Interview
Social-Media-Verbot bis 14? Bremer Experte plädiert für Aufklärung
Sollten wir Minderjährigen Social-Media verbieten? Der Bremer Medienpädagoge Markus Gerstmann erklärt, warum Verbote keine Lösung sind – und was man stattdessen tun kann.
Was die Kinder auf Social-Media alles so machen, bekommen die Eltern häufig gar nicht mit. Dabei gibt es dort einige negative Inhalte, die Kinder und Jugendliche schädigen können. Die niedersächsische Kultusministerin, Julia Willie Hamburg (Grüne), fordert daher, Social-Media erst ab 14 Jahren freizugeben.
Keine gute Idee, sagt der Bremer Medienpädagoge Markus Gerstmann vom Servicebureau Jugendinformation. Er meint, statt Verbote solle man lieber Medienkompetenz vermitteln und die Jugendlichen ernst nehmen.
Was ist auf Social-Media für Kinder und Jugendliche so gefährlich?
Auf Social-Media findet man viele Inhalte mit ekligen, sexistischen, übergriffigen Bildern und Texten. Kinder und Jugendliche finden solche Inhalte häufig schockierend oder als Provokation interessant und teilen diese dann weiter. Es sind Bilder, die sich in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen einbrennen.
Ist Social Media denn unterm Strich schädlich für Jugendliche?
Nein, das kann man nicht pauschal sagen, weil es sehr unterschiedlich ist, was Menschen mit Social Media machen und was für Auswirkungen es für sie hat. Es gibt viele Studien, die die Bereiche Jugendschutz und Mediennutzungszeiten beleuchten und die negative Seite untersuchen. Andere Studien, wie die von Jan-Hinerk Schmidt vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg, berichten über die Bedeutung der Mediennutzung Jugendlicher für Identitätsarbeit, Beziehungs- und Informationsmanagement.
Für die Eltern: Wenn mein Kind Freunde hat, die deutlich mehr Zugang zu Social-Media habe dürfen, wie vermittle ich meinem Kind dann meine strengeren Regeln?
Erziehung ist immer ein Aushandeln, Erklären und Begründen von Regeln. Regeln sind wichtig, aber Erwachsene müssen auch wissen, dass Regeln nicht grundsätzlich befolgt werden, wie es Jasper Juul formuliert. Deshalb ist der transparente Dialog mit den eigenen Kindern, aber auch mit anderen Eltern wichtig. Denn Medienerziehung bleibt eine Mischung aus demokratischer Erziehung und immer neuen digitalen Herausforderungen.
Kann eine Altersgrenze helfen, einen sinnvollen Umgang mit Social-Media zu finden?
Zurzeit sehen wir überall, dass Verbotsforderungen aufkommen. Ein Verbot suggeriert, dass die Kinder und Jugendlichen dann nicht mehr auf den Plattformen sind. Ist es einmal verboten, schauen wahrscheinlich viele Erziehungsberechtigte oder Lehrkräfte nicht mehr hin. Vermutlich werden die Jugendlichen aber Wege finden, um weiter auf den Plattformen unterwegs zu sein, beispielsweise über ältere Geschwister. Außerdem haben schon jetzt viele Apps eine Altersgrenze, die aber regelmäßig umgangen wird.
Die niedersächsische Kultusministerin schlägt vor, dass man die Betreiber in die Pflicht nimmt, dass Minderjährige ihre Apps nicht herunterladen. Außerdem bräuchte es die technischen Voraussetzungen, damit Kinder die Altersbeschränkung nicht mehr umgehen können. Was halten Sie davon?
Falls ein Verbot so strikt geregelt wird, bekommen wir Probleme mit dem Datenschutz. Wenn man beispielsweise mit seinem Ausweis das Alter verifizieren muss, würde das die Anonymität aufheben, die gerade wichtig ist, wenn Jugendliche im Internet Fragen besprechen wollen, die ihnen peinlich sind.
Hinzu kommt, dass man mit 14 Jahren noch gar nicht zwingend einen Ausweis hat. Klar wollen wir Medienpädagogen auch, dass die Betreiber regulieren und den Jugendschutzbestimmungen nachkommen. Erziehung ist aber eben nicht Technik, sondern Dialog, Beziehung und Kompetenzvermittlung.
Was würden Sie stattdessen vorschlagen?
Mein Ansatz wäre kein Verbot, sondern Kompetenzen zu vermitteln. Wir wollen Eltern aufklären, mit ihren Kindern darüber zu reden. Social-Media ist Teil der jugendlichen Lebenswelt, da sollten wir Erwachsenen nicht einfach von außen kommen und es ihnen verbieten. Medienkompetenz ist der aufwendigere, aber der verantwortlichere Weg.
Wie könnte so eine Aufklärung von Kindern und Jugendlichen aussehen?
Wir müssen den Kindern Kompetenzen vermitteln, damit sie ihr Handeln auf Social-Media reflektieren. Fragen, mit denen man anstoßen kann, wären beispielsweise: Warum fülle ich meine Langeweile mit Medieninhalten? Was ist wahr und was ist Desinformation? Wie gehe ich mit ekligen Bildern um? Und ganz generell: Was ist ein guter Tag für mich und wie möchte ich ihn gestalten? Es geht darum, bewusste Entscheidungen zu treffen. Das ist eine Lebenskompetenz, die wir so vermitteln können.
Was würden Kinder und Jugendliche durch ein Verbot von Social-Media verlieren?
Es gibt viele Inhalte, die auch für die Entwicklung wichtig sind. Kinder und Jugendliche finden Gleichgesinnte auf Social-Media. Eine Jugendliche hat mir beispielsweise erzählt, dass sie in der Cosplayszene aktiv ist. Über Social-Media hat sie eine Gruppe gefunden, ist mittlerweile bundesweit vernetzt, bildet sich so in dem Bereich weiter und hat damit ihre persönliche Entwicklung vorangetrieben.
Was können Eltern tun, um die Medienkompetenz ihrer Kinder zu stärken?
Es ist immer wichtig, sich für die Lebenswelt der Kinder zu interessieren. Einfach nur zu sagen, dass das alles falsch ist, hilft nicht und löst nur Gegenreaktionen aus. Wenn man Interesse zeigt, setzt man an den Kompetenzen der Kinder an. In unseren Workshops erleben wir die Jugendlichen als sehr eloquent, weil sie eine Meinung zu dem Thema haben und sich auskennen.
Wenn sie Erwachsenen aus ihrer digitalen Lebenswelt und ihre Lösungswege berichten, fängt automatisch die Reflexion an, weil sie mit einem kritischen Erwachsenen anders reden als mit den Freunden. Medienkompetenz darf aber nicht an den Eltern hängen bleiben. Sie muss selbstverständlich in der Schule und in den Jugendzentren stattfinden.
Was könnte noch getan werden, um Kinder auf Social-Media zu schützen, ohne es zu verbieten?
Wichtig wäre es, die Inhalte zu kontrollieren und nicht die Benutzer. Die Anbieter sollten besser regulieren und genau hingucken. Das ist zugegebenermaßen schwierig in einer Zeit, in der Facebook weniger Factchecking machen möchte. Da erwarte ich von der Politik in Deutschland und der Europäischen Union eine klare Haltung. Wir haben den "Digital Service Act" in Europa, auf dieser Grundlage muss die Politik die Firmen dazu bringen, dass sie ihre Plattformen nach diesem Gesetz betreiben.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 21. Januar 2025, 7:45 Uhr