Infografik

Warum findet jeder dritte junge Mann Gewalt gegen Frauen okay?

Bild: dpa | Frank May

Laut einer Umfrage hat ein Drittel der 18- bis 35-jährigen Männer in Deutschland schon einmal die Partnerin geschlagen. Ebenfalls ein Drittel findet dieses Vorgehen "akzeptabel".

"Schrecklich, aber nicht überraschend": Mit diesen Worten charakterisiert Heike Ohlenbusch, Geschäftsführerin des Mädchenhauses Bremen, die Ergebnisse der Umfrage "Spannungsfeld Männlichkeit", die kürzlich die Nichtregierungs-Organisation Plan International vorgestellt hat. Danach hat ein Drittel der 18- bis 35-jährigen Männer in Deutschland schon einmal die Partnerin geschlagen. Ebenfalls ein Drittel findet dieses Vorgehen "akzeptabel".

"Männlichkeit wird bei uns mit Macht und Gewalt assoziiert", sagt Ohlenbusch dazu. Zu den traurigen Konsequenzen zähle etwa auch, dass es der Frauenhäuser bedürfe, in denen Frauen Zuflucht vor gewalttätigen Männern suchten. So gesehen habe unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kaum Fortschritte gemacht.

"Asoziale Medien"

Das sagt auch der Bremer Psychotherapeut Paul Ewert, der in seiner Praxis unter anderem mit gewalttätigen Männern arbeitet. Ewert befürchtet sogar, dass es in den kommenden Jahren noch schlimmer werden könnte, dass noch mehr Männer noch öfter gewalttätig gegenüber Frauen werden könnten als heute.

Der Therapeut begründet seine Sorge mit dem stetig wachsenden Einfluss digitaler Sozialer Medien. "Ich nenne sie asoziale Medien", sagt Ewert dazu. Denn die Algorithmen in diesen Medien dienten der Gewinnmaximierung und seien daher so programmiert, dass sie insbesondere solche Inhalte verbreiten, die sich gut verkaufen ließen: "Der sexuelle Aspekt wird dabei stark betont, wir sehen eine weitreichende Kommerzialisierung des weiblichen Körpers." Insbesondere frauenfeindliche, aber auch männerfeindliche Pornos florierten, weil sie sich besonders gut verkaufen ließen. Frauen würden darin meist als reine Lustobjekte dargestellt, Männer als herrische und weitgehend emotionslose Fickmaschinen, so Ewert.

So sehen sich 18- bis 35-jährige Männer

Männer Studie 33% finden es akzeptabel, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin die Hand ausrutscht 88% glauben so zu sein, wie ein Mann sein sollte 34% sagen, dass sie gegenüber Frauen handgreiflich werden 43% sagen, sie fahren gern draufgängerisch Auto 51% fühlen sich schwach, wenn sie Gefühle zeigen
Quelle: Umfrage "Spannungsfeld Männlichkeit", Plan International, Juni 2023

Schwaches Selbstbild

"Diese Filme haben einen verheerenden Einfluss auf viele junge Menschen", sagt Ewert. Sie trügen maßgeblich dazu bei, dass viele Männer ein schwaches Selbstbild entwickelten, gerade solche, die ohne Väter aufwüchsen und denen es an geeigneten männlichen Vorbildern fehle.

Genau in diesem schwachen Selbstbild junger Männer sieht Ewert eine der Hauptursachen für den Hang vieler zu Gewalt gegen Frauen. "Sie empfinden sich als ihren Partnerinnen in der verbalen Auseinandersetzung unterlegen. Und dann nutzen sie ihre körperliche Überlegenheit aus", beschreibt er ein Verhaltensmuster, das häufig zu beobachten sei.

"Toxische Vorbilder"

Donald Trump
Fragwürdiges Vorbild: Donald Trump Bild: Imago | Sammy Minkoff

Eine Mitschuld an derartigem Fehlverhalten sieht Ewert zudem bei den vielen "toxischen Vorbildern", die einige Prominente abgäben. Er verweist beispielhaft auf den einstigen US-Präsidenten Donald Trump: "Trump lebt uns vor, dass man, wenn man nur in einer entsprechenden Machtposition ist, mit Frauen machen kann, was man will, ohne dafür bestraft zu werden." Der Psychotherapeut verweist auf sexuelle Übergriffe Trumps, mit denen dieser sogar in der Öffentlichkeit geprahlt habe. Das Schlimmste daran sei: Nicht wenige Männer nähmen sich daran ein Beispiel.

