Hat das Handwerk noch goldenen Boden, Herr Kurzke?
Nachwuchsmangel, wenig Frauen, Digitalisierung – Handwerksbetriebe stehen vor großen Herausforderungen. Wie man die angeht, erklärt der Präses der Handwerkskammer.
Die Handwerkskammer Bremen ist eine altehrwürdige Institution: Seit 175 Jahren gibt es sie. Sie vertritt mehr als 5.000 Betriebe in Bremen und Bremerhaven mit mehr als 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Termine bei vielen Handwerkern sind kaum zeitnah zu bekommen – das zeigt, wie gefragt sie sind. Aber die Branche hat auch dicke Bretter zu bohren: Sich modern aufstellen, digitaler werden, junge Menschen und Frauen für sich begeistern und ganz nebenbei noch die Folgen der Wirtschaftskrise verkraften. Im Gespräch mit Felix Krömer spricht Thomas Kurzke, Präses der Handwerkskammer Bremen, über die vielen Herausforderungen, aber auch über Unternehmerstolz, Teilzeitmodelle und schnelle Aufstiegschancen.
1 Was sind die größten Schwierigkeiten im Alltag von Handwerksbetrieben?
Kurzke bringt das Beispiel eines kleinen Bäcker- oder Konditormeisters. "Wenn er ein Brot oder einen Kuchen backt, muss er jedes einzelne Detail nachweisen." Auch Kunden verlangten dies und dürften das auch. Gerade für kleine Betriebe bedeute das aber einen Riesen-Aufwand. Verordnungen und Gesetze hätten im Kern einen guten Ansatz, aber Bürokratieabbau sei notwendig. Warum es steuerliche Anreize braucht, damit kleine Handwerksbetriebe nicht verloren gehen, erläutert Kurzke ab Minute 7:53.
2 Was ist das größte Problem in der Branche?
Thomas Kurzke nennt den Fachkräftemangel das größte Problem. Welches Konkurrenzverhalten dadurch entsteht, erklärt er ab Minute 12:00. "Wir haben über Jahrzehnte die Kopfarbeit gefördert. […] Ich glaube, gesellschaftlich ist da was in Schieflage geraten. Wir haben Handarbeit nicht mehr so wertgeschätzt wie Kopfarbeit. Ich habe immer gesagt: Beides ist für mich gleichwertig. Ich bewundere meinen Steuerberater, meinen Arzt oder meinen Juristen, der mich vertritt. […] Aber ich bewundere genauso Menschen, die ein tolles Werk schaffen jeden Tag auf der Baustelle." Es gebe Menschen, die nach zehn Jahren Schule in ein Handwerksunternehmen zur Ausbildung kämen und richtig aufblühten. Was sich in puncto Einstellung in den letzten Jahren verändert hat, darüber spricht Kurzke ab Minute 13:53. Man müsse dahin kommen, dass Zugewanderte viel schneller eine Arbeit aufnehmen könnten als bisher, schon nach wenigen Wochen, meint Kurzke. Welche Rolle Deutschkenntnisse spielen und wo er die Unternehmen am Zug sieht, erklärt er ab Minute 26:29.
3 Wie finden die Unternehmen den dringend benötigten Nachwuchs?
Auf die Frage von Felix Krömer, ob man gezielter in die Gymnasien gehen und für das Handwerk werben müsse, antwortet Kurzke: "Man muss sich attraktiv darstellen. Da zählt heute vieles zu, auch die Auftritte in den sozialen Medien." Ab Minute 17:12 erklärt der Handwerkskammerpräses, wie man auf junge Menschen zugehen muss, um sie zu gewinnen. "Wenn man sich noch verstaubt darstellt, wenn man noch arbeitet wie vor 30 oder 40 Jahren, dann wird man keine jungen Leute finden." In dem Punkt seien Fehler gemacht worden, aber in den letzten Jahren habe sich auch viel verändert. "Ich wehre mich gegen das Bashing von Jugendlichen", sagt Kurzke. Er verweist darauf, dass es in Bremen und Bremerhaven auch massive soziale Probleme gebe. Schule und Wirtschaft müssten viel näher zusammenrücken. Dass Auszubildende schlecht behandelt würden, weil sie in der Hierarchie ganz unten stehen, können sich Betriebe heute nicht mehr leisten, meint Kurzke.
4 Was bietet das Handwerk Menschen, die eine bessere Work-Life-Balance wollen?
"Wir sind noch nicht gut aufgestellt, aber auf einem guten Weg dahin", meint Kurzke. In puncto Teilzeit habe sich viel getan. "Wenn ich vor fünf Jahren über Teilzeitmodelle in meinem Job gesprochen hätte […] wäre das undenkbar gewesen. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit." Ab Minute 31:28 bringt Kurzke bringt das Beispiel eines Unternehmers, der seine Angestellten fragt: Wie wollen Sie bei mir arbeiten? Auch Teilzeit-Ausbildung sei bereits im Gespräch. Seit einigen Jahren gebe es Ausbilder-Frühstücke, wo diskutiert werde, wie das Handwerk attraktiver werde, wie man mit der Gen Z und deren Bedürfnissen umgehen könne. Dabei ist der Druck hoch: "Es wird viele Berufe bald nicht mehr geben, wenn es uns nicht gelingt, Menschen zu gewinnen."
5 Wie kann man mehr Frauen für das Handwerk gewinnen?
Ein "Riesen-Thema", sagt Kurzke. Man habe lange gestritten über Frauenquoten. Gescheitert sei es daran, dass man sie schlicht nicht erfüllen könne, weil es so viele Frauen in den Berufen nicht gebe. Es sei noch nicht durchgedrungen, dass Handwerk heute etwas anderes sei, als schwere Säcke zu schleppen. Im Handwerk könne man schnell viel erreichen. "Es gibt kaum eine Wirtschaftskraft, wo man sich so schnell selbständig machen kann. Im Handwerk sind Sie heute noch Arbeitnehmer, morgen Arbeitgeber." Bei Minute 41:21 erklärt Kurzke, wer am Zug ist, um mehr Frauen in den Beruf zu bringen, und was er sich von der Politik wünscht. In Bremen gebe es "tolle Beispiele, wo Frauen Betriebsinhaberinnen sind". Allerdings sei es immer noch so, dass viele als Nachfolger einen Mann suchten.
6 Warum ist es im Handwerk so schwer, Nachfolger zu finden?
In Zeiten, wo viele Arbeitnehmer gesucht werden, gebe es immer ein Absacken der Selbstständigkeit. Ab Minute 45:37 erläutert Kurzke, warum es sich aus seiner Sicht lohnt, Verantwortung zu übernehmen. Allerdings seien auch die Anforderungen heute höher als früher: "Man muss seinen Betrieb ständig weiterentwickeln. Das war in anderen Jahrzehnten nicht so." Für Modernisierungen müsse man auch viel Geld in die Hand nehmen. In der Handwerkskammer helfen Unternehmens- und Startberater bei Fragen, die auftauchen, wenn Betriebe übernommen werden sollen.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. April 2024, 19:30 Uhr