Fragen & Antworten

Taut der Klimawandel bis 20.000 gefrorene hochgiftige Müllhalden auf?

AWI-Mitarbeiter untersuchen im kanadischen Mackenzie-Delta in Bohrschlammgruben

Klimawandel setzt hochgiftigen Müll in der Arktis frei

Bild: AWI

Die Permafrostböden in der Arktis tauen langsam auf. Zum Vorschein kommen gefährliche Stoffe, warnt das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut.

In den Permafrostböden in der Arktis schlummern hochgiftige Industrieabfälle. Durch die massive Erwärmung der Arktis tauen die Böden langsam auf und der Müll wird dort nicht nur zur Gefahr für Tiere und Pflanzen, sondern auch für die Bevölkerung. Das hat ein Forschungsteam unter der Leitung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) herausgefunden.

Wie kamen die gefährlichen Stoffe in die Böden?

Permafrostböden, die nur im Sommer oberflächlich auftauen, galten lange Zeit als stabiles Fundament für Häuser oder industrielle Infrastruktur. Und man war sich sicher: Die teilweise bis zu mehrere Hundert Meter tiefen Böden sind für Stoffe eine unüberwindbare Barriere. Entsprechend sorglos wurden in den vergangenen Jahrzehnten in den Permafrostgebieten der Arktis an vielen Orten Industrieabfälle in Gruben, auf Halden oder in geschlossenen Seen entsorgt. Der Klimawandel, der im hohen Norden zwei- bis viermal so schnell voranschreitet wie im globalen Mittel, lässt die Böden nun auftauen.

Durch Erosion gezeichnete Küstenlandschaft mit Schmelzwasserteichen auf Herschel Island, Kanada.
Dieses Bild der Forscher zeigt die durch Erosion gezeichnete Küstenlandschaft mit Schmelzwasserteichen auf Herschel Island in Kanada. Bild: AWI

Um welche Giftstoffe handelt es sich?

In den Permafrostböden lagern laut Forschungsteam schwermetallhaltige Bergbauabfälle, giftige Bohrschlämme und sogar radioaktiver Müll. Zu den häufigsten Umweltgiften gehören Kraftstoffe wie Diesel und Benzin sowie Schwermetalle, darunter Blei und Quecksilber.

Wie groß ist das Problem?

"In den arktischen Permafrostgebieten gibt es insgesamt circa 4.500 Industriestandorte und bis zu 20.000 kontaminierte Flächen", sagt Forschungsleiter Moritz Langer. Der Großteil der Industriestandorte entfällt dabei auf Alaska, Kanada und Russland.

Was macht das Forschungsteam?

Aktuell untersuchen Forschende des AWI zusammen mit internationalen Wissenschaftlern Schlammgruben im Mackenzie-Delta in Kanada. Die Gegend hat sich seit 1940 um 0,3 Grad Celsius pro Jahrzehnt erwärmt. Die Forschenden wollen untersuchen, welche Gefahr von mehr als 200 Bohrschlammgruben ausgeht. Dort lagern Rückstände aus Öl- und Gasexplorationen. Vier Wochen lang werden die Forschenden Boden- und Wasserproben nehmen, um mögliche Leckagen zu identifizieren und die Ausbreitung giftiger Stoffe und deren ökologische Folgen abschätzen zu können.

Permafrostboden und Oberflächengewässer auf Herschel Island, Yukon, Kanada
Auch dieses Bild zeigt Permafrostboden und Oberflächengewässer auf Herschel Island in Kanada, wo die Forscher Proben entnehmen. Bild: AWI

Wie gefährlich sind die Stoffe?

Wie groß das Risiko ist, das von den Stoffen ausgeht, ist unklar. "Bisher wurde das nicht systematisch untersucht", erklärt Langer. Die Bohrungen und die eingesetzten Mittel seien oft schlecht dokumentiert, "sodass niemand weiß, was dort genau im Permafrost schlummert". Ähnlich wie im Mackenzie-Delta gibt es laut Langer für viele industrielle Standorte und Aktivitäten in der Arktis nur unvollständige oder kaum öffentlich zugängliche Daten.

Wie geht es weiter?

2025 sollen auf weiteren Expeditionen an ausgewählten Standorten gezielt Proben genommen werden. Diese und die aktuelle Expedition sind Teil des Projektes "ThinIce" (Thawing industrial legacies in the Arctic – a threat to permafrost ecosystems), das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,9 Millionen Euro gefördert wird. Ziel des Projekts ist es, das Ausbreitungsrisiko der Altlasten und mögliche Umweltfolgen zu erfassen sowie Strategien für eine Risikominimierung zu entwickeln.

Und das eilt, denn: Die Renaturierung kontaminierter Flächen wird laut Forschungsteam immer teurer, je tiefer der Permafrost taut, oder gar unmöglich, wenn schwere Maschinen auf den instabilen Böden nicht mehr eingesetzt werden können. "Umso dringender ist es, dass wir einen Überblick über Art und Ausmaß der Altlasten bekommen und Konzepte zur Sicherung und Sanierung entwickeln", so Langer.

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Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 13. August 2024, 8 Uhr