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Wackelt das Bürgergeld? Bremer Forscher rechnet mit einem Kompromiss

Streit um Einführung des Bürgergeldes: Das sagen Bremer Abgeordnete

Bild: Imago | Lobeca/Felix Schlikis

Der Bundestag stimmt Donnerstag über das Bürgergeld ab. Die Union droht, das Gesetz zu blockieren. Ein Bremer Forscher erklärt, wie weit die Ampel der CDU entgegen kommen muss.

Geht es nach der Bundesregierung, so wird Hartz IV mit dem Jahreswechsel Geschichte sein. Das Bürgergeld soll das derzeitige Arbeitslosengeld II ersetzen und zugleich eine große Sozialreform einläuten. Sie soll Arbeitssuchende besser stellen als derzeit und ihnen neue Aus- und Weiterbildungsperspektiven eröffnet. Ein entsprechender Gesetzesentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lag bereits vor der letzten Bundestagssitzung im Oktober vor.

Doch gegen genau diesen Entwurf regte sich großer Widerstand, insbesondere aus den Unionsfraktionen. CDU und CSU drohten damit, das Gesetz im Bundesrat zu blockieren. Dort haben die unionsgeführten Länder eine Mehrheit. Die Ampel kann das Bürgergeld daher nicht ohne Zustimmung der Union durchdrücken – und hat ihren Gesetzesentwurf folglich in einigen Punkten überarbeitet. Dennoch bleibt fraglich, ob die neue Fassung, über die der Bundestag am 10. November abstimmt, anschließend auch den Bundesrat passieren wird. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) glaubt nicht daran.

Im Kern bemängeln die Unionsfraktionen insbesondere zwei wesentliche Bestandteile der Reform: die Vertrauenszeit und das Schonvermögen Arbeitssuchender. Was konkret die Union daran stört und wie mögliche Kompromisse beim Bürgergeld aussehen könnten, darüber hat buten un binnen mit der Bremer CDU-Bürgerschaftsabgeordneten und Sozialpolitikerin Sigrid Grönert sowie mit dem Sozialforscher René Böhme von der Uni Bremen gesprochen.

Sigrid Grönert, CDU-Abgeordenete, in einem Interview.
Sieht das Prinzip des "Förderns und Fordern" durch das Bürgergeld-Gesetz der Ampel gefährdet: Sigrid Grönert. Bild: Radio Bremen

Was kritisieren CDU und CSU an der Vertrauenszeit, die Arbeitssuchende zu Beginn ihres Bürgergeld-Bezugs genießen sollen?

Das Bürgergeld-Gesetz der Ampel sieht vor, dass Arbeitssuchende mit dem Jobcenter einen Kooperationsplan verabreden. Am Anfang des Vertrags steht eine halbjährige "Vertrauenszeit", in der den Betroffenen kaum Leistungskürzungen drohen – nämlich nur dann, wenn sie mehrfach einen Termin beim Jobcenter versäumen. In diesem Fall ist eine zehnprozentige Leistungskürzung möglich. Erst nach sechs Monaten drohen Arbeitssuchenden weitere Leistungskürzungen bei Pflichtverletzungen, beispielsweise dann, wenn sie eine zumutbare Stelle nicht antreten.

Der Union reicht dieser Vertrauensvorschuss für Bürgergeld-Empfänger zu weit. So spricht die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Sigrid Grönert von einer "Schwächung des Prinzips "Fördern und Fordern". Noch weiter geht CSU-Chef Markus Söder. Er sagte mit Hinblick darauf, dass Sanktionen wegfallen werden, es sei "völlig absurd", dass trotz Arbeitskräftemangels "nicht einmal die Möglichkeit bestehen könnte, jemanden zu motivieren, eine Arbeit anzunehmen".

Was hat es mit dem "Schonvermögen" beim Bürgergeld auf sich, und was kritisiert die Union daran?

In den ersten 24 Monaten des Bürgergeld-Bezugs sollen die Leistungen grundsätzlich gewährt werden, sofern die Betroffenen über kein "erhebliches Vermögen" verfügen. Als Grenze dafür gelten 60.000 Euro für den Leistungsbezieher und 30.000 Euro für jeden weiteren Menschen in der Bedarfsgemeinschaft. Auch das langfristige Schonvermögen soll auf 15.000 Euro erhöht werden.

