzmedikament spritzte – oft in tödlicher Dosis. Im Grunde genommen fand er es sehr eigentümlich, dass das niemandem aufgefallen ist, berichtet Konstantin Karyofilis. Er ist forensischer Psychiater in Oldenburg und sollte für das Gericht einschätzen, ob Niels Högel psychisch gestört ist. Im Prozess wurde der Gutachter zur wohl wichtigsten Person. Ihm gestand der Angeklagte vor gut einem Jahr die Taten – in einem Vier-Augen-Gespräch. Die Männer redeten stundenlang – trafen sich an mehreren Tagen.

Er hat immer erklärt, und das halte ich auch für plausibel, dass es ihm nicht darum gegangen ist, dass Menschen zu Schaden kommen, geschweige denn sterben, sondern dass es ihm darum gegangen ist, diese Reanimationssituation zu erleben und erfolgreich zu bewältigen.

Konstantin Karyofilis, Gutachter

Reanimationen beherrschte Niels Högel wie kaum ein anderer auf der Intensivstation des Klinikums Delmenhorst. Wenn er Menschen zurück ins Leben holte, war es wie ein Rausch, der ihn für Tage in Hochstimmung versetzte, sagte er dem Gutachter.

Ich denke, das ist so ein bisschen vergleichbar mit so einem Drogen-Abhängigen, der am Anfang noch den Kick merkt, wenn die Droge sein Gehirn durchflutet. Ab einer gewissen Zeit geht’s nicht mehr darum, sich besonders gut zu fühlen, sondern keine Entzugserscheinungen mehr zu haben.

Konstantin Karyofilis, Gutachter

Und so wurde aus dem Krankenpfleger – der Mörder Niels Högel. Um seine Sucht zu befriedigen, brauchte er Notfälle – mehr als üblich. Also half er nach. Etwa 100 Mal – wobei 30 Patienten gestorben seien, sagte er vor Gericht. Der Rausch war für ihn auch Flucht aus den teils schweren Depressionen und Ängsten, unter denen er litt, erzählt der Gutachter.

Er hat ein sehr fassadenhaftes Leben geführt. Hat sich sehr wenig um seine privaten Angelegenheiten gekümmert. Hat zwischendurch dann ja auch Medikamente genommen. Das war so ein ganz rastloses, ruheloses Leben, in dem es kaum noch einen Bereich gab, in dem er mal Zufriedenheit oder Ausgeglichenheit erlebt hat.

Konstantin Karyofilis, Gutachter

Der Fall ist auch deshalb so heikel, weil im Klinikum Delmenhorst niemand etwas bemerkte. Und das, obwohl sich die Sterberate auf der Intensivstation in kürzester Zeit verdoppelte. Ungestört konnte Niels Högel vergiften und töten, kein Kontrollsystem hielt ihn auf.

Die Patienten waren für den Pfleger nur Mittel zum Zweck – von Maschinen am Leben gehalten, ohne Gesicht, ohne Namen. Erst nach 2,5 Jahren ertappte ihn eine Kollegin auf frischer Tat. Die wohl größte Mordserie der Nachkriegszeit endete an diesem Tag.

Als er dann bei dem letzten Vorfall entdeckt wurde und dann ja auch sofort seinen Job verloren hat, gab’s dann ja auch einen völligen Zusammenbruch.

Konstantin Karyofilis, Gutachter

Alkohol. Psychiatrie. Auch seine Ehe ging in die Brüche. Voll schuldfähig sei er, entschied Gutachter Konstantin Karyofilis. Und so verurteilte ihn das Landgericht Oldenburg zu lebenslanger Haft. Zwischen 20 und 25 Jahren wird er wohl sitzen müssen. Als Pfleger darf Niels Högel übrigens nie wieder arbeiten.

Er hat sich eben auch dazu entschlossen, dass es ja auch noch eine andere Ebene gibt, auf der er weiterleben möchte. Es gibt ja Angehörige, zu denen er Kontakt hat und auch gerne Kontakt haben möchte. Und er hat eben schon die Vorstellung, dass er ja auch irgendwann entlassen wird, und dann nochmal ein paar Jahre in Freiheit leben kann.

Konstantin Karyofilis, Gutachter

Abgeschlossen ist der Fall aber noch längst nicht. Noch immer werden weitere Opfer identifiziert. Und so gilt es als sicher, dass sich Niels Högel für seine Taten erneut vor Gericht verantworten muss.

Autor

  • buten un binnen-Reporter Uwe Wichert steht vor dem Klinikum Links der Weser.
    Uwe Wichert

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 25. Februar 2016, 19:30 Uhr

Archivinhalt