Umso dringlicher ist es aus Ewerts Sicht, dafür zu sorgen, dass junge Männer von Kindesbeinen an mit guten männlichen Vorbildern aufwachsen. "Wir brauchen viel mehr männliche Erzieher und Grundschullehrer", so der Therapeut.

Schulen in der Pflicht

Ein junger Lehrer sitzt mit vier Schülern an einem Tisch und schaut in ein Buch. Zwei Schülerinnen haben Tablets vor sich.
Männliche Lehrkräfte könnten nach Einschätzung Bremer Experten insbesondere für Jungen dringend notwendige Vorbilder abgeben und bei der Erziehung mitwirken. Bild: dpa | Waltraud Grubitzsch

Das findet auch Christian Spoden, Leiter der Fachstelle für Gewaltprävention Bremen. Spoden wertet den hohen Anteil gewaltbereiter Männer auch als Ergebnis einer verfehlten Erziehung durch die Schulen. "Der Schwerpunkt der Schulbildung liegt bei uns auf der Wissensvermittlung. Die Schulen haben aber auch einen erzieherischen Auftrag", stellt Spoden fest. Doch dieser komme deutlich zu kurz.

Die Kinder müssen wieder lernen, wie man streitet, und wie man deeskalierend wirkt, damit ein Streit nicht ausufert.

Christian Spoden, Gewaltprävention Bremen

Doch auch nach der Schule laufe vieles in unserer Gesellschaft schief, glaubt Spoden. So sei die präventive Täterarbeit in Deutschland über viele Jahre sträflich vernachlässigt worden: "Gerade in Bremen gibt es bis heute viel zu wenig Angebote, die sich speziell an Jungen und an Männer richten." Spoden spricht von einer frauenzentrierten Politik im Zwei-Städte-Staat: "Wir müssen aber auch eine profeministische Männerpolitik machen."

So fände Spoden beispielsweise Projekte sinnvoll, bei denen Männer proaktiv andere Männer ansprechen, die vor einer Trennung stehen. Denn in Trennungssituationen würden erfahrungsgemäß besonders viele Männer gewalttätig. Und das lasse sich eventuell verhindern, wenn man frühzeitig auf sie zugehe und ihnen Hilfe anbiete. Entsprechende Projekte aber gebe es in Bremen praktisch nicht.

Ähnlich das Bild in der Rückfall-Prävention. Hier vermisst Spoden Projekte für Männer, die häusliche Gewalt verübt haben, und mit denen man nun gezielt arbeiten müsste, damit sie nicht erneut zuschlagen. "Hierzu müsste das Land Bremen viel mehr finanzielle Mittel bereitstellen", sagt der Sozialpädagoge. Doch leider mangele es nicht nur an Geld, sondern auch an Fürsprechern, die sich für diese Form der Präventionsarbeit einsetzten: "Es müssten sich mehr nette Männer um das Ekelthema "Häusliche Gewalt“ kümmern", fasst Spoden seine Eindrücke zusammen.

Opferhilfe fordert mehr Geld für Frauenhäuser

Auch Silke Lorenz von der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen findet, dass die Arbeit mit den Tätern in Deutschland intensiviert werden müsste. Unabhängig von den langfristigen Strategien zur Gewaltprävention hält sie es aber auch für erforderlich, dass von Gewalt betroffene Frauen mehr Hilfe erfahren: "Es gibt zu wenig Frauenhausplätze, und die Frauenhäuser brauchen mehr finanzielle Unterstützung", so Lorenz. Sie glaubt, dass wesentlich mehr Frauen mitsamt ihren Kindern vor ihren Männern wegliefen, wenn sie nicht finanzielle abhängig von ihren Männern wären und wenn sie das Frauenhaus kein Geld kostete. "Da muss sich noch viel ändern", resümiert Lorenz und fügt hinzu: "Es ist nicht hinnehmbar, dass so viele Männer Frauen schlagen."

Frauenbeauftragte über männliche Gewalt: "Gibt ein großes Dunkelfeld"

Bild: Radio Bremen

Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. Juni 2023, 19.30 Uhr