Interview

Tarifabschluss öffentlicher Dienst: "Da ist eine große Diskrepanz"

"Guter Abschluss in schwierigen Zeiten": Ist die Tarifeinigung fair?

Bild: Radio Bremen | Birgit Reichardt

Die Tarifeinigung sieht Bremens Verdi-Sprecherin de Jonge mit gemischten Gefühlen. Sie erklärt, was gelungen ist – und was die Gewerkschaft in dem zähen Ringen loslassen musste.

Es waren zähe, lange Verhandlungen, bis sich die Tarifparteien auf einen Abschluss geeinigt haben. Am Ende folgten sie in den Kernpunkten den Empfehlungen der Schlichter um den ehemaligen Bremer Staatsrat Hans-Henning Lühr. Wie zufrieden die Gewerkschaft Verdi wirklich ist, hat die Bremer Verdi-Sprecherin Mareike de Jonge buten un binnen erklärt.

Das waren lange Verhandlungen. Wie bewerten Sie den Tarifabschluss jetzt?

Wir sehen den Tarifabschluss – ich würde sagen – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wir haben einen Kompromiss erzielt, der auf der Habenseite eine beträchtliche Entgelterhöhung vorsieht. Für die meisten Beschäftigten eine Erhöhung von 11,5 Prozent ab 1. März im kommenden Jahr. Und vorher gibt es den Inflationsausgleich von 3.000 Euro. Wir hätten uns gewünscht, dass die Teilzeit-Beschäftigten auch in voller Höhe davon profitieren, das konnte wir leider nicht erreichen. Eine anderen Schwäche ist die lange Laufzeit von 24 Monaten rückwirkend ab Januar. Und wir wollten 500 Euro mindestens mehr statt 340 Euro.

Was ist das größte Opfer, das Sie als Gewerkschaft machen mussten?

Dass wir einen Inflationsausgleich haben, der über 14 Monate läuft, und sich das nicht auf die Löhne in den Tabellen auswirkt. Die Beschäftigten bekommen ja im Juni 1.240 Euro rückwirkend ab Januar und dann 220 Euro monatlich bis einschließlich Februar 2024. Das ist steuerfrei, aber wirkt sich nicht auf die Rente der Beschäftigten aus, das wirkt wie eine Einmalzahlung und in der Tabelle steigt das Einkommen erst ab März 2024.

Die 340 Euro mindestens mehr Lohn sind schon mal gut, das ist eine Aufstockung in den unteren Lohngruppen, ein guter Kompromiss. Aber wir haben 500 Euro auf zwölf Monate gefordert. Das ist eine große Diskrepanz.

Es ist eine historisch hohe Tarifsteigerung und doch gibt es kritische Stimmen. Sie haben das ja selbst als Schwäche eingeräumt, dass es erst ab März 2024 eine "echte" Lohnerhöhung gibt. Was sagen Sie den Kritikern?

Ich glaube, wir müssen da noch viel erklären, wie sich der Sockelbetrag auswirkt. Es gibt also ab März die feste Summe von 200 Euro auf den aktuellen Lohn – und darauf werden noch mal 5,5 Prozent drauf gerechnet. In der Summe sind das hohe prozentuale Steigerungen.

Wir hätten gerne ab dem ersten Tag eine prozentuale Anhebung gehabt, die hätten wir, nach dem mir bekannten Verhandlungsstand, nicht erreicht. Und hätten wir ab dem ersten Januar rückwirkend eine prozentuale Steigerung erwirkt – diese Gedankenspiele gab es in den Verhandlungen – dann wäre die so gering ausgefallen, dass die Beschäftigten nicht diese 220 Euro netto in der Tasche gehabt hätten, die sie durch die Inflationsausgleichszahlung bekommen. Das ist ein Kompromiss, auch, wenn auch ein Nachteil, weil den Beschäftigten das in der Rentenkasse fehlt.

Die Mitglieder der Gewerkschaft müssen noch zustimmen. Gilt das als sicher?

Es gehört bei uns zum normalen Prozess dazu, die Mitglieder zu befragen. Wir werden natürlich jetzt alle informieren, viel Erklärungsarbeit leisten, und dann werden die Mitglieder darüber entscheiden. Im Vorfeld hatten wir bei uns in der Region ein Stimmungsbild eingeholt, da gab es schon viel Zustimmung zu dem Schlichtungsvorschlag. Aber die Mitglieder entscheiden am Ende.

Autorin

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    Birgit Reichardt Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 23. April 2023, 19:30 Uhr