Weniger Arbeit, gleiches Geld? Bremer Experten sind optimistisch
Kürzere Arbeitszeiten und mehr Flexibilität für ein gutes Zusammenspiel von Job und Freizeit: Das ist keine Träumerei, sondern absehbare Wirklichkeit, sagen Wirtschaftsexperten.
Viele Menschen sind stark belastet, haben Stress, weil sie alle Anforderungen unter einen Hut bekommen wollen: volle Leistung im Beruf, die Sorge für Kinder und Angehörige, eine ordentliche Haushaltsführung, gesunde Ernährung, Sport und ein vielseitiges Freizeitprogramm.
Die Mehrheit der Radio Bremen Meinungsmelder möchte deshalb möglichst mehr Zeit für alles außer Geldverdienen haben. Damit fordern sie Personaler und Gewerkschaften heraus. Möglich ist viel, kreative Lösungen müssen her. Dann erreichen wir Win-Win-Lösungen, die gut für die Beschäftigten und gut für die Betriebe sind, sagen die Fachleute. Doch wie können die aussehen und wie realistisch sind sie?
Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten als Lösung?
Vor kurzem hat der Jurist und ehemalige Bremer Staatsrat für Finanzen, Henning Lühr, den Tarifkonflikt des Sicherheitspersonals an Flughäfen geschlichtet. Seine daraus gewonnene Erkenntnis:
Da geht’s eigentlich nur darum, wie steuert man die Arbeitszeit. Also neben einer ordentlichen Bezahlung. Weil Ostern, Sommer, Herbst, Weihnachten sind riesige Belastungen für Flughäfen. Es gibt aber auch Zeiten, da ist gar nichts los.
Tarifkonfliktschlichter Henning Lühr
Wichtig ist also das Arbeitszeitmanagement mit Blick auf Jahre und ein ganzes Leben statt auf Tage und Wochen. Beide Seiten brauche Sicherheit: Die Betriebe und die Beschäftigten. Wenn alle gebraucht werden, müssen alle da sein. Aber auf der Arbeit "Zeit verdaddeln", wie es ein Radio Bremen Meinungsmelder nennt, das wollen sich die wenigsten leisten.
Dass man Menschen, meist Müttern, mit Babys und Kleinkindern anbietet, jeden Tag weniger Stunden zu arbeiten, sei keine Lösung für alle, sagt Lühr. Wenn eine Frau sagt, sie möchte lieber an zwei Tagen in der Woche voll da sein, weil sie da beispielsweise eine andere Betreuungsmöglichkeit für das Kind hat, etwa durch die Oma, dann müsse das möglich sein.
Auch dass einzelne Betriebe mit Mühe und Not für einzelne Beschäftigte ein Sabbatjahr, also einen längeren Sonderurlaub, ermöglichen, habe nichts mit flexiblen Arbeitszeitmodellen zu tun. Da stehe viel Austausch zwischen Arbeitgebern und Beschäftigen beziehungsweise den Gewerkschaften an, so Lühr.
Arbeitsstunden-Rekord trotz sinkender Wochenarbeitszeit
Der emeritierte Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel behält so ziemlich alles im Auge, was zum Thema Arbeitszeit veröffentlicht wird. So hat ihn erstmal umgehauen, dass es laut Daten vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im vergangenen Jahr mit knapp 55 Milliarden die bisher höchste Zahl an geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland gab. Gleichzeitig ist hingegen die Wochenarbeitszeit im Schnitt auf 36,5 Stunden zurückgegangen.
Diese Paradoxie erklärt sich damit, dass die Erwerbstätigkeit insbesondere von Frauen enorm zugenommen hat, so Hickel weiter. Er staunt über das Potential derjenigen, die zurzeit viel zu wenig arbeiten, gemessen an der im Durchschnitt angestrebten 35-Stunden-Woche.
4-Tage-Woche plus freiwillige Mehrarbeit
Hickel ist überzeugt: Die Motivation der Beschäftigten nimmt zu, wenn die Arbeitszeit bei Lohnausgleich sinkt. Das berichten Betriebe, die das ausprobiert haben. Tatsächlich steigen dann auch Überstunden an. Das müsse auch möglich sein: Wer Vollgas geben möchte, um mit dem Verdienst beispielsweise eine private wirtschaftliche Herausforderung anzugehen, der soll das können.
Die kollektive Regelung, wie beispielsweise die angestrebten 35 Stunden bei der Bahn, wird durch viele Optionen ergänzt.
Ökonom Rudolf Hickel
Dass es nicht in allen Branchen einfach ist, die Arbeitszeit im Schnitt zu senken, sieht er ein, spricht von Hilfen, die beispielsweise im Handwerk nötig seien, damit dort weiterhin gute Leute in den Beruf einsteigen wollen. Gleichzeitig müsse es aber auch mehr Kooperation zwischen Betrieben geben, um Flexibilität zu erreichen. Die Vier-Tage-Woche kommt schneller als wir denken, ist Hickel überzeugt.
In Bremer Krankenhäusern gibt es knapp 500 verschiedene Arbeitszeitmodelle, die ausprobiert werden, sagt Lühr. Die Zeit klassischer Modelle sei vorbei. Und mit steigender Produktivität, die durch Künstliche Intelligenz und Digitalisierung erreicht wird, gebe es neue Profite, die an die Beschäftigten weiter gegeben werden können, sagt Lühr. Es herrsche aktuell eine positive Ausgangslage für Veränderungen.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 30. April 2024, 19:30 Uhr