Woran es in Bremen im Kampf gegen Armut besonders fehlt

Ein Obdachloser sitz im Winter in der bremer Obernstraße in der Innenstadt.
Ein Bettler in der Bremer Innenstadt sitzt im Regen auf dem Boden. In den überdachten Passagen der Innenstadt werden Bettler meist vertrieben. Bild: Radio Bremen | Inès Schumann

Der Kampf gegen Armut spitzt sich in der Stadt Bremen weiter zu. Ehrenamtliche Helfer kritisieren vor allem einen Mangel an Rückzugsorten und Wohnungen für Arme.

Die Tische und Stühle werden allmählich knapp. Gut 80 Gäste finden sich hier, im Café Mittwoch der Evangelischen Kirchengemeinde Horn, Woche für Woche ein. Doch an diesem Tag werden es augenscheinlich mehr. "Das ist normal so kurz vor Weihnachten", sagt dazu Susanne Meyer mit Blick auf immer neue Besucherinnen und Besucher, die in den Saal strömen, um am gemeinsamen Frühstück teilzuhaben: Frauen wie Männer, jüngere wie ältere, Menschen, die auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen sind. Die einen, weil sie süchtig sind. Andere, weil ihre Rente oder ihr Einkommen kaum zum Leben reichen. Wieder welche, weil sie psychisch krank sind und nicht arbeiten können. Viele haben keine eigene Wohnung.

Meyer ist die Initiatorin des Café Mittwoch. Sie hat es vor gut zehn Jahren aufgebaut. Damals musste die kirchliche Begegnungsstätte "Bremer Treff" am Altenwall wegen Bauarbeiten für sechs Wochen schließen. Meyer dachte sich: "Die Menschen müssen in dieser Zeit trotzdem einen Kaffee bekommen." So hat sie angefangen, Kaffee zu kochen und Brötchen zu schmieren für hilfsbedürftige Menschen.

Zunächst kamen zehn Gäste, dann 15. Meyer holte erste Helferinnen und Helfer mit ins Boot. Schnell war klar: Das Café Mittwoch in Horn dürfe nicht "nur" ein zeitweiser Ersatz für den "Bremer Treff" sein. Es würde ihn fortan ergänzen, ähnlich wie das kurz zuvor gegründete Café Dienstag der St. Ansgarii-Gemeinde und wie eine Reihe weiterer Cafés für Bedürftige, die in den kommenden Monaten und Jahren folgen sollten, allesamt im Wesentlichen getragen von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die überwiegend Rentner sind.

"Wir fühlen uns von der Stadt ausgenutzt"

Ältere Frau mit Brille vor großer Runde an mehreren Tischen
Susanne Meyer hat das Café Mittwoch aufgebaut. Dort bekommen Bedürftige wöchentlich Kaffee, Tee und ein Frühstück aus Spenden. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Was nach einer rührenden Geschichte über die Hilfsbereitschaft in der Bremer Gesellschaft klingen mag, hat doch einen traurigen Hintergrund: "Immer mehr Menschen brauchen Hilfe", fasst Meyer die Entwicklung der letzten Jahre zusammen und fügt hinzu: "Wir Ehrenamtlichen leisten etwas, was eigentlich die Stadt leisten müsste. Wir stehen am Limit. Wir fühlen uns von der Stadt ausgenutzt."

Tatsächlich vermissen viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die sich in Bremen zum Wohle armer Menschen engagieren, die Unterstützung der Stadt. Das wurde deutlich bei einem Netzwerk-Treffen verschiedener Helferorganisationen Anfang Dezember. Drei der Hauptkritikpunkte aus dem Netzwerk fasst Meyer so zusammen: "Die Helfer bekommen kaum Unterstützung. Die Stadt schafft keine Räume für Drogensüchtige. Und vor allem gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum in Bremen." Dieser Wohnungsmangel sei womöglich das größte unter vielen Problemen. Er zwinge Menschen zum Leben auf der Straße oder treibe sie zumindest in die Armut.

"Menschlich nicht in Ordnung"

Frau in den 30ern mit dunkelblondem, halblangen Haar seitlich portraitiert vor Hintergrund eines Reihenhauskarrees
Fordert einen menschlichen Umgang mit Wohnungs- und Obdachlosen: Svenja Böning. Bild: Hoppenbank e.V.

Genau das sagt auch Svenja Böning aus der Geschäftsführung des Vereines "Hoppenbank", der gemeinsam mit der Wohnungshilfe Bremen das Obdachlosenhilfe-Projekts "Housing First" ins Leben gerufen hat und fortlaufend betreut. Das Projekt zielt darauf ab, Obdachlose von der Straße in eine eigene Wohnung zu bringen und dort so lange zu begleiten, bis sie eigenständig zurecht kommen. 42 Teilnehmende hat Housing First in Bremen derzeit. Dank einer zusätzlichen halben Stelle hoffe man, demnächst 60 Obdachlose versorgen zu können, sagt Böning.

Und das ist aus ihrer Sicht auch dringend nötig. Denn analog zum Mangel an bezahlbarem Wohnraum verschärfe sich die Lage auf Bremens Straßen. Wie Meyer und viele andere Helferinnen und Helfer des Netzwerks hält auch sie es für falsch, dass die Stadt Bremen Obdachlose aus der Innenstadt und dem Hauptbahnhof vertreibt. "Das ist nicht der richtige Weg, und das ist auch menschlich nicht in Ordnung", sagt Böning. Bremen müsse zu einer Politik des Miteinanders umschwenken und zentrale, überdachte Orte schaffen, an denen sich wohnungslose Menschen ausruhen könnten. Speziell für Drogensüchtige würden zudem weitere Konsumräume benötigt – und zwar möglichst in Bahnhofs- und Innenstadtnähe, dort, wo sie sich nun einmal aufhielten.

"Die Menschen müssen Haltung zeigen"

Mann mittleren Alters mit dicker Brille
Stephan Klimm fordert Schutzräume für Menschen, die auf der Straße leben. Bild: Radio Bremen

Damit liegt Böning auf einer Linie mit Stephan Klimm, Pastor der Evangelischen Kirchengemeinde Horn und einer der Initiatoren des Helfer-Netzwerks. "Es geht zum einen darum, dass sich die Menschen zurückziehen können und zum anderen darum, dass man sie beraten und versorgen kann", erklärt er. Erst im zweiten Schritt könne man versuchen, was "Housing First" aus seiner Sicht bereits vorbildlich macht: Den Menschen zu einer Wohnung oder zumindest zu einem Dach überm Kopf zu verhelfen. "Solche Initiativen sollte Bremen unbedingt weiter stärken", fügt er hinzu.

Bei aller Kritik an der Politik betonen Klimm und Böning allerdings auch, dass die gesamte Gesellschaft einen Paradigmenwechsel im Umgang mit armen Menschen und speziell mit Drogensüchtigen vollziehen müsse. "Die Menschen müssen Akzeptanz entwickeln und Haltung zeigen", fordert Böning. Ganz ähnlich formuliert es Susanne Meyer vom Café Mittwoch. Sie verweist auf die eine oder andere schäbige Bemerkung über Gäste des Cafés, die ihr bereits zu Ohren gekommen sei: "Es darf nicht sein, dass diejenigen, die unsere Hilfe brauchen, als Schmarotzer abqualifiziert werden", stellt Meyer klar.

Bremer Hilfsorganisationen fordern mehr Unterstützung

Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 8.. Dezember 2024, 19.30 Uhr