Bremer Beluga-Prozess in der Endphase?

Nach mehr als 50 Verhandlungstagen, der Vernehmung zahlreicher Zeugen von Banken, Investmentfonds und Reedereien und der Verlesung unzähliger Aktenseiten in mehreren Sprachen könnte die Verhandlung vor dem Landgericht Bremen nach eineinhalb Jahