Geldstrafe und Freispruch: Prozesse um Fan-Randale im Steintor beendet
Fast sieben Jahre nach den Ausschreitungen rund um die Steintor-"Schänke" hat das Bremer Landgericht nun im letzten Prozess ein Urteil gesprochen. Fünf Angeklagte wurden zu Geldstrafen verurteilt.
Es ist der Samstag vor dem dritten Advent im Dezember 2017. Die Restaurants und Cafés im Steintor-Viertel sind um kurz nach 18 Uhr gut gefüllt. Die Bremerinnen und Bremer treffen sich kurz vor Weihnachten mit Freunden und Familie. Manche haben am Nachmittag das Werder-Spiel gegen Mainz 05 besucht. Die Bundesliga-Partie endete 2:2. Ein Spiel an das sich heute wohl kaum noch jemand erinnert.
Eingebrannt ins Gedächtnis haben sich dagegen die Ereignisse, die sich nach Spielende im Steintor abspielen. Eine Straßenschlacht zwischen linken Ultras und rechten Hooligans auf offener Straße. "Ein schwarzer Tag für Bremen", so formuliert es der Vorsitzende Richter Hinrich von Osten bei der Verkündung des letzten Urteils im Schänke-Komplex vor dem Bremer Landgericht.
Fünf Fans, die mutmaßlich der Hooligan-Szene zuzurechnen sind, erhalten Geldstrafen zwischen 70 und 90 Tagessätzen wegen Landfriedenbruchs und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Insgesamt hat das Landgericht vier Verfahren gegen 14 Angeklagte geführt – zwei Prozesse gegen mutmaßliche Ultras, zwei gegen mutmaßliche Hooligans. Dabei sind neun Fans zu Geldstrafen verurteilt worden, einer verwarnt und vier weitere freigesprochen.
Der Angriff ging offenbar von vermummten Ultras aus
Die Ermittler haben die Abläufe so rekonstruiert: Eine Gruppe Ultras, rund 100 Personen, zieht als Fanmarsch vom Weserstadion kommend durch das Steintor. Am Ziegenmarkt, vor der Kneipe "Schänke", kommt der Zug zum Stehen. Mehrere Ultras vermummen sich mit Mützen und Schals. Dann stürmen sie bewaffnet mit Gegenständen auf das Lokal zu, in dem offenbar mehrere Fans aus der rechten Hooligan-Szene sitzen. Nun bewaffnen sich ihrerseits die Hooligans, verteidigen sich. Danach beginnt eine unübersichtliche Straßenschlacht, ein "wechselseitiges dynamisches Geschehen", wie es vor Gericht heißt.
Alles, was als Wurfgeschoss dienen kann, wird von den Fans auch genutzt: Stühle, Tische, mobile Verkehrsschilder, sogar ein Heizpilz kommt zum Einsatz. Autos werden beschädigt, das Schaufenster einer Bäckerei geht zu Bruch, mehrere Personen werden verletzt. 120 Personen beteiligen sich an den Ausschreitungen. Die Polizei greift nicht ein, die Beamten sind zahlenmäßig weit unterlegen.
Revierkampf zwischen linken und rechten Fans
Hintergrund ist eine Art Revierkampf zwischen linken und rechten Fans. Die rechtsextremen Hooligan-Gruppen, die unter dem Namen "Standarte" oder "Nordsturm Brema" in den 90ern noch Stammplätze in der Ostkurve hatten, sind seit den 2000er-Jahren zunehmend durch linke, antirassistische Ultra-Gruppierungen verdrängt worden. 2007 stürmen Rechtsextreme die Feier einer Ultra-Gruppierung im Ostkurven-Saal.
