Interview
Neuer Landesbehindertenbeauftragter: Das sind die Probleme in Bremen
Die Bremische Bürgerschaft hat einen neuen Landesbehindertenbeauftragten. Im Interview erzählt der neue Amtsinhaber, wo Bremen dringend etwas für Behinderte tun muss.
Eine Auswahlkommission hatte Wolf Arne Frankenstein als einzigen Kandidaten zur Wahl vorgeschlagen. Der bisherige Amtsinhaber Joachim Steinbrück geht nach 15 Jahren Ende April in den Ruhestand. Wolf Arne Frankenstein hat sich schon konkrete Ziele gesetzt.
Herr Frankenstein, ich frage mal ganz direkt: Haben Sie selbst eine Behinderung?
Ja, ich bin von Geburt an behindert, nutze seit meinen Kindertagen einen Rollstuhl und seit der Schulzeit persönliche Assistenz. Das Bremische Behindertengleichstellungsgesetz sieht vor, dass das Amt möglichst von einem behinderten Menschen ausgeübt werden soll. Das halte ich für eine kluge Regelung, weil sie ermöglicht, dass man die fachliche Sicht erweitern kann um eine authentische Perspektive darauf, was eine Behinderung im Alltag bedeutet.
Was macht Sie zum geeigneten Landesbehindertenbeauftragten?
Der Landesbehindertenbeauftragte wirkt auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen in der Gesellschaft hin und fördert die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Das betrifft alle Lebensbereiche und alle politischen Handlungsfelder und ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Zur Gestaltung dieses Prozesses ist eine enge Zusammenarbeit aller beteiligten Akteurinnen und Akteure unverzichtbar. Durch meine langjährigen Erfahrungen als Vertreter eines Behindertenverbands und durch meine Arbeit in der Wissenschaft bin ich geübt darin, öffentlich zu diskutieren, Standpunkte zu bewerten und gemeinsam mit anderen Lösungen zu entwickeln. Zudem bin ich es als Jurist gewohnt, mich schnell in neue Fragestellungen einzuarbeiten.
Inklusion ist ein ständiges Thema. Klappt die in unserer Gesellschaft?
Vor elf Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft getreten. Neben neuer Aufmerksamkeit hat sie auch neue rechtliche Verbindlichkeit gebracht. Seitdem hat sich einiges verbessert, eine inklusive Gesellschaft sind wir aber noch nicht. Viele Expertinnen und Experten in Wissenschaft und Praxis bescheinigen Deutschland, dass es mit der Umsetzung der Konvention in Verzug ist. Diese Ansicht teile ich und sage ganz deutlich: Wir stehen noch immer am Anfang einer Entwicklung.
Was wollen Sie in Ihrem neuen Amt als Erstes angehen?
Ich werde die Enquete-Kommission zur Klimaschutzstrategie in Bremen ersuchen, die Situation von Menschen mit Behinderungen von Anfang an zu berücksichtigen. Die klimapolitischen Herausforderungen sind eine Chance, bestehende Konzepte von gesellschaftlichem Zusammenleben wie Mobilität oder Wohnen neu zu denken. Jetzt ist die Zeit, um unser Zusammenleben nicht nur ökologischer, sondern auch diskriminierungsfreier zu gestalten. Dazu gehört, die elementaren Menschenrechte zu achten, die sich für Menschen mit Behinderungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergeben.
Stadtentwicklungsplanungen in Bremen und Bremerhaven müssen dies bis hinein ins Umland berücksichtigen. Bei der Barrierefreiheit des Nahverkehrs ist das offenkundig. Dabei darf man es aber nicht belassen. Auch bei der Entwicklung neuer Mobilitätsangebote zur Verkehrsentlastung dürfen behinderte Menschen nicht ausgeschlossen werden. Und auch bei der Gestaltung von Wohnraum, Angeboten der Daseinsvorsorge, Arbeitsbedingungen und Freizeitangeboten müssen diese Aspekte von Anfang an mitgedacht werden.
Wo muss sich Bremen mehr für Behinderte einsetzen? Können Sie spontan die drei größten Baustellen nennen?
Enorm wichtig ist die weitere Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Bremen. Der begonnene Prozess bietet die Chance, die Architektur von Leistungen so zu verändern, dass am Ende die Selbstbestimmung gewinnt. Dafür braucht es ein Bedarfsfeststellungsverfahren, das eine handlungsfähige Grundlage für Leistungen bietet und ein Leistungsstrukturmodell, das sich an der UN-Behindertenrechtskonvention orientiert. Je besser uns das in Bremen gelingt, desto mehr unterstützt es den Prozess der Teilhabe insgesamt.
Darüber hinaus gilt es, die Frühförderung von Kindern mit Behinderungen und die Inklusion in der Schule ressourcenmäßig und strukturell so abzusichern, dass am Ende ein inklusives Bildungssystem steht, das allen behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern die gleichen Chancen eröffnet.
Nicht zuletzt muss die gesundheitliche Versorgung für alle sichergestellt werden. Dazu gehört, die hausärztliche Versorgung barrierefrei zu gestalten und auch für den Fall eines Krankenhausaufenthalts die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, so zum Beispiel die Mitnahme erforderlicher Assistenz ins Krankenhaus, was bis heute nicht der Fall ist.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Tag, 26. März 2020, 23:30 Uhr