Meilenstein oder Risiko? Bremer Ärzte im Streit um Alzheimer-Mittel

Ein alter Mann kratzt sich am Hinterkopf.
An Alzheimer erkranken vor allem alte Menschen. Die Krankheit beeinträchtigt das Denkvermögen. Bild: dpa

Neue Alzheimer-Mittel sorgen für Zündstoff, auch in Bremen. Neurologe Duning sehnt die Arzneien herbei. Pharmakologe Mühlbauer will nicht, dass sie zugelassen werden.

Beide sind ausgewiesene Fachmediziner: Thomas Duning als Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen-Ost und Bernd Mühlbauer, Direktor des Instituts für Pharmakologie am Klinikum Bremen-Mitte. Der Laie könnte annehmen, dass sie zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wenn sie dasselbe Medikament beurteilten.

Zumindest bei den Alzheimer-Mitteln Aducaumab, Lecanemab und Donanemab aber ist das Gegenteil der Fall. Während Duning große Hoffnungen in diese Medikamente legt und kaum erwarten kann, dass sie auch in Deutschland auf den Markt kommen, lehnt Mühlbauer die Mittel ab. Er hofft, dass sie gar nicht erst in Europa zugelassen werden.

Risiko lokaler Hirnschwellungen

Der Pharmakologe Bernd Mühlbauer im Studio von buten un binnen.
Findet richtig, dass Lecanemab in Europa nicht zugelassen ist: der Pharmakologe Bernd Mühlbauer. Bild: Radio Bremen

Im Kern handelt es sich bei den betreffenden Medikamenten um Antikörper, die laut der Initiative Alzheimer Forschung schädliche Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn entfernen. In vielen Ländern, darunter in den Vereinigten Staaten, China, Japan und Süd-Korea sind die Arzneien bereits zugelassen, in Europa bislang nicht.

Zurecht, sagt Mühlbauer und verweist auf die Nebenwirkungen. "In der Zulassungsstudie traten bei 17 Prozent der Probanden lokale Hirnschwellungen und Mikroblutungen auf", schreibt er in der Fachzeitschrift AVP. Diese Beobachtung sei "besorgniserregend". Daher sei im Sinne der Patientensicherheit eine gute Nachricht, dass sich der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) im Juli dieses Jahres gegen die Zulassung von Lecanemab ausgesprochen hat. Tatsächlich hatte der CHMP seine ablehnende Haltung gegenüber Lecanemab auch mit den von Mühlbauer angesprochenen Risiken begründet.

Hinkt Europa hinterher?

Thomas Duning, Chefarzt der Neurologie im Klinikum Bremen-Ost, zu Gast im Studio von buten un binnen.
Hält große Stücke auf Lecanemab: Neurologe Thomas Duning. Bild: Radio Bremen

Doch der Bremer Neurologe Thomas Duning hält das für einen Fehler. Er hofft, dass die EMA das Mittel in naher Zukunft doch noch zulassen wird. "Nur die Europäer tun sich damit schwer", sagt er und verweist auf Behandlungserfolge mit den Antikörpern beispielweise in den USA.

Mit seiner hoffnungsfrohen Einschätzung der neuen Medikamente steht Duning nicht allein da. Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) schreibt in einer Stellungnahme, die neuen Antikörper seien "ein Meilenstein".

Aus genau diesem Grund findet das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) die Entscheidung der EMA "nicht nachvollziehbar". Das Zentrum meldet: "Alzheimer ist eine globale Pandemie und die Zulassungsempfehlung von Lecanemab wäre ein wichtiger Schritt gewesen, um diese schwerwiegende Erkrankung auch in Europa besser in den Griff zu bekommen."

"Frage der Sichtweise"

Das Alzheimer Medikament Lecanemab (Markenname Leqembi, der Firma Eisal) auf dem japanischen Markt.
Lecanemab ist unter anderem in Japan bereits auf dem Markt. Bild: dpa

Anke Christians aus der Medizin-Redaktion des Norddeutschen Rundfunks führt die Meinungsverschiedenheiten unter den Medizinern bei den Alzheimer-Mitteln vorrangig auf ihre unterschiedlichen Perspektiven zurück. "Es ist eine Frage der Sichtweise", sagt sie. Der Großteil der Neurologen freue sich, dass es dank der neuen Mittel überhaupt endlich eine Möglichkeit gibt, Alzheimer – zumindest im frühen Stadium – ursächlich zu behandeln. Auch hätten sie wahrscheinlich im Hinterkopf, dass die Entwicklung eines Medikaments viel Geld kostet. Damit es weiterentwickelt werden könne, sei eine erste Zulassung umso wichtiger. 

Dass der Bremer Pharmakologe hingegen vor allem die Risiken des neuen Medikaments im Blick hat, findet Christians allerdings auch nachvollziehbar. Die Studien zu den Medikamenten zeugten von einigen Unklarheiten. Zwar hätten sich Neurologen überwiegend klar für die neuen Medikamente ausgesprochen. Gleichwohl gebe es auch in der Alzheimer-Forschung gewichtige kritische Stimmen, die auf einer Linie mit Mühlbauer liegen. So befürwortet auch die Initiative Alzheimer Forschung, "dass die Sicherheit der Erkrankten bei der Nutzen-Risiko-Abwägung höher gewichtet wurde".

Endgültige Entscheidung über Alzheimer-Medikamente steht aus

Ob es aber dabei bleibt, ist fraglich. Henry Fitt, Sprecher der EMA, teilt mit, dass der Ausschuss für Humanmedizin der EMA derzeit den Zulassungsantrag für Lecanemab erneut prüft. "Die Beurteilung von Donanemab ist ebenfalls noch im Gange", ergänzt Fitt. 

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Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 20. September 2024, 19.30 Uhr