Wie diese Bremerin mit Skin Picking lebt und gegen Scham kämpft

Von Scham zu Heilung: Selbstverletzung durch Skin Picking

Bild: instagram/jacqueline.sknpckng

Beim sogenannten Skin Picking kratzen Betroffene so lange an einzelnen Hautstellen bis diese schmerzen oder bluten. Eine junge Bremerin erzählt von ihrem Leben mit der Krankheit.

In den Spiegel gucken ist für Jacqueline* eine tägliche Challenge. Seit 15 Jahren leidet die Bremerin unter "Skin Picking". Betroffene verspüren dabei den Drang, einzelne Hautstellen so lange zu kratzen und damit noch so kleine Unreinheiten zu beseitigen, bis alles schmerzt. Für die 27-Jährige ist dieser Drang beim Schminken besonders groß.

Junge Frau schminkt sich vor dem Spiegel
Jacqueline hat sehr oft den Drang, sich zu kratzen – vor allem, wenn sie sich schminkt. Bild: Radio Bremen

"Ich erlebe das als etwas, dass in meinem Kopf die ganze Zeit Bahnen läuft. Ich kann es nicht stoppen, solange ich diese Hautstelle nicht bearbeitet habe, die ich entdeckt habe", erklärt sie das Gefühl. Sie sei erst dann beruhigt, wenn sie damit fertig sei. Doch oftmals bleibe es nicht bei dieser einen Hautstelle.

Skin Picking schränkt Alltag ein

Mit zwölf Jahren fängt Jacqueline mit dem Skin Picking, auch Dermatillomanie genannt, an. Während das Kratzen anfangs noch harmlos scheint, nimmt es mit der Zeit immer mehr überhand. Bis es letztlich ihren Alltag im Griff hat. "Es wurde zum Problem, als es anfing, mein Leben einzuschränken", erinnert sich die 27-Jährige. "Ich habe angefangen, mich für meine Haut zu schämen, und habe mich mehr und mehr zurückgezogen."

Verabredungen mit Freunden wurden weniger, beim Schulsport hat sie nicht mehr mitgemacht und letztlich nur noch hochgeschlossene Kleidung getragen, um die aufgekratzten Hautstellen zu verstecken.

Als junger Mensch will man eigentlich sein Leben in Freiheit genießen. Das konnte ich leider nicht.

Jacqueline, 27 Jahre alt, aus Bremen

Ursache für Skin Picking ist Stress

In Deutschland leiden unterschiedlichen Studien zufolge bis zu fünf Prozent der Menschen unter Skin Picking. Viel Forschung gibt es dazu jedoch noch nicht. Erst seit 2013 ist die Krankheit offiziell als psychische Störung anerkannt. Der Bremer Psychologe Mesut Celenk stuft diese im Zwangsspektrum ein. "Beim Skin Picking geht es weniger darum, dass man sich verletzen will, sondern darum, dass es sich dabei um automatisierte Abläufe handelt", erklärt er. "Weil wir alle versuchen in unserem Alltag irgendwie mit unseren Emotionen und unserem Stresslevel klarzukommen."

Stress ist ihm zufolge die Hauptursache für Skin Picking. Die gute Nachricht: Skin Picking sei heilbar, sagt er. Etwa durch eine kognitive Verhaltenstherapie. "Da kann man ganz genau hingucken und mithilfe von verhaltenstherapeutischen Methoden eingreifen", betont er. Eine dieser Methode ist etwa ist das sogenannte Habit Reversal Training. "Dabei geht es darum, ganz explizit Gegenimpulse anzutrainieren, und neue Impulse und neue Umgangsweisen erlernen zu können", so Celenk. Verspürt man etwa den Drang, sich ins Gesicht zu fassen, können Betroffene zum Beispiel trainieren, die Hände unter die Beine zu legen. So entstehe eine Gegenbewegung, die das Kratzen verhindern soll.

Jacqueline zeigt ihren Alltag mit Skin Picking

Jacqueline hat bislang keine Therapie gemacht. Das will sie aber unbedingt noch tun, sagt sie. Denn der Drang, sich zu kratzen ist nach 15 Jahren immer noch Alltag. Mit besonders stressigen Situationen umzugehen, ohne sich an ihrer Haut zu kratzen, fällt ihr nach wie vor schwer. Doch anders als früher macht sie das Skin Picking mittlerweile nicht mehr heimlich. Vor zehn Jahren ist sie mit ihrem Blog in die Öffentlichkeit gegangen, um ein Tabu zu brechen. Und, um anderen zu helfen. "Ich habe gemerkt, dass es anderen nichts bringt, wenn ich so tue, als wäre bei mir alles toll", sagt sie. "Es hilft ihnen nicht so sehr, als wenn ich einfach offen und ehrlich meine Emotionen teile."

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Auf ihrem Blog und auf Instagram teilt sie Fotos von ihrer Haut, wie sie in ihren Phasen des exzessiven Skin Picking aussieht. Und sie schreibt darüber, wie sie sich als Betroffene dieser Krankheit fühlt. Immer wieder erhalte sie dafür positives Feedback von ebenfalls Betroffenen, erzählt sie. Mittlerweile sei sie Teil einer Community, in der man sich gegenseitig unterstütze. Mit einer Therapie will sie die Krankheit in Zukunft endlich ganz hinter sich lassen – damit sie irgendwann wieder problemlos in den Spiegel schauen kann.

*Jacqueline möchte ihren Nachnamen öffentlich nicht nennen.

Wie diese Bremer Ausstellung selbstverletztendes Verhalten beleuchtet

Bild: Radio Bremen

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Autorin

  • Autorin
    Leoni Hentschel

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. Oktober 2024, 19:30 Uhr