Infografik
Darum gründete diese Bremerin das erste Fitnessstudio für die Psyche
In einer ehemaligen Autowerkstatt in der Bremer Neustadt entsteht etwas Neues: Ein Ort, an dem die Psyche im Fokus steht und Erkrankungen enttabuisiert werden sollen.
Ein Hinterhof in der Neustadt an der Buntentorstraße. Das große verblichene Schild zeugt noch von dem ursprünglichen Nutzen dieses Ortes: Autosattlerei. Die junge Frau, die freudestrahlend aus der Glastür heraus tritt, hat allerdings mit Ledersitzen oder sonstiger Innenausstattung von Autos wenig zu tun. Janna-Lisa Rohloff möchte die leerstehende Werkstatt zu einem Raum umgestalten, der der erste seiner Art wäre: Ein Zentrum für psychische Gesundheit für junge Erwachsene bis 40, das sich abheben soll von den klassischen Therapieangeboten.
Kurse und Workshops für die Psyche
Seit April diesen Jahres existiert der gemeinnützige Verein "brynja". "Wir sind eine Mischung aus Kulturzentrum und Fitnessstudio für die Psyche, nach dem Motto: 'Sind wir nicht alle ein bisschen psycho?'", sagt Rohloff. Und der Bedarf ist offenbar hoch: Obwohl das Zentrum offiziell noch gar nicht geöffnet ist, finden bereits erste Kurse statt.
Interessierte erfahren über die sozialen Medien von dem Projekt und immer mehr Anfragen trudeln ein. Das Angebot soll in Zukunft besonders vielseitig gestaltet werden, allerdings immer zum Thema psychische Gesundheit. Workshops, Sportkurse, Kunsttherapie, Infoveranstaltung und Kulturprogramm: Das soll Menschen mit psychischen Erkrankungen zusammenbringen und einen sicheren Raum für sie schaffen.
Bei den Kursen wird eine Spendenempfehlung genannt. Das heißt, die Bezahlung ist freiwillig, um Menschen keine finanziellen Hürden vor einer Teilnahme aufzubauen.
Keine Therapie im neuartigen Bremer Fitnessstudio
"Der Ansatz ist ganz klar präventiv", sagt Rohloff. "Wir sind keine therapeutische Einrichtung obwohl wir therapeutische Arbeit machen und es auch eine Grundvoraussetzung ist, eine therapeutische oder pädagogische Grundausbildung zu haben, um bei uns eine Gruppe anzubieten", erklärt die brynja-Gründerin.
Die 35-Jährige hat mit psychisch Kranken als Ergotherapeutin in der Psychiatrie gearbeitet. Den Anstoß für dieses Projekt gab ihr allerdings ein privater Schicksalsschlag. "Als meine Mutter starb, war ich auch das erste Mal in meinem Leben in einer wirklichen Krise. So, dass ich das Hilfenetzwerk in Anspruch nehmen wollte. Trotz meiner Arbeit ist mir erst dann wirklich aufgefallen, welche Lücken hier vorhanden sind."
So viele Menschen werden in Deutschland jährlich seelisch krank
Davon können wahrscheinlich viele Menschen in Krisen berichten: Die Therapieplätze sind knapp, und wer noch nicht "krank genug" für eine Klinik ist, hat abseits einer ambulanten Therapie eigentlich kaum Hilfsangebote. Und das, obwohl solche Krankheiten zu den häufigsten Erkrankungen unserer Bevölkerung zählen: Fast jeder dritte Mensch leide laut Bundesgesundheitsministerium einmal in seinem Leben unter einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung.
Das Gespräch mit Bremen Next zum Nachhören:
Rohloff will das System allerdings neu denken: Abseits vom Schema krank und gesund. "Wir fragen hier nicht nach Diagnosen, unser Fokus liegt auf dem Miteinander", so die ehemalige Ergotherapeutin. Es gehe ihr auch um die Entstigmatisierung solcher krisenhafter Episoden, um die Menschen nicht als Patienten anzusehen, sondern auf Augenhöhe. Sie macht deshalb auch selbst gerne bei den Kursen mit.
Angebot für junge Bremer zwischen 20 und 40
Das Angebot richtet sich bewusst an junge Erwachsene zwischen 20 und 40, weil Rohloff hier einen starken Mangel an Hilfsmöglichkeiten wahrnimmt. Dabei ist gerade diese Zeit von vielen existenziellen Fragen geprägt: Was mache ich beruflich? Wie will ich in Zukunft leben? Eine Familie, ja oder nein? All diese Baustellen können schnell zu einem Krisenerleben führen. Und auch diese sollen dann zum Thema gemacht werden. "Wir versuchen all die Lücken zu füllen, die vorhanden sind. Gerade planen wir beispielsweise Veranstaltungen zu Rassismus in der Therapie oder ADHS im Erwachsenenalter."
Daran erkrankt die Psyche besonders häufig
Hilfte von Bremer Behörden?
Für diesen Traum hat die junge Frau einiges riskiert. Im Juli letzten Jahres hat sie sich arbeitslos gemeldet. "Ich wusste, dass es nur funktionieren kann, wenn ich mich voll reinhänge." Finanziell seien dann erstaunlich schnell 16.000 Euro durch Crowdfunding gesammelt worden, sodass nun beispielsweise die alte Werkstatt als Raum übernommen werden konnte. Renoviert wird auf eigene Faust mit den Vereinsmitgliedern, Freunden, Nachbarn oder Instagram-Followern. "Jeder Farbeimer ist spendenbasiert", sagt Rohloff. In Zukunft erhofft sie sich die Finanzierung durch eine Mischung aus Spenden, Förderungen und den Kurseinnahmen.
Seit einiger Zeit ist sie dafür auch im Gespräch mit dem Gesundheitsressort. Ein Hindernis ist hier allerdings auch, dass sich das Konzept nicht in eine klare Schublade stecken lässt.
Das, was ja eigentlich die Idee ist, nämlich etwas Neues zu machen, wird leider an manchen Stellen auch zum Problem.
Janna-Lisa Rohloff
Trotzdem ist Rohloff zuversichtlich, dass das Projekt nach und nach immer mehr Gestalt annimmt. Ihr Ziel? "Am schönsten fände ich es, wenn Menschen hier ein- und ausgehen wie in einem Kulturzentrum und sich dabei einfach wohl fühlen."
Dafür gestaltet sie weiter die Räumlichkeiten, stellt zwischen die Werkbänke einen provisorischen Kreis aus Klappstühlen und dekoriert die kahlen Wände der Einfahrt mit Regalen voller Pflanzen. Noch wirken die bunten Sofas auf dem Betonboden der großen Werkstatt etwas verloren, aber sie deuten bereits an, was der Ort vielleicht bald sein wird: Ein gemütlicher und sicherer Platz für Menschen, die ihn sehr brauchen.
So teuer kommen Deutschland psychische Erkrankungen zu stehen
Dieses Thema im Programm: Bremen Next, 15. Juni 2022, 9:10 Uhr