Wie Hurricane und Deichbrand diverser werden könnten

Menschen vor einer Festival-Bühne

Deichbrand und Hurricane: Immer weniger weibliche Acts bei Festivals

Bild: Radio Bremen | Pascal Faltermann

Künstlerinnen sind bei Festivals in der Unterzahl. Weibliche Headliner oft komplett Mangelware. Das Hurricane oder Deichbrand versuchen den Anteil zu erhöhen. Und es gibt bessere Beispiele. Auch im Norden.

Wer Künstlerinnen auf den Plakaten der großen Festivals sucht, muss meistens ins Kleingedruckte schauen. Ganz oben im Line-up dominieren die Männer. Ein geringer Frauenanteil und wenig queere Musikerinnen in langen Line-ups – es ist ein Dauerthema.

Die Versuche sind da: Das Hurricane (16. bis 18. Juni) und das Deichbrand Festival (20. bis 23. Juli) haben in den vergangenen Jahren den weiblichen Anteil auf ihren Bühnen gesteigert. Beim Hurricane – auf der Motorrad-Sandrennbahn Eichenring in Scheeßel – waren es im vergangenen Jahr noch etwa 20 Prozent der Acts, die mindestens eine weibliche Protagonistin mit auf der Bühne hatten. In diesem Jahr sind es ungefähr 31 Prozent. "Dass sich im diesjährigen Line-up weibliche Acts nicht in der Headliner-Riege wiederfinden, ist zwar nicht optimal, hat aber Gründe, die außerhalb unseres Einflussbereichs liegen", sagt Jonas Rohde, Pressesprecher beim Festival-Veranstalter FKP Scorpio, der für das Hurricane verantwortlich ist. Es fehle unter anderem an Auswahl und Verfügbarkeit passender Künstlerinnen.

Kein weiblicher Act als Headliner

Menschen vor einer Festival-Bühne
Im Publikum bunt gemischt, auf der Bühne eher männlich: Das Hurricane Bild: Radio Bremen | Pascal Faltermann

Das überwiegend weibliche Booking-Team des Hurricane bestehe aus Menschen, denen Diversität sehr wichtig sei, so der Hurricane-Sprecher: "Wir haben entsprechend viel Mühe und Herzblut in die Suche gesteckt – dass trotzdem kein weiblicher Act in der Headliner-Riege steht, frustriert uns selbst also auch", sagt Rohde. Der Veranstalter wünsche sich für alle seine Festivals ein ausgeglicheneres Gesamtverhältnis, das zeige zum Beispiel das Tempelhof Sounds, das 2022 als erstes Festival dieser Größenordnung in Deutschland eine vollständige Gender-Balance im Line-up erreicht habe.

Menschen vor einer Festival-Bühne
Bild: Radio Bremen | Pascal Faltermann

Das Deichbrand auf dem Seeflughafen Cuxhaven-Nordholz wartet in diesem Jahr mit 34 Prozent nicht-männlicher Acts auf – ein Anteil, der so hoch liegt wie noch nie. Doch unter den großen Namen fehlen die Frauen. Beide Festivals versuchen, mit Nachwuchswettbewerben oder extra Bühnen bewusst weibliche Acts zu fördern.

Ein Vorbild aus Hamburg?

Dass es auch anders geht, zeigt das MS Dockville, ein dreitägiges Musik- und Kunstfestival im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Vom 18. bis 20. August treten dort insgesamt etwa 160 Artists auf. "Bei etwa 93 Acts davon spielt mindestens eine Frau oder nicht-männliche Person mit – knapp 60 Prozent also", sagt Pressesprecher Eike Eberhardt. Von insgesamt circa 300 Menschen, die als Act oder Band auf den Bühnen des MS Dockville stehen, seien ungefähr 130 Menschen "Flinta" (Flinta steht für Frauen, Lesben, Inter, Non-binary, Trans und A-Gender).

Und: Ganz oben im Line-up steht mit "Girl in Red" eine Headlinerin. Bereits 2019 setzte der Veranstalter mit Billie Eilish auf eine Künstlerin ganz oben auf dem Plakat. "Aber wir sind in der Spitze wie in der Breite gut und vor allem divers aufgestellt", sagt Eberhardt und zählt Künstlerinnen wie 070 Shake, Noga Erez oder Paula Hartmann auf. 

"Natürlich sind auch wir nicht perfekt, aber unser Anspruch ist ein so paritätisches Line-up wie möglich", sagt Sprecher Eberhardt. Angesichts von 60.000 Besucherinnen und Besuchern beim Dockville habe man als Organisator eine Verantwortung und wolle für Werte einstehen. Das seien Geschlechtergerechtigkeit, politisch-gesellschaftliches Engagement und eine Diversität, die über Gender hinausgehe.

Gute Beispiele in Europa

Weitere gute Beispiele? Das Roskilde Festival in Dänemark setzt mit Lizzo, Rosalía oder Christine and the Queens auf mehrere nicht männliche Acts als Headlinerinnen. Auch das Glastonbury in England oder das Rock Werchter in Belgien gehen andere Wege als die großen deutschen Festivals wie Rock am Ring, Hurricane oder Wacken.

Und: "Das Reeperbahn Festival oder auch das Melt Festival zeigen gut, dass es auch anders geht", sagt die Bremerin Julia von Wild. Sie ist Vorstandsmitglied der Live Musik Kommission (kurz LiveKomm). Der Bundesverband der Musikspielstätten in Deutschland repräsentiert mehr als 700 Musikclubs und Festivals. 

"Da Mädchen und Frauen in sämtlichen gesellschaftlichen Strukturen benachteiligt sind, spiegelt sich das natürlich auch im Musikbusiness und auf den Konzertbühnen und Festivalbühnen wider. Das gilt es zu ändern", sagt von Wild. Sie ist der Meinung, dass Flinta-Personen viel sichtbarer werden müssen und es auch eine Quote im Musikbusiness brauche. "Auf und vor allem hinter den Bühnen". Einige Festivals müsse man tatsächlich aus den 90ern abholen und darauf aufmerksam machen, dass 2023 gesamtgesellschaftlich wesentlich weiblicher, diverser und fortschrittlicher sei als ihr Line-up, so von Wild.

Kampagne für mehr Frauen 

Das Ungleichgewicht zu ändern, hat sich auch eine Initiative vorgenommen: Keychange ist eine in England gestartete Kampagne mit dem Ziel, die Musikindustrie geschlechtergerechter zu gestalten und nachhaltige Veränderungen in der Branche durchzusetzen. Der Initiative angeschlossen hat sich das Festival "Rocken am Brocken" im Harz. "Das verpflichtet uns dazu, mindestens 50 Prozent der Slots mit Flinta-Beteiligung zu besetzen", sagt der gebürtige Bremer Markus Blanke, Geschäftsführer des "Rocken am Brocken". Das Organisationsteam des Festivals bestehe bereits zu mehr als der Hälfte aus Flinta.

"Es ist bekannt, dass es in der Musikbranche schwierig sein kann, Frauen für große Bühnen zu finden", sagt Blanke. Festivals, die nicht dem Mainstream unterliegen und von Idealismus getrieben seien, hätten in der Regel mehr Erfolg bei der Buchung von Flinta-Acts. Mainstream-Festivals, die sich jedoch auf die Historie und Verkaufszahlen verlassen, würden oft nur männliche Bands finden. "Wir glauben aber daran, dass sich die Situation der Acts auf den großen Bühnen bald ändern wird", so Blanke.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Vier, Läuft, 27. April 2023, 13:15 Uhr