Interview

Experte: "Bremen kann Sondervermögen nicht begründen"

Ein Arbeiter im Schutzanzug im Bremer Stahlwerk
Das Bremer Stahlwerk soll auf die Produktion mit grünem Wasserstoff umgestellt werden. Bremen möchte diese Transformation mit mehren 100 Millionen Euro unterstützen. Bild: dpa | Sina Schuldt

Der Bremer Senat will eine Notlage erklären, um Kredite für den Umbau der Wirtschaft aufzunehmen. Doch ein Finanzrechtler bezweifelt, dass das funktionieren wird.

Im Wesentlichen hätten sie sich geeinigt, sagen der rot-grün-rote Bremer Senat einerseits und die CDU andererseits: auf ein aus Krediten finanziertes Sondervermögen in Höhe von 450 bis 550 Millionen Euro. Mit dessen Hilfe möchte Bremen den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft in den kommenden vier Jahren finanzieren. Anders als gegen den ursprünglich vom Bremer Senat geplanten 2,5 Milliarden Euro schweren Klimafonds möchte die CDU gegen dieses "Sondervermögen Klimaneutrale Transformation der Wirtschaft" nicht klagen, jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

Bevor der Deal zwischen Bremens rot-grün-rotem Regierungsbündnis und der größten Bremer Oppositionsfraktion aber wirklich zustande kommen kann, muss sich der Senat noch etwas einfallen lassen. Er muss, wie bereits angekündigt, die Haushaltsnotlage feststellen, um trotz der Schuldenbremse Kredite aufnehmen zu können – und zwar jedes Jahr aufs Neue. Doch wie der Senat hierbei argumentieren wird – dazu könne und wolle man sich im Finanzressort noch nicht äußern, teilt Sprecher Matthias Makosch mit. Die Juristen seien nun am Zug.

Kein Wunder, sagt der Berliner Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht, Alexander Thiele. Thiele, unter anderem Spezialist für Finanzrecht, war der Prozessvertreter der Bundesregierung im Verfahren zum Energie- und Transformationsfonds vor dem Bundesverfassungsgericht – das die Bundesregierung verloren hat. Er glaubt, dass es Bremen vor dem Hintergrund dieses Urteils kaum möglich sein wird, die Haushaltsnotlage juristisch überzeugend auszurufen.

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Herr Thiele, unter welchen Voraussetzungen können Bundesländer eine Haushaltsnotlage feststellen und in der Folge Kredite aufnehmen, ohne die Schuldenbremse zu verletzen?

Den Ländern ist durch das Grundgesetz ein relativ striktes Verschuldungsverbot auferlegt. Sie kennen, anders als der Bund, keine so genannte strukturelle Neuverschuldung, die irgendwie immer geht. Die Länder können höchstens, wenn die Konjunktur ein bisschen schlechter läuft, ein bisschen Schulden machen, müssen das Geld aber zurückzahlen, wenn die Konjunktur wieder besser läuft. 
 
Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit, in Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, zur Behebung dieser Notlage Kredite aufzunehmen. Die erste Voraussetzung ist also, dass eine solche Notlage vorliegt. Und die zweite Voraussetzung ist das, was aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Herbst folgt: Man kann solche Notlagen nicht für mehrere Jahre beschließen, sondern muss jedes Jahr neu die Notlage feststellen und begründen, weshalb die Notlage noch besteht – und wieso man wie viel Geld noch braucht, um Abhilfe zu schaffen. 

Aber was muss geschehen, damit man überhaupt von einer entsprechenden Haushaltsnotlage sprechen kann?

Es muss sich bei der Notlage um ein plötzliches, unvorhergesehenes Ereignis handeln. Der Klassiker ist: eine Naturkatastrophe. Oder auch die Corona-Pandemie. Oder auch, anfangs zumindest: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Da muss man aber schon gucken, wie weit das trägt. 
 
Die Klimakrise aber ist kein solches Ereignis, denn es tritt nicht plötzlich und unerwartet auf. Da ist das Verfassungsgericht jetzt sehr streng. Der Klimawandel ist ein dauerhaftes Problem, kein plötzlich auftretendes Naturereignis. Und weil sich das Problem Klimakrise verstetigt hat, muss die Politik aus Haushaltsmitteln damit umgehen. Davon zu unterscheiden sind Naturereignisse, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind, zum Beispiel die Ahrtal-Flut. 