Zum Vergleich: Für Hartz IV-Empfänger liegt der Grundfreibetrag des Schonvermögens derzeit bei 150 Euro pro Lebensjahr. Die gleiche Summe steht jeder weiteren Person der Bedarfsgemeinschaft zu. Hinzu kommen verschiedene weitere Freibeträge, etwa für einen angemessenen Hausrat, ein angemessenes Kraftfahrzeug oder für selbstgenutztes Wohneigentum. Unterm Strich aber ist das Schonvermögen eines Hartz IV-Empfängers deutlich niedriger als es das eines Bürgergeld-Empfängers sein wird.

Dazu sagt Sigrid Grönert von der Bremer CDU: "Die Höhe des Schonvermögens ist mit 60.000 Euro pro Kopf und 30.000 Euro für jede weitere Person im Haushalt eindeutig zu hoch." Sie fürchte, dass die zweijährige Karenzzeit für ein hohes Schonvermögen "zur Brücke in den Ruhestand“ werden könne. "Das wäre auch angesichts des Fachkräftemangels schlecht für den gesellschaftlichen Zusammenhalt", argumentiert Grönert.

Ein Mann steht vor der Agentur für Arbeit
Das Bürgergeld soll auch dazu beitragen, das Miteinander der Agentur für Arbeit und der Jobcenter mit Arbeitssuchenden vertrauensvoller zu gestalten. Bild: Imago | Eckhard Stengel

Gibt es auch Aspekte am Bürgergeld, die in der Union auf Zustimmung stoßen?

Weitgehend einig ist man sich in der Union darin, dass die geplante Anhebung der Regelsätze von derzeit 449 Euro für Hartz IV-Empfänger auf 502 Euro angemessen sei. Das sagt auch Sigrid Grönert aus der Bremer CDU-Bürgerschaftsfraktion und verweist auf die hohe Inflation.

Richtig findet sie zudem, dass Geringqualifizierte künftig auf dem Weg in eine abgeschlossene Berufsausbildung mehr Unterstützung erfahren sollen. Zum Hintergrund: Sollen Hartz IV-Empfänger vorrangig möglichst schnell in irgendeinen Job vermittelt werden, so sollen Bürgergeld-Empfänger mehr Chancen auf Ausbildungen, Weiterbildungen und damit auf Berufsabschlüsse erhalten, auch mit staatlicher Förderung.

Sigrid Grönert findet das gut. So sagt sie beispielhaft: "Die Öffnung, einen Berufsabschluss künftig in drei statt in zwei Jahren nachholen zu dürfen, wird vielen Alleinerziehenden sehr entgegenkommen." Auch die Neuausrichtung, in den Jobcentern zu mehr Arbeit auf Augenhöhe zu kommen, sei ein gutes Vorhaben, findet die Bremer CDU-Abgeordnete.

René Böhme
Sieht im Bürgergeld einen Fortschritt gegen über Hartz IV: René Böhme. Bild: privat

Trotzdem möchte die CDU, wie Friedrich Merz vorgeschlagen hat, zunächst schnell die Hartz IV-Sätze auf 502 Euro anheben – und dann unabhängig davon mit der Ampel neu über das Bürgergeld verhandeln. Könnte es darauf hinauslaufen?

Die Ampel-Koalition hat bereits abgewunken. Man sei bei den Änderungen des Bürgergeld-Gesetzentwurfs den Ländern bereits weit entgegengekommen, so Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Er wolle am 1. Januar als Starttermin für das Bürgergeld festhalten.

Tatsächlich glaubt auch der Bremer Sozialforscher René Böhme vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen nicht, dass Hubertus Heil einer späteren Einführung des Bürgergelds als zum Jahreswechsel doch noch zustimmen wird. Denn es handele sich beim Bürgergeld um ein Prestigeobjekt des Arbeitsministeriums. Eine Einführung des Bürgergelds zu einem späteren Zeitpunkt wäre eine empfindliche Niederlage für Heils Ministerium, so der Wissenschaftler. Er kann sich satt dessen weitere inhaltliche Zugeständnisse der Ampel vorstellen.

Dennoch ist klar: Sollte die Union das Bürgergeld-Gesetz im Bundesrat blockieren, so erscheint ein Start des Bürgergelds mit dem 1. Januar derzeit unwahrscheinlich.

Wie könnten inhaltliche Zugeständnisse der Ampel an die Unionsfraktionen konkret aussehen?

