Interview
Frauen-Selbstverteidigung: "Ein Täter möchte ein Opfer, keinen Gegner"
Gewalt gegen Frauen — Selbstverteidigung als Antwort. Gudrun Glaser, Selbstverteidigungs-Trainerin für Frauen lehrt Bremerinnen aktiv Gewalt abzuwehren.
Erst kürzlich veröffentlichte Plan International eine Umfrage, in der ein Drittel aller befragten Männer zwischen 18 und 35 Jahren angaben, ihnen wäre schon einmal die Hand "ausgerutscht". Gewalt und Missbrauch üben Männer gegen Frauen oft in den eigenen vier Wänden aus.
Gudrun Glaser ist seit mehr als 20 Jahren Selbstverteidigungs-Trainerin im Wing Tsun für Frauen in Bremen. In Ihren Kursen zeigt sie Frauen, wie sie sich verteidigen können. Die Teilnehmerinnen üben auch Abwehrtechniken gegen Situationen häuslicher Gewalt. Im Interview berichtet sie von ihrer Motivation und ihren Erfahrungen aus ihren Kursen.
Welche Motive haben Frauen zu einem Selbstverteidigungskurs zu kommen? Welche Frauen kommen zu Ihnen?
Die meisten Frauen kommen wegen unangenehmen Übergriffen, die ihnen kürzlich passiert sind, oder "Fast- Übergriffen" denen sie gerade noch entkommen konnten. Der Schock über ihre Hilflosigkeit ist bei vielen noch da. Sie wollen "das nächste Mal" handlungsfähig sein. Ich kenne keine einzige Frau, die noch nicht Opfer von Belästigung geworden ist. Meine Tochter habe ich präventiv mit 15 Jahren zum Training geschickt.
Vor kurzem hat eine Kurs-Teilnehmerin gesagt, dass sie wegen eines Stalkers gekommen sei. Die Frau befürchtete das Schlimmste.
Laut der Plan International Umfrage hat ein Drittel der 18- bis 35-jährigen Männer in Deutschland schon einmal die Partnerin geschlagen. Wie "üben" die Teilnehmerinnen eine ernstzunehmende Situation bei Ihnen in den Stunden?
Mit Zahlen von Umfragen oder Studien bin ich grundsätzlich vorsichtig. Für mich als Selbstverteidigungstrainerin ist auch nicht entscheidend, wie viele Männer übergriffig sind, sondern was die Frauen an Erfahrungen mitbringen. Und genau da setze ich an, dass die Frauen in sich stärker werden. Dass sie selbstbewusst mit solchen Situationen umgehen können, sich wehren können, handlungsfähig werden und aus der Starre und Ohnmacht heraustreten lernen. Meistens spielen wir Situationen durch, ich suche mir pro Stunde ein oder zwei Übergriff-Beispiele aus.
"Hand ausrutschen" ist Schlagen! Genau deshalb lehre ich den Frauen, sich sofort zur Wehr zu setzen – damit es nicht wieder passiert.
Gudrun Glaser, Selbstverteidigungs-Trainerin im Wing Tsun
Durch die öffentliche Debatte werden hoffentlich mehr Menschen in Zukunft hellhöriger und mischen sich eher ein, wenn sie häusliche Gewalt mitbekommen. Zeigt mehr Zivilcourage! Von Seiten der Regierung brauchen wir besseren Schutz für die betroffenen Frauen und empfindlichere Strafen für die Täter.
Gibt es typische Situationen und Griffe, die sie üben?
Im Selbstverteidigungs-Training ist die Abwehr gegen die Ohrfeige Standard. Häusliche Gewalt fängt nicht mit der Ohrfeige an, sondern mit Kontrollverhalten. Sich dagegen schon zu wehren ist der richtige Ansatz.
Ist das eine häufige Handlung, von der Sie hören?
Ja, die Bezeichnung Hand "ausrutschen" ist für mich viel zu verharmlosend. Meistens fängt es mit einer Ohrfeige an. Oder schubsen. Das ist meist der Einstieg. Es ist ein extra Ausholen, da ist kein Affekt mehr.
Missbrauch, Gewalt und Bedrohung erfahren Frauen häufig vom Partner in den eigenen vier Wänden. Die Opferzahlen (männlich und weiblich) der Polizei zur häuslichen Gewalt in Bremen sind relativ konstant über die letzten vier Jahre. In den Jahren der Pandemie habe die Zahl der Fälle laut Polizei jedoch um circa 300 (2020) bis circa 600 Fälle (2021) im Vergleich zu 2019 zugenommen. Ist bei Ihnen die Nachfrage ans Angebot gestiegen?
Während der Pandemie durften wir kein Training geben. Obwohl die Fallzahlen häuslicher Gewalt gestiegen sind, kann ich eine signifikante Gruppenvergrößerung nach der Pandemie im Training leider nicht bestätigen. Ich denke, das hat mit Scham zu tun. Etwas zuzugeben, was nicht sein darf. Deshalb an dieser Stelle der Aufruf an alle Frauen sich anzuvertrauen, rauszugehen aus der Situation, sich in Selbstverteidigungs-Trainings anzumelden.
Manche kritische Fragen zum Thema Selbstverteidigung von Frauen gehen in die Richtung: "Ist das nur Show oder bringt das was?" Ist es möglich, dass sich Frauen bei einem ungleichen Kräfteverhältnis erfolgreich wehren können und eine Gewaltsituation abwenden?
Ich habe solche Kritik nur von Männern gehört. Die können sich das nicht vorstellen, dass eine Frau mit viel Energie etwas ausrichten kann.
Nicht jede Kampfsportart eignet sich zur Selbstverteidigung. Man unterscheidet zwischen Sport und Kunst. Sport hat mit Fairness und Regelwerk zu tun. Man misst sich mit Gleichstarken. Bei der Kunst des Kämpfens geht es um das Geschick und die Effizienz, egal wie stark der Gegner ist, es zählt die überlegene Technik. Auch wenn die Frauen heutzutage nicht lange trainieren, vielleicht nur einen Schnupperkurs lang, sind sie nach dem Kurs stärker und gewappneter als vorher.
Selbstsichere Ausstrahlung lockt weniger Täter an. Und wenn doch einer kommt, dann erhöht sich durch heftiges Wehren ihre Chance, dass der Täter noch ablässt von seinem Vorhaben. Ein Täter möchte ein wehrloses Opfer haben und keinen Gegner.
Gudrun Glaser, Selbstverteidigungs-Trainerin im Wing Tsun
Wehren lohnt sich also immer, würden Sie dem so zustimmen?
Wenn Flucht nicht geht, ja. Es gibt keine Täter die ablassen, weil sich das Opfer nicht wehrt. Also ohne Gegenwehr passiert so oder so etwas. Gegenwehr kann einen Überraschungseffekt bewirken. Viele Frauen, denen echt schlimmes passiert ist, haben keine Hemmungen mehr sich zu wehren. Es geht um du oder ich. Die Täter wollen nur austeilen, nicht dass ihnen selbst etwas passiert.
Welches Feedback erhalten Sie von Frauen, die den Kurs besucht haben?
Am schönsten sind Feedbacks von Teilnehmerinnen, die mir von erfolgreicher Gegenwehr berichten, nachdem sie in meinem Kurs waren. Sie sind oft ganz erstaunt über sich selbst, wie selbstverständlich sie handeln konnten. Teilweise begegnen ihnen die gleichen Situationen, wie im Kurs geübt. Wie man einen Zugriff stoppt, eine Ohrfeige vereitelt.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. Juni 2023, 19.30 Uhr