Überschwemmungen und Überflutungen im Ahrtal
Bei der Flut im Ahrtal kamen 2021 mindestens 135 Menschen ums Leben. Ganze Gemeinden wurden überschwemmt. Bild: Imago | Future Image

In Bremen soll das Geld, das der Senat gerade aufnehmen will, vor allem den Stahlwerken zufließen, damit die Stahlwerke auf grünen Wasserstoff für die Produktion umstellen. Lässt sich das nach Ihrer Definition mit einer Notlage rechtfertigen?

Nein. Wobei man hier klar trennen muss zwischen den Fragen: Wofür wird das Geld verwandt, und liegt überhaupt eine Notlage vor? Bevor wir das Geld verwenden können, müssen wir erst einmal eine Notlage feststellen. Und die gibt es in Bremen aktuell nicht. Das ist zumindest die Auffassung, die das Verfassungsgericht im Herbst festgehalten hat: Die Klimakrise als solche ist keine Notlage, eine andere ist auch nicht erkennbar. Folglich kommen wir gar nicht zu der Frage, wofür wir das Geld verwenden können, um die Notlage zu beheben. 

Der Senat strickt derzeit noch an Formulierungen, um die Notlage zu erklären. Was würden Sie sagen: Wie könnte der Senat die Notlage letztlich begründen?

Vermutlich gar nicht. Seit dem Urteil des Verfassungsgerichts steht fest, dass die Klimakrise als solche und auch die Transformations-Herausforderungen der Wirtschaft keine Notlage im Sinne des Haushaltsrechts sind. Die Schulden-Regel, wie sie im Augenblick gestaltet ist, ist insofern gewissermaßen selbst eine Katastrophe. Insbesondere für die Länder. Sie sind mehr oder weniger handlungsunfähig. 
 
Die daraus resultierende durchaus verständliche Verzweiflung spiegelt sich in der brüchigen Argumentation des Bremer Senats wieder: Man kann nicht zuerst überlegen, wofür man das Geld ausgeben will, und danach darüber nachdenken, welche Notlage man zur Rechtfertigung bräuchte. Man kann eine Krise nicht einfach herbeireden. Und dann auch noch jedes Jahr aufs Neue. "Jedes Jahr plötzlich" – das ist ein Widerspruch in sich. 

Defekter nicht funktionierender Thermostat
Die hohen Energiekosten werden von einigen Ländern herangezogen, um eine Haushaltsnotlage auszurufen. Bild: Imago | serienlicht

Schleswig-Holstein hat die Haushaltsnotlage für 2024 mit Auswirkungen der Corona-Pandemie begründet sowie mit den Folgen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine und mit Schäden durch die schwere Ostsee-Sturmflut. Brandenburg hat neben dem Ukraine-Kriege und der daraus resultierenden Energiekrise auch die Inflation ins Feld geführt. Könnte Bremen es nicht genauso machen?

Versuchen könnte Bremen das. Ob das aber am Ende überzeugend wäre – daran habe ich meine Zweifel. 

Heißt das, dass dem Bremer Senat nichts anderes übrig bleibt, als darauf zu hoffen, dass niemand klagt?

Ja. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass sich der Senat mit der CDU geeinigt hat.

Wie müsste die Gesetzgebung geändert werden, damit sie aus Ihrer Sicht mehr Sinn ergäbe als derzeit? Müsste die Schuldenbremse fallen?

Sie müsste nicht fallen. Sie ist sinnvoll, um die Verschuldung zu begrenzen. Aber sie sollte notwendige Schulden ermöglichen. Durch die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts sind die Grenzen zu starr, besonders für die Länder. Ihnen bleiben keine progressiven Gestaltungsoptionen, gerade mit Blick auf den Klimawandel. 
 
Es geht nicht um die Frage: Schuldenbremse: ja oder nein? Es geht darum, eine Regelung zu finden, die eine sinnvolle Staatsverschuldung zur Gestaltung von Zukunftsaufgaben ermöglicht. Die jetzige Regelung differenziert aber nicht zwischen guter und schlechter Verschuldung. Man kann die Folgen einer durch den Klimawandel bedingten Naturkatastrophe wie im Ahrtal mit Krediten auffangen, darf aber nichts über Schulden finanzieren, was die Klimakrise selbst verlangsamt. Das ist keine kluge Regel. 

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Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 5. März 2024, 19.30 Uhr