Sigrid Grönert aus der Bremer CDU-Bürgerschaftsfraktion fordert, "weiterhin mehr Mitwirkungspflichten, die auch durchgesetzt werden können." Mit anderen Worten: Die Ampel solle von der sechsmonatigen Vertrauenszeit zu Beginn des Bürgergeld-Bezugs abrücken und an Sanktionen festhalten. Auch stößt sich Grönert an der Karenzzeit von zwei Jahren, in der das aus ihrer Sicht ohnehin zu hohe Schonvermögen nicht angetastet werden soll.

Der Bremer Sozialforscher René Böhme hält denn auch für denkbar, dass die Ampelkoalition der Union letztlich eine kürzere Karenzzeit vorschlagen wird, beispielsweise von 12 oder 18 statt von 24 Monaten. "Auch das Schonvermögen könnte am Ende kleiner ausfallen als derzeit von der Ampel geplant", so Böhme. Denkbar wäre aus seiner Sicht schließlich auch ein Kompromiss bei der Wohnungsgröße.

Zur Erklärung: Im Unterschied zu Hartz-IV-Empfängern sollen Bürgergeld-Empfänger zwei Jahre in ihren Wohnungen bleiben können, auch wenn diese eigentlich zu groß ist. So möchte die Regierungskoalition den Druck von Arbeitssuchenden nehmen, sich schnellstmöglich eine neue, billigere Wohnung zu suchen. Allerdings zeigt sich die Ampel in einem neueren Entwurf ihres Bürgergelds zu Zugeständnissen bei den Heizkosten bereit, die nun mehr nur noch in "angemessener Höhe" übernommen werden sollen. Was eine angemessene Höhe ist, wird in dem Entwurf nicht ausgeführt.

Was hält Sozialforscher René Böhme vom Bürgergeld und den Kompromissen, die sich dazu anbahnen, was sagen Sozialverbände dazu?

Böhme betrachtet das Bürgergeld als Fortschritt gegenüber Hartz IV. Denn es berücksichtige wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere jene, dass Sanktionen nichts brächten, was viele Studien belegten. "Wir haben es bei Menschen, die lange im SGB II sind, häufig mit Leuten zu tun, die Multiproblemlagen haben: schlechte Qualifikation, sprachliche Probleme, gesundheitliche Probleme, familiäre Probleme. Da müsste man an Problemlagen arbeiten statt mit Sanktionen", so Böhme.

Dass die Regelsätze mit Einführung des Bürgergelds angehoben werden, bezeichnet der Forscher als "Schritt in die richtige Richtung", allerdings als unzureichend, da die höheren Regelsätze zu einem großen Teil durch die Inflation aufgefressen würden. Ähnlich äußern sich Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne), die Sozialverbände und der paritätische Gesamtverband. Sie fordern eine deutlich stärkere Anhebung der Regelsätze. Ulrich Schneider, Gesamtgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, fände Regelsätze von mindestens 725 Euro angemessen.

Auch das höhere Schonvermögen eines Bürgergeld-Empfängers im Vergleich zu Hartz IV-Empfängern sowie die Karenzzeit von 24 Monaten hält Böhme aus sozialpolitischer Sicht für einen Fortschritt gegenüber dem Ist-Zustand. Denn diese neuen Regelungen verhinderten genau jenen plötzlichen sozialen Absturz, den derzeit erfahre, wer aus dem Arbeitslosengeld in Hartz IV abrutsche.

"Dreist und schäbig" findet Böhme Rechenspiele aus der Union, wonach es sich für Bürgergeld-Empfänger nicht mehr lohne, zu arbeiten. "Das ist Quatsch", so der Wissenschaftler.

Während der Mindestlohn von 9,60 auf 12 Euro und damit um 25 Prozent erhöht worden sei, erhielten Bürgergeld-Empfänger im Vergleich zu Hartz IV-Empfängern im Durchschnitt lediglich 12 Prozent mehr Geld. "Der Abstand zwischen Sozialhilfe und Mindestlohn steigt", so Böhme. Hinzu komme, dass auch werktätige Menschen und nicht nur arbeitslose unter Umständen einen Anspruch auf verschiedene Sozialleistungen wie Wohngeld hätten. Auch deshalb hätten selbst Geringverdiener in Deutschland grundsätzlich mehr Geld zum Leben als Arbeitslose. Das werde auch dann noch so sein, wenn sich die Ampel beim Bürgergeld durchsetze.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 9. November 2022, 19.30 Uhr