Tierarztpraxis statt Berufsschule: Warum Bremer ihren Beruf wechseln
40 Jahre derselbe Job? Das ist schon lange nicht mehr die Regel. Wir haben mit zwei Menschen aus Bremen gesprochen, die nochmal neu begonnen haben.
Tiere haben Sandra Hänke immer begeistert und auch die Biologie hatte es ihr schon in jungen Jahren angetan – doch in ihrem Studium entschied sie sich für Soziologie und osteuropäische Kulturgeschichte. "In meiner Brust schlugen nun mal zwei Herzen", so die mittlerweile 46-Jährige. Ihr beruflicher Werdegang lief gut. Sie wurde Schulleiterin an einer Berufsfachschule, übte ihre Arbeit gern aus – und dann:
Mit 40 begann ich zu merken, dass ich doch nochmal was anderes machen will und ein paar Jahre später wusste ich: Wenn nicht jetzt, dann nie.
Sandra Hänke, ehemalige Schulleiterin und nun TFA Auszubildende
Nach zwei Jahren reiflicher Überlegung, wohin es gehen soll, und zugehörigen Praktika entschied sie sich für die Ausbildung zur Tiermedizinischen Fachangestellten (TFA). "Ich hatte immer nur studiert und wollte nochmal eine Ausbildung machen, hier kann ich nun etwas ganz Neues lernen: Ich befasse mich mit Medizin und Tieren."
Von der Forschung in die Kirche
Auch bei Benedikt Rogge verlief der Weg nicht geradlinig. Nach seinem Studium in Psychologie und Soziologie forschte er zum Thema Arbeitslosigkeit, bis er mit damals Anfang 30 merkte: Dieser Beruf erfüllt ihn nicht. "Als Wissenschaftler konnte ich nur zuhören, musste neutral bleiben." Er entschloss sich für einen neuen Master, den er dank Berufserfahrung innerhalb von zwei Jahren nachholen konnte.
Mit Erfolg: Er arbeitet inzwischen als Pastor in der evangelischen St. Ansgarii Gemeinde. "Bei diesem Beruf habe ich viel mehr das Gefühl, dass sich meine ganze Person entfalten kann. Vor allem das Zwischenmenschliche ist mir wichtig: Die Freude mit Kindern des Kindergartens, die Feste, die man mitorganisiert, aber auch die Seelsorge, die man betreibt, und die Trauerfeiern, die man begleitet."
Berufswechsel sind notwendig – für Menschen und Wirtschaft
Eine Studie des Bremer Instituts Arbeit und Wirtschaft aus dem Jahr 2017 zeigt, dass die Zahl der Menschen, die ihren Beruf aus neuen Interessen und Umorientierung wechseln, steigt.
So viele Bremer begannen mithilfe der Agentur für Arbeit eine Umschulung
Wie relevant das Thema ist, beobachtet auch Marie-Luise Assmann von der Bremer Arbeitnehmerkammer: "Im letzten Jahr lag der Anteil derer, die sich zum Thema Umschulung und Neuorientierung haben beraten lassen, bei 21 Prozent. Damit kommt das Thema gleich an zweiter Stelle nach dem häufigsten Beratungsthema, nämlich dem Wunsch, sich zu spezialisieren."
Die Gründe dafür seien vielfältig. Doch im Hinblick auf den sich schnell wandelnden Arbeitsmarkt sieht Assmann auch eine große Notwendigkeit:
Sowohl Krisen als auch die Digitalisierung und die Energiewende führen zu großen Veränderungen in der Wirtschaft, die für die Arbeitnehmer zum Teil auch Berufs- und Branchenwechsel notwendig machen.
Marie-Luise Assmann, Arbeitnehmerkammer Bremen
Auch die Gesundheit bringe viele Menschen dazu, dass sie bestimmte Berufe nicht bis zur Rente ausüben können: Ein Berufswechsel ist dann die einzige Möglichkeit.
Die beliebtesten Bereiche unter den Teilnehmern der Förderung in Bremen 2023:
Umschulungen fordern Mut und Unterstützung
Sie fordert mehr Unterstützungen bei Umschulungen und Nachqualifizierungen durch das Land Bremen. Denn ein solcher Schritt ist oft nicht leicht, so brauchte auch Sandra Hänke viel Mut: "Am Anfang hatte ich viele Bedenken und Ängste: Meine Mitschüler sind größtenteils zwischen 18 und 23 – werden sie mich, auch noch ehemalige Schulleiterin, überhaupt akzeptieren? Kann ich mir überhaupt noch Wissen für Klausuren aneignen?", erinnert sich die 46-Jährige, die nun im zweiten Ausbildungsjahr ist.
Diese Bedenken erwiesen sich zum Glück als unbegründet, doch ein Auf und Ab ist die Entscheidung dennoch:
Vor allem an dem Finanziellen und den geringeren Urlaubstagen habe ich zu knabbern.
Sandra Hänke, ehemalige Schulleiterin und nun TFA Auszubildende
Sie könne zwar gut leben, da sie auch verheiratet sei und dadurch Unterstützung bekäme, aber die Einschränkungen seien real. Bereuen tut sie den Schritt dennoch nicht, sondern sie freut sich, nochmal etwas ganz Neues zu lernen und nicht ihr Leben lang im selben Beruf zu arbeiten.
Viele Erfahrungen auch als Chance sehen
Auch Benedikt Rogge ging das Risiko ein – trotz neugeborenem Sohn pendelte er zu Kursen. "Für zwei Semester war es wirklich anstrengend, und der Druck war groß – es durfte nichts schief gehen. Ohne die Unterstützung meiner Frau hätte ich das wohl nicht geschafft."
Doch trotz der Strapazen und der Unsicherheiten ist er nun erleichtert, dass sein Weg eben nicht umweglos verlief.
Dadurch dass ich mal einen anderen Beruf ausgeübt habe, habe ich einen anderen Blick auf die Dinge. Ich habe keine Scheuklappen auf.
Dr. Benedikt Rogge, Pastor St. Ansgarii Gemeinde
So könnte der Quereinstieg also auch eine Chance für die Arbeit sein: Denn die Erfahrungen und Kompetenzen, die man aus dem alten Beruf noch mitnimmt, gehen nicht verloren.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. Februar 2024, 19:30 Uhr