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Fake-News: Weltweite Aufregung um ein Video aus Bremerhaven
In vielen Ländern verbreiten sich Gerüchte über ein Video, auf dem zwei Kinder aus einer Bremerhavener Familie genommen werden. Wir klären auf: Das sind die Fakten!
Das Video einer Inobhutnahme zweier Kinder in Bremerhaven zeigt, welche Dynamik ein solcher Fall in sozialen Medien annehmen kann. Nach der gerichtlich beschlossenen Maßnahme des Jugendamtes mit polizeilicher Unterstützung haben sich Aufnahmen des Geschehens weltweit verbreitet – laut Polizei in falschem Kontext. Nun richten sich Vorwürfe zum Vorgehen und Drohungen gegen die Bremerhavener Behörden.
Um was für einen Einsatz handelte es sich?
Am Freitag sah sich die Bremerhavener Polizei veranlasst, die Öffentlichkeit zu suchen. Bei Twitter schrieb sie: "Im Zusammenhang mit einem polizeilichen Einsatz in Bremerhaven ist in den sozialen Medien ein Video aus dem Einsatzgeschehen im Umlauf. Das Video ist der Polizei Bremerhaven bekannt und wird geprüft." Bei dem Einsatz handelte es sich um eine gerichtliche Anordnung, nach der zwei Kinder aus einer Bremerhavener Familie genommen werden. Das Video zeigt offenbar Aufnahmen aus der Wohnung der Familie.
Was ist im Video zu sehen?
Die über vierminütige Aufnahme zeigt unter anderem, wie ein Junge aus einer Wohnung getragen wird. Währenddessen schreit das Kind und wehrt sich. Die Familienangehörigen diskutieren laut mit den Polizeibeamten, die wiederum zu erklären versuchen, dass sie ein Urteil vollstrecken. Dabei kommt es auch zu Beleidigungen gegenüber den Einsatzkräften. Zu sehen sind mehrere Beamte von Polizei und Jugendamt. Nach Einschätzung der Polizei ist das Video authentisch.
Wie genau läuft so eine Maßnahme eigentlich ab?
Das Jugendamt ist verpflichtet, Kinder oder Jugendliche in Obhut zu nehmen, wenn diese darum bitten oder wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes das erfordert, heißt es vom Kinderschutzbund auf Nachfrage. Die Kinder würden dann an einen Ort gebracht, an dem sie sicher und geborgen seien – also zum Beispiel bei Bereitschaftspflegefamilien.
Die Herausnahme von Kindern aus einer Familie ist gesetzlich geregelt und dauert demnach längstens vier Tage. In dieser Zeit klären die Beteiligten dann gemeinsam mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern vom Jugendamt, wie es weitergehen soll. Aus Sicht des Kinderschutzbunds müsste es übrigens noch viel mehr Inobhutnahmen geben. Oftmals gebe es jedoch Probleme, weil die Ämter überlastet seien und nicht eingreifen könnten.
Welche Kreise zieht das Video?
Nach Recherchen der "Nordsee-Zeitung" verbreitet sich das millionenfach aufgerufene Video derzeit um die ganze Welt. Demnach teilte die Familie das Video offenbar in muslimischen Kreisen. Bei der Verbreitung im Internet wurde unter anderem behauptet, zu der Maßnahme sei es gekommen, da die muslimischen Eltern ihnen Kindern beibrächten, dass die LGBTQ-Community im Islam nicht akzeptiert werde. LGBTQ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer.
Auch ein indonesischer Journalist mit mehreren Hunderttausend Abonnenten auf verschiedenen Social-Media-Kanälen habe die Aufnahmen veröffentlicht – versehen mit dem Hinweis, die Kinder seien von den Behörden gewaltsam entführt worden. Eine muslimische Moderatorin aus Großbritannien soll das Video ebenfalls geteilt haben. Hier wurde laut "Nordsee-Zeitung" der Vorwurf erhoben, die Anordnung fuße darauf, dem Jungen sei beigebracht worden, Homo- und Transsexualität sei im Islam inakzeptabel. Dieser Kontext sei auch in anderen Teilen der Welt verbreitet worden, bis hin zu Propaganda pro Putin. Viele Kommentare in sozialen Medien richten sich nun gegen die Bremerhavener Behörden, teils mit Anfeindungen und Drohungen.
Was sagt die Polizei zum Geschehen?
Die Bremerhavener Polizei hat die Gerüchte zurückgewiesen, die Kinder seien in Obhut genommen worden, da die muslimischen Eltern den Kindern beibrächten, dass die LGBTQ-Community im Islam nicht akzeptiert werde. "Das können wir dementieren, das stimmt so natürlich nicht", sagte ein Polizeisprecher. Auf Nachfrage zum Sachverhalt und seiner Folgen verweist die Polizei an die Stadt.
Da es sich um eine Maßnahme des Jugendamtes Bremerhaven, beschlossen durch das Amtsgericht Bremerhaven, handelt und wir als Polizei nur unterstützend tätig waren, liegt die Pressehoheit beim Magistrat der Stadt Bremerhaven.
Ein Sprecher der Bremerhavener Polizei
Wie äußert sich die Stadt?
Die Stadt will sich zu den Gründen für die Maßnahme nicht äußern. "Zum Schutz der Familie und der Kinder", so ein Sprecher. "Eine Inobhutnahme von Kindern, der ein Gerichtsbeschluss vorausgeht, geschieht nur bei schwerwiegenden Gründen. Beispiele dafür werden wir nicht nennen."
Dass die Polizei das Jugendamt bei einer derartigen Maßnahme unterstützt, ist laut Magistratssprecher keineswegs unüblich. Ein Fehlverhalten der vor Ort tätigen Mitarbeitenden sei nicht ersichtlich. Behördliche Eingriffe würden sich immer an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit orientieren, so auch in diesem Fall. "Alle strafrechtlich relevanten Äußerungen, über die wir Kenntnis erhalten, werden an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet und strafrechtlich verfolgt", so der Sprecher. Zur Stimmung unter den Mitarbeitenden und möglichen Sicherheitsmaßnahmen wollte sich der Sprecher nicht äußern. Die Polizei werde solche Einsätze bei Bedarf weiterhin unterstützend begleiten.
In der Bremerhavener Queer-Szene ist der Fall mit dem angeblichen LGBTQ-Bezug nach Recherchen von buten un binnen kein Thema. Vereine, die in der Jugendhilfe aktiv sind, wollten sich auf Nachfrage nicht äußern.
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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Nachmittag, 4. Mai 2023, 15:10 Uhr