Interview

Tattoos am Arbeitsplatz: Wann darf es der Arbeitgeber verbieten?

Zwei tätowierte Arme zeichnen etwas auf ein weißes Blatt.

Totenkopf-Tattoo wird für Sozialassistenten zum existenziellen Problem

Bild: dpa | Zoonar | Elizaveta Tomashevska

Bei Bremerhaven hat ein Kita-Mitarbeiter seinen Job gekündigt. Der Grund: Er sollte sein Tattoo verdecken. Eine Expertin erklärt, welches Recht hier gilt.

Weil er sich ein Totenkopf-Tattoo auf den Hals stechen ließ, sollte Lars Freiknecht fortan bei seiner Arbeit als Sozialassistent in einer Kita in Langen (Landkreis Cuxhaven) einen Schal oder eine hochgeschlossene Jacke tragen. Damit fühlte sich der 41-Jährige nicht wohl und kündigte. War die Reaktion des Arbeitgebers rechtens? Und wie sollten sich Tätowierte in solch einem Fall verhalten? Kaarina Hauer, Leiterin des Bereichs Rechtspolitik und -beratung der Arbeitnehmerkammer Bremen, erklärt, was Arbeitgeber und -nehmer wissen müssen.

Frau Hauer, sind Tattoos am Arbeitsplatz erlaubt?

Es gibt kein gesetzliches Verbot, welches Tattoos am Arbeitsplatz verbietet. Vielmehr fällt das Tragen von Tattoos unter das grundgesetzlich geschützte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. In manchen Arbeitsverträgen gibt es allerdings Regelungen, die das Tragen von sichtbaren Tattoos verbieten beziehungsweise anordnen, diese zu überdecken. Ein solch pauschales Verbot wäre wohl rechtlich unwirksam, da es hierbei auf den Einzelfall ankommt.

Darf ein Arbeitgeber verlangen, dass der Arbeitnehmer sein Tattoo während der Arbeitszeit verdeckt?

Ein pauschales Verbot ist rechtswidrig. Vielmehr muss man sich den konkreten Einzelfall anschauen. Hier liegt ein klassischer Fall der praktischen Konkordanz vor. Dieser juristische Grundsatz besagt, dass auf der einen Seite die Rechte des Beschäftigten auf ein selbstbestimmtes Äußeres stehen und auf der anderen Seite die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers wie zum Beispiel die allgemeine Handlungsfreiheit, ein bestimmtes Marketingkonzept oder ein Erziehungsauftrag. Es stellt sich dann die Frage, wie man diese beiderseitigen Interessen zu einem angemessenen Ausgleich bringen kann.

Bei der Abwägung wäre zum einen auch die Auffälligkeit und die Botschaft des Tattoos zu berücksichtigen und zum anderen, ob es dem Betroffenen zumutbar ist, das Tattoo zu verdecken. Über Tätowierungen im Arbeitsleben wird häufig dann gestritten, wenn in dem Beruf eine gewisse Seriosität ausgestrahlt werden soll, oder aber wenn der Betroffene eine Vorbildfunktion hat oder eine Autoritätsperson ist. So gibt es diverse jüngere Urteile, die Polizisten verbieten, Tattoos sichtbar zu tragen.

Kaarina Hauer
Kaarina Hauer leitet den Bereich Rechtspolitik und -beratung der Arbeitnehmerkammer Bremen. Bild: Kaarina Hauer

Wie schätzen Sie diesen Fall ein? Ist die Forderung des Kita-Trägers, dass der Sozialassistent sein Totenkopf-Tattoo während der Arbeitszeit dauerhaft verdecken soll, gerechtfertigt?

Dieser Fall ist juristisch gesehen umstritten. Man kann die Rechte der Beteiligten beiderseits mit guten Argumenten unterschiedlich bewerten. Hinzu kommt, dass der Fall hochemotional ist. Inwieweit darf das allgemeine Persönlichkeitsrecht von einem Erziehungsauftrag und einer Vorbildfunktion eingeschränkt werden und welche Maßnahmen sind angemessen und zumutbar? Und wie ist die realistische und auffällige Darstellung des Totenkopfes im Verhältnis zu der Weisung, das Tattoo zu verdecken, zu bewerten? Vor Gericht hätte die Kita wegen des Erziehungsauftrags und der Vorbildfunktion vermutlich bessere Chancen als der Sozialassistent.

Was raten Sie tätowierten Arbeitnehmern, die mit solch einer Forderung ihres Arbeitgebers konfrontiert sind?

Ich würde zunächst das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen, um die Gründe für eine solche Weisung zu verstehen. Seitens des Beschäftigten ist es wichtig, gut vorbereitet in ein Gespräch zu gehen und zu wissen, dass hier wirklich die Rechte beider Seiten sorgfältig abgewogen werden müssen. Argumentativ hilfreich mag dabei auch sein, dass in Deutschland mittlerweile 17 Prozent der Bevölkerung ein oder mehrere Tattoos haben. Diese Informationen lassen sich leicht im Internet bei Online-Plattformen recherchieren, zum Beispiel beim Statistischen Bundesamt. Sollte die Forderung des Arbeitgebers in dem konkreten Einzelfall tatsächlich angemessen erscheinen und dem Beschäftigten ein Verdecken zumutbar sein, würde ich raten, das auch zu tun, um weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Nachmittag, 13. April 2023, 15.10 Uhr