Warum Sie in dieser Oper Ihre Nudeln auf der Bühne sehen können

Hinter den Kulissen von "La Bohème" am Theater Bremen

Bild: Theater Bremen | Jörg Landsberg

Das Theater Bremen zeigt "La Bohème" mit einem einmaligen Konzept: Lebensmittel der Zuschauer sind erst Teil der Aufführung und gehen dann an die Bremer Tafel.

Die schwarzen Kästen im Foyer des Bremer Theaters füllen sich in rasantem Tempo. Freudestrahlend nimmt Ilse Stümpel die Lebensmittel in Empfang: Nudeln, Schokolade, Kaffee, Eingemachtes. "Solche tollen Produkte gibt es wirklich selten, normalerweise kriegen wir nur die angedätschten und abgelaufenen Sachen", schwärmt sie.

Einmalige Kooperation von Tafel und Theater

Als stellvertretende Vorsitzende der Bremer Tafel steht sie an diesem Tag bereit, die Spenden einzusammeln. Sie stammen von den Bremer Theaterfreunden, einem Förderverein des Bremer Theaters. Die Mitglieder sehen das Stück vorab und testen das Konzept, das so einmalig ist:

Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden nämlich gebeten, vor der Aufführung Lebensmittel zu spenden. Diese werden gesammelt und zunächst im Stück auf der Bühne zu sehen sein, danach werden sie an die Bremer Tafel weitergegeben und am nächsten Tag dort verteilt. Eine Idee der Regisseurin Alize Zandwijk.

Es geht in "La Bohème" um verarmte Künstler in Paris und ein Stück weit kann man es auch als Romantisierung dieser Gesellschaftsschicht verstehen. Für mich war es aber wichtig, dass man die Armut in diesem Stück ernst nimmt.

Alize Zandwijk, Regisseurin

Lange habe die Regisseurin überlegt, wie dieser Bezug gelingen könne und ist dann mit ihrem Team auf die Idee gekommen, die Tafel Bremen mit einzubeziehen.

Eine der weltweit bekanntesten Opern in die Gegenwart verortet

Statt in einem Pariser Künstlercafé findet der zweite Akt der Oper deshalb in einer realen und regionalen Szenerie statt: Das Bühnenbild zeigt eine Bremer Tafelausgabestelle. Hier kommen auch die zuvor gespendeten Lebensmittel zum Einsatz, werden in den Kisten hin- und hersortiert und begutachtet. Der Chor tritt als Ehrenamtliche der Tafel oder Bedürftige auf. Ganz unromantisch in einer industriellen Halle – im Hintergrund ein Rolltor, im Vordergrund spärlich zusammengestellte Tische mit Plastiksuppentellern. Ein Schauplatz weit weg von dem Pariser Quartier Latin, das ursprünglich für diese Szene vorgesehen ist.

Im Original spielt die Oper nämlich in Paris um 1830. Sie dreht sich um vier mittellose Künstler. Einer von ihnen, Rodolfo, verliebt sich in die Nachbarin Mimi. Nach einigen großen Arien und verzwickten Handlungssträngen kommt es zum dramatischen Finale. Mimi stirbt an Tuberkulose und die Oper endet mit Rodolfos verzweifelten Schreien "Mimi… Mimi….Mimi". Neben Armut geht es also auch um Emotionen: Liebe, Leid und Tod. Die Musik ist bekannt für ihre großen tragischen Momente, aber auch die vielen kleinen Vorgänge. Wer genau hinhört, vernimmt alle Einzelheiten, wie das Anzünden einer Kerze oder das Heraufgehen einer Treppe.

La Boheme
Die Nachbarn Rodolfo und Mimi sind glücklich verliebt, bis Mimi todkrank wird. Bild: Theater Bremen | Jörg Landsberg

Bis auf die Verortung ist die Regisseurin von dem Original nicht abgewichen. Es ist ihre erste Operninszenierung und mit "La Bohème" hat sie sich gleich an eines der ganz großen Stücke gewagt. Die 1896 veröffentlichte Oper gilt für viele als Meisterwerk des italienischen Komponisten Giacomo Puccini. Dieser gilt wiederum als einer der wichtigsten Opernkomponisten weltweit und seine Musik ist längst nicht nur Opernkennern bekannt, sondern wird auch in Werbungen, Filmen oder Serien genutzt.  

Bremer Tafel auf mehr Spenden angewiesen

Die Musik hat auch bei der Bremer Tafel ihre Wirkung gezeigt. So erinnert sich Ilse Stümpel, die selber Opernfan ist: "Ich musste meine Vorstandskollegen erst überzeugen. In einer Sitzung habe ich deshalb die Musik vorgespielt und dann waren alle dabei."

Die Aktion ist für die Vorstandsvorsitzende allerdings nicht nur ein Zeitvertreib, denn die Tafel sei auf die Spenden dringend angewiesen.

In den letzten Jahren merken wir aufgrund der höheren Preise eine steigende Nachfrage und immer mehr Kinder und ältere Menschen, die von Armut betroffen sind.

Ilste Stümpel, Bremer Tafel

Rund 7.000 Menschen würden in Bremen über den Verein versorgt – und damit nur über Spenden. Denn staatliche Unterstützung kriegt die Tafel keine. Wie die Tage laufen, wisse man laut Stümpel nie vorher. An manchen Tagen sei so wenig da, dass genau rationiert werden müsse, an anderen laufe es gut. Die im Rahmen der Aufführung gesammelten Lebensmittel seien eine großartige Ergänzung.

Lebensmittel können auch an der Theaterkasse abgegeben werden

Spendenbox La Boheme
Auch an der Theaterkasse füllt sich die Spendenbox mit Lebensmitteln. Bild: Theater Bremen | Jörg Landsberg

Die Anforderungen an die Spenden sind vom Theater klar kommuniziert: Haltbare Lebensmittel braucht es, also kein Brot, sondern lieber Nudeln, Konserven oder Tee und Kaffee. Das Essen kann vor den Aufführungen, aber auch zu den Öffnungszeiten an der Theaterkasse abgegeben werden. Die an diesem Tag aufgestellten Kisten haben sich schnell gefüllt. Ein Mitarbeiter des Theaters kommt, um sie vor dem zweiten Akt hinter die Bühne zu bringen. Ilse Stümpel strahlt. Die erste Spendensammlung war erfolgreich, und nun freut sie sich auf die großen Gefühle in der Oper, die ebenfalls bis heute nichts an Aktualität verloren haben.

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Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. November 2024, 19:30 Uhr