Erst danach positionieren sich der Verein, das Fanprojekt und auch die Mehrheit der Fans klar gegen die rechtsextremen Hooligans. Sie sind seitdem im Stadion unerwünscht, die Gruppen lösen sich offiziell auf. Am 16. Dezember 2017 aber wagen sich offenbar noch einmal einige dieser Fans ins Stadion. Für die Ultras eine Provokation. Nach dem Spiel kommt es vor der "Schänke" zur Konfrontation.
Die Polizei ist darauf nicht vorbereitet. Sie hat das Spiel als harmlos eingestuft, schließlich war von den Gästefans aus Mainz keine Gewalt zu erwarten. Dass es die Werder-Fans untereinander sind, die gewalttätig werden, damit hatte offenbar niemand gerechnet.
Beamte sichten monatelang Handyaufnahmen
Umso akribischer machen sich Polizei und Staatsanwaltschaft nach dem Vorfall an die Ermittlungsarbeit. Mit Flugblättern suchen sie nach Zeugen. Monatelang werten Beamte Videoaufnahmen aus, die Zeugen mit ihren Handys gemacht haben. Doch bei den Aufnahmen gibt es gleich mehrere Probleme. Die Qualität der Videos ist oft dürftig, die meisten sind verwackelt und unterbelichtet. Im Dunklen sind die vermummten Gestalten nur schwer auszumachen. Gesichter sind keine zu erkennen.
Das Problem all dieser Verfahren ist, dass die Haupttäter nie ermittelt werden konnten.
Richter von Osten in seiner Urteilsbegründung
Zudem stammen alle Videos von Passanten, die Richter als "Knallzeugen" bezeichnen, die also erst hinschauen, nachdem sie Lärm gehört haben. Der Beginn der Auseinandersetzung, der ursprüngliche Angriff, ist daher auf keinem Video festgehalten.
Kritik an Wohnungsdurchsuchungen
In der Hoffnung, weitere Beweise zu erhalten, hatten die Ermittler insgesamt 39 Wohnungen durchsucht. Ein Vorgehen, das viele Verteidiger als überzogen kritisierten. "Auch bei meinem Mandanten, der freigesprochen worden ist, sind die Türen eingeschlagen worden, mit erheblichem finanziellen Aufwand", so Rechtsanwalt Erich Joester nach dem ersten Urteil im Juni 2023. "Man hätte auch einfach klingeln können." Die Durchsuchungen seien für die Beschuldigten auch eine erhebliche psychische Belastung gewesen.
Auch wenn nicht alle Tatverdächtigen, die wir ermittelt haben, einer Strafe zugeführt werden konnten, so ist es doch in Teilbereichen gelungen. Ich glaube das ist ein wichtiges Zeichen.
Frank Passade, Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft
Diese Kritik lässt Frank Passade, der Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft nicht gelten: "Kein Bürger hätte dafür Verständnis, wenn wir im Vorfeld schon sagen würden, die sind alle vermummt, die hat keiner so richtig gesehen, der Aufwand lohnt sich nicht."
Straßenkämpfe haben sich nicht wiederholt
Immerhin haben sich derartige Straßenkämpfe wie im Dezember 2017 nicht wiederholt. Vielleicht haben die Ermittlungen und die Gerichtsverfahren tatsächlich Eindruck gemacht in der Szene. Inwiefern auch die Polizei aus den Vorfällen gelernt hat und ihre Einsatztaktik angepasst hat, dazu will sich eine Sprecherin auf Nachfrage nicht äußern.
Möglicherweise habe sich die Szene einfach beruhigt, sagen Beobachter. Die Beteiligten seien älter geworden, das Gewicht in der Fanszene und im Verein habe sich weiter zugunsten der Ultras verschoben. Tatsächlich wurden Mitglieder der alten Hooligan-Szene zuletzt eher im unterklassigen Fußball gesichtet, etwa bei Atlas Delmenhorst. Klingt so, als seien die großen Revierkämpfe rund ums Weserstadion vorbei. Für Stadionbesucher und Anwohner wäre das eine gute Nachricht.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 3. Dezember 2024, 19:30 Uhr