Infografik
Stress oder sinnvoll: Was bringt der Zukunftstag?
Anstatt im Klassenzimmer verbringen Tausende Bremer Schülerinnen und Schüler einen Tag im Betrieb. Der Zukunftstag soll Rollenbilder aufbrechen. Funktioniert das?
Edda Grimm ist Klassenlehrerin einer neunten Klasse an der Oberschule am Leibnizplatz. Sie ist von der Idee des Zukunftstags überzeugt, zumindest was die Berufsorientierung angeht. "Das ist total wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen möglichst viele Erfahrungen machen und sich Berufe anschauen", sagt Grimm.
Allerdings erlebt die Oberschullehrerin in der Praxis auch, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler gleich viel von dem Tag profitieren. "Die Suche war in diesem Jahr sehr zäh", erzählt sie. Und die Chance, interessante Einblicke in einem Berufsfeld zu bekommen, haben nicht alle. "Beim Zukunftstag zeigt sich ganz deutlich, dass mal wieder die Kinder, die von zu Hause viel Unterstützung haben, profitieren und die anderen eher weniger", sagt Edda Grimm. Damit fördere der Zukunftstag nicht gerade die Chancengleichheit.
Die fitten Schülerinnen und Schüler haben viel organisiert und die, die keine Unterstützung von zu Hause haben, haben keinen Platz oder machen den Tag beim Kiosk oder beim Dönerladen. Die nehmen dann vielleicht nicht so viel mit.
Oberschullehrerin Edda Grimm
"Schulen müssten wahrscheinlich strukturierter unterstützen"
Die Wissenschaftlerin Veronika Oechtering sieht diesen Kritikpunkt auch. "Es gibt viel zu wenig Plätze, an der Uni haben wir meistern dreimal so viele Anmeldungen wie Plätze. Und die Schulen müssten wahrscheinlich strukturierter an manchen Punkten unterstützen", sagt die wissenschaftliche Leiterin des Kompetenzzentrum Frauen in Naturwissenschaft und Technik an der Universität Bremen. Dennoch ist der Zukunftstag aus ihrer Sicht sinnvoll. Allein, irgendwo nach einem Platz zu fragen und eine Zu-oder Absage zu bekommen, sei eine Erfahrung. "Und natürlich gibt es auch Kinder, deren Eltern eben keinen Arbeitsplatz haben. Und für die ist es eigentlich dann umso wichtiger, wenn sie an dem Tag auch mal einen Arbeitstag erleben und kennenlernen."
Begonnen hat der Zukunftstag 2001 als "Girls’Day – Mädchen Zukunftstag" mit der Idee, die Berufschancen für Mädchen in Bereichen zu verbessern, in denen sie bisher unterrepräsentiert sind. Mädchen also zum Beispiel für Ingenieurs- oder IT-Berufe, für technische und handwerkliche Berufe zu interessieren. Diese Berufe sind in der Regel wesentlich besser bezahlt als zum Beispiel Berufe im sozialen Bereich.
Nach wie vor allerdings sind Frauen in Deutschland in technischen und handwerklichen Berufen sehr wenig vertreten. "Wir haben in Deutschland einfach ein extremes Missverhältnis von Berufen, wo sich fast ausschließlich Männer finden lassen oder fast ausschließlich Frauen. Und das ist in Deutschland oder auch im deutschsprachigen Ausland wirklich weltweit eine der extremsten Situation", sagt Veronika Oechtering.
Da können wir fast keinen anderen Staat in der Welt finden, wo zum Beispiel die technischen Felder so einseitig für Männer ausgerichtet sind und Frauen eben dann eher in Pflegeberufen oder erzieherischen Berufen unterwegs sind.
Wissenschaftlerin Veronika Oechtering
Gehen Mädchen in männerdominierte Berufe?
Junge Erwachsene entscheiden sich immer noch häufig für Berufe oder Studienfächer, die den gängigen Rollenvorstellungen entsprechen. Das erlebt auch Lehrerin Grimm in ihrer Klasse. "In der Praxis habe ich noch nicht erlebt, dass Mädchen in männerdominierte Berufe gehen", erzählt sie. Meistens wählen die Kinder tatsächlich nach ihren Interessen. "Einige der Jungen aus meiner Klasse haben Bock auf Naturwissenschaften, wollen zu OHB oder Airbus, die Mädchen dann eher an Umweltbildung, Jugendarbeit und Kochen."
Ein ähnliches Bild zeigt sich in einer anderen Bremer Oberschule. Lisa Borutta ist Lehrerin in Habenhausen und erlebt in ihrer sechsten Klasse, dass die meisten Mädchen eher soziale Berufe wählen, die Jungen eher in Handwerksbetriebe gucken. "Viele sind in der fünften Klasse auch mit ihren Eltern oder Verwandten mitgegangen", erzählt sie. Aus Sicht von Oechtering kann auch diese Erfahrung für die Kinder wertvoll sein: "Auch wenn die Kinder bei den Eltern oder Verwandten mitgehen, nehmen sie dort etwas mit." Bis sich Prozesse in der Gesellschaft verändern, dauere es. "Aber das gelingt", sagt die Wissenschaftlerin.
Es wird seit 2001 jährlich in großem Stil qualitativ und quantitativ erhoben. Die Studien sagen eindeutig, dass sich in Deutschland ganz langsam, aber stetig etwas ändert.
Wissenschaftlerin Veronika Oechtering
Zukunftstag zielt auch auf Unternehmen ab
Das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit hat mehr als 5.000 Schülerinnen ab elf Jahren zur Wirkungsweise des Girls'Day befragt. Die Ergebnisse zeigen: Nach dem Orientierungstag können sich mehr Teilnehmerinnen vorstellen, einen Beruf, eine Ausbildung oder ein Studium in diesen Bereichen zu ergreifen.
Der Zukunftstag zielt aber nicht nur allein auf die Schülerinnen und Schüler ab, sondern auch auf die Unternehmen. "Es gibt Beispiele, wo dann irgendwie auch schon ältere Meister in einem Handwerksbetrieb plötzlich feststellen, dass die Metallschere oder irgendein anderes Werkzeug genauso gut von einem Mädchen ausgeführt werden kann wie von einem Jungen“, sagt Oechtering.
Dennoch ist die Wirkung des Girl’s Day und Boys‘ Day begrenzt. "Natürlich kann der Zukunftstag allein die Gesellschaft nicht verändern", sagt die Wissenschaftlerin. "Aber er kann ein kleiner Schritt sein in dem großen Prozess, um letztlich die Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft, in der Berufswahl, aber auch weit darüber hinaus herzustellen."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, der Tag, 25. April, 13:10 Uhr