Warum es dieser Bremerhavenerin ohne ihre Familie besser geht

Hailey Andras
Hailey Andras

Warum es dieser 18-Jährigen ohne Familie besser geht

Bild: Radio Bremen | Mario Neumann

Hailey Andras hat schon viel erlebt mit ihren 18 Jahren. Mario Neumann erzählte sie im Rahmen des Bremen-Zwei-Podcasts "Eine Stunde reden" ihre ganze Geschichte.

Niemand spricht gerne schlecht über seine Eltern. Hailey Andras auch nicht. Sie ist allerdings sauer auf ihre Mutter und hat Mitleid mit ihrem Vater. Der Jahreswechsel 21/22 wird für sie zum Game-Changer. Sie setzt alles auf eine Karte und geht von zu Hause weg.

Weg von einem Zuhause, das oft seinen Ort gewechselt hat. Mehr als ein Dutzend Mal muss Hailey Andras in Bremerhaven umziehen, weil ihre Eltern und Geschwister nicht in der Wohnung bleiben können. Woran das genau lag, sie weiß es nicht. Vielleicht an nicht bezahlter Miete. Sie weiß nur: Irgendwann ist Wohnen beim städtischen Wohnungsbauunternehmen Stäwog nicht mehr möglich.

Mit 15 Jahren weg von Zuhause

Sie kennt es nicht anders, stört sich nicht an den vielen Umzügen, bleibt meist an der gleichen Schule. Dass ihr zu Hause aber unabhängig von der geographischen Lage kein guter Ort für sie ist, stellt sie zu Beginn ihrer Pubertät fest und beschließt bereits mit 15 Jahren von zu Hause weg zu gehen, schiebt es aber lange auf.

Es gab bei uns zu Hause halt ziemlich viel körperliche und emotionale Gewalt. Sehr viel Manipulation, runtermachen und zu Hause einsperren und so was.

Hailey Andras

Es ist eine Geschichte, auf die niemand stolz ist, die keiner gerne erzählt. Hailey Andras erzählt sie spontan, in der Podcast-Reihe "Eine Stunde reden" von Bremen Zwei. Eine Schulfreundin sitzt mit im Studio, steht ihr bei. Denn es gibt keinen richtigen Moment, sagt sie, um von zu Hause abzuhauen. Auch wenn sie lange darauf gewartet hat. "Es wird immer Kacke sein", sagt Andras. Da schwingt so viel mit: Der Wunsch nach einem sicheren zu Hause, nach Liebe und Annahme. Doch aus ihrer Sicht zählen für ihre Mutter nur die Kinder, die sie mit einem neuen Partner hat, spürt Hailey Andras deutlich die Kälte, das Desinteresse ihrer Mutter ihr gegenüber, als sie mal eine Panikattacke hat.

Studienwunsch Psychologie

Irgendwann ist ihr klar: Ich ziehe es jetzt einfach durch, komme einfach nicht mehr nach Hause. Seit Sommer 2022 lebt Andras in ihren eigenen vier Wänden, bis auf weiteres ist kein Umzug geplant, erstmal möchte sie im nächsten Jahr Abitur machen. Eine Herausforderung, für die sich Andras anstrengen muss.

Seit der 7. Klasse hat sie den Studienwunsch Psychologie. Allerdings ist sie vom Leistungskurs Psychologie etwas ernüchtert. Vielleicht studiert sie auch Pädagogik oder Soziale Arbeit. Sie fände es auf jeden Fall gut, als Betreuerin in einer Einrichtung jungen Menschen zu helfen, so wie sie selbst auch Hilfe bekommen hat. Wenn es ihr tatsächlich gelingt, wäre sie die erste aus der Familie, die studiert. Ihr Mutter ist in der Pflege, ihr Vater in der Sicherheitsbranche.


Sie findet es schwierig, schnell erwachsen zu werden, aber sie fühlt sich wohler, es geht ihr besser – dafür nimmt sie Papierkram in Kauf. Das Jugendamt unterstützt sie, wie es das auch schon bei älteren Geschwistern von Hailey Andras gemacht hat.

Eine schöne Kindheit hatte ich nicht so, würde ich sagen. Aber mir geht es jetzt gut, von daher geht das.

Hailey Andras

Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung

Mit 13 Jahren hatte sie das erste Mal Therapiesitzungen, mit 16 Jahren kam sie in eine Tagesklinik. Depression und posttraumatische Belastungsstörung, so die Diagnose nach einem halben Jahr. Das mit den Depressionen ist vorbei, aber: Seit neun Monaten ist sie einmal die Woche in Therapie. "Die ganze Kindheit war so ein reines Trauma". Andras ging es gefühlsmäßig nicht gut, sie hatte starke Stimmungsschwankungen, zog sich zurück.

Reise nach Amerika

Einmal fliegt sie mit Vater, Stiefmutter und zwei Geschwistern in die USA. Der Vater, US-Staatsbürger, will heimlich dorthin auswandern. Insgesamt war sie fünf oder sechs Monate dort, hat auch schöne Dinge erlebt, Ausflüge, Wandern, Baden im See.

Aber dass aus dem ursprünglich zweiwöchigen Urlaub ein dauerhafter Aufenthalt in den USA wird, das klappt nicht. Sie kommen in eine Notunterkunft für Familien in einem nicht so schönen Stadtteil in San Francisco: "Ich war sehr verwirrt, weil auf der Straße Leute saßen, die sich irgendwelche Sachen in den Arm gespritzt haben, die irgendwas durch die Nase gezogen haben. Ich war ängstlich und beunruhigt."

Alkohol und Kiffen

Alkohol und Gras-Missbrauch gehörten auch bei Hailey zu Hause zum Standard-Programm der Eltern. Als sie 15, 16 ist, probiert Hailey Andras auch einiges aus, hat auch eine Zeit lang gekifft, aber "für mich ist das nichts", sagt sie. Sie ist als 18-Jährige an einem Punkt, an den manche Menschen ihr ganzes Leben nicht kommen. Ob die Zeit alle Wunden heilt, diese Frage kann sie nicht mit Ja beantworten. Je mehr Zeit vergeht, desto besser kann man mit Schicksalsschlägen umgehen. Aber dadurch ist die Sache noch nicht verheilt, meint sie. "Wenn es mit der Zeit weggeht, dann ist es gut. Wenn nicht, muss man sich selbst dran setzten und dran arbeiten."

Andras macht das gerne, das ist sie sich wert. Geblieben ist ihr eine Nikotinabhängigkeit. Sie raucht E-Zigaretten. Auch Geld ist ein Thema. Was sie durch einen neuen Nebenjob im Café verdient, will sie für schönere Fingernägel ausgeben. Ihr bisheriges Leben und ihre Erfahrungen haben sie geprägt. Viele unterschiedliche Momente. Das Verhältnis von schlechten zu guten Momenten ist allerdings nicht 50/50, eher 80/20, sagt sie. Doch sie geht gestärkt da raus, hat an Selbstbewusstsein gewonnen, hat sich viel beigebracht und ist gelassen. Freundinnen stehen ihr zur Seite, machen ihr Mut und sind für sie da.

Autor

  • Zu sehen ist ein Porträtfoto von Mario Neumann. Blaue Augen, relativ kurze, dunkelblonde Haare. Er hat die Arme verschränkt und lächelt.
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