Interview
Häuser ohne Barrieren: "Man muss den Menschen im Mittelpunkt sehen"
Wie man so baut, dass Menschen mit ganz verschiedenen Einschränkungen zurechtkommen, und wann es teuer wird, erklärt eine Bremer Architektin.
Frau Brilling, Sie überprüfen als Architektin Bauvorhaben auf Barrierefreiheit, also dass sie so gebaut sind, dass Menschen mit unterschiedlichsten Einschränkungen sie erreichen können. Wie groß ist diese Herausforderung für eine Architektin?
Es ist sehr komplex, denn es gibt nicht den Standardmenschen mit Einschränkungen. Für Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator ist es zum Beispiel wichtig, dass es in und vor einem Gebäude keine Schwellen gibt, dass Aufzüge vorhanden sind und genug Platz für Bewegungsfreiheit. Ein sehbehinderter Mensch braucht eine Kante, an der er mit seinem Blindenleitstock entlanggeführt wird. Das wiederum kann die Bewegungsfreiheit von anderen einschränken. Für Menschen, die klein sind, muss man daran denken, Türklinken oder Verkaufstresen niedriger anzulegen, für solche, die groß sind, muss sich das in größerer Höhe befinden. Das alles, all diese Bedürfnisse zu vereinen, das ist die Herausforderung.
Wie macht man das?
Wenn man alles abdecken will, braucht man Spezialwissen, wie es zum Beispiel beim Bau von Krankenhäusern genutzt wird. Für Gebäude der Verwaltung und Bildung, für Büro- oder Wohngebäude gibt es Leitlinien in der Landesbauordnung und auch eine DIN-Norm (Abkürzung für Deutsche Industrie-Norm, ein freiwilliger Standard für eine bestimmte Sache, Anm. d. Red.). Damit sollen Gebäude für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sein.
Wie konkret sind solche Vorschriften, wie helfen sie bei der Planung?
Man kann sich sehr gut daran orientieren. Früher war zum Beispiel genau festgelegt, dass eine Toilette so und so viel Abstand von der Wand haben muss. Heute ist es so, dass man als Planerin selbst Alternativen entwickeln kann, wie man trotzdem das Ziel der Zugänglichkeit erreicht, wenn man beispielsweise ein vorgeschriebenes Maß nicht einhalten kann. Ist vor einer Eingangstür beispielsweise nicht genug Fläche, so kann man das mit einem automatischen Türöffner kompensieren, den man aus einem Rollstuhl gut erreichen kann. Auf jeden Fall ist eine vorausschauende Planung sinnvoll, auch um die Kosten zu kalkulieren.
Wie muss man als Planerin denken, um inklusiv zu bauen?
Die Planenden sollten den Menschen im Mittelpunkt sehen, und es nicht als lästiges Übel ansehen, dass sie ein Gebäude für Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen entwerfen. Ein Beispiel: In der Landesbauordnung steht, dass in einem achtstöckigen Gebäude eine behindertengerechte Toilette theoretisch ausreicht. Dann muss man sich fragen: Wie realistisch ist es, dass ein Mensch aus dem siebten Stock jedes Mal mehrere Etagen nach unten fahren muss, weil er auf die einzige behindertengerechte Toilette angewiesen ist, wie viel Zeit, auch Arbeitszeit, geht dabei verloren, wenn es sich um ein Bürogebäude handelt. Es wird da oft mit den Kosten argumentiert, weil für behindertengerechte Toiletten mehr Fläche benötigt wird. Und das ist Fläche, die nicht vermietbar ist im Sinne von Raum für einen produktiven Arbeitsplatz. Wenn es in Bestandsgebäuden Probleme gibt, ist das verständlich, aber bei Neubauten sollte das immer berücksichtigt werden.
Gibt es positive Beispiele in Bremen?
Der Ellener Hof ist eines, das Spiralenhaus in Bremerhaven ein anderes. Dort kann man über Rampen die Geschosse erschließen, ist nicht auf technische Hilfen angewiesen. Durch die Rampen und Gänge im Außenraum wird Begegnung ermöglicht, man kann miteinander sein, sich auch unterstützen, ein qualitätvoller Sozialraum entsteht.
In Bremen gibt es viele historische Gebäude, auch unter Denkmalschutz stehende Gebäude, die nicht barrierefrei sind. Wie kann man diese möglichst vielen Menschen zugänglich machen?
Die große Idee ist ja: Ein Eingang für alle. Und dann muss man sich fragen, was in dem konkreten Fall im Vordergrund steht, der Nutzen für alle Menschen oder das kulturelle Erbe zu bewahren. Das Rathaus ist da ein großes Thema, für das es aber nach langen Diskussionen inzwischen eine Planung gibt. Im Moment ist der Haupteingang über Stufen von außen erreichbar. Menschen mit Mobilitätshilfen müssen den Hintereingang nehmen.
Wir beraten auch viele Menschen, die in Altbremer Häusern leben. Da kann man sich die Frage stellen, ob man von hinten, über den Hof, einen Zugang schaffen kann, an den dann eine Rampe angebaut werden kann zum Beispiel. Im Haus selbst lebt man auf der Treppe, da sind dann Treppenlifte gefragt.
Was hat sich in den vergangenen Jahren beim barrierefreien Bauen verändert?
Vor 20 Jahren ging es um behindertengerechtes Bauen. Heute hat man den Blick gewendet: Auf alle Menschen, auf ein Miteinander. Heute hat eine bodenebene Dusche eher einen Wellness-Faktor, das gibt es in jedem Neubau, es stigmatisiert nicht mehr. Allerdings ist es immer noch eine Herausforderung, einen Balkonzugang ohne Schwelle zu bauen. Sogenannte Nullschwellen sind auch teurer, wenn man ein größeres Bauvorhaben hat, dann summiert sich das. Allerdings entstehen Mehrkosten vor allem dann, wenn man nachträglich noch etwas ändern muss.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 25. Mai 2023, 19:30 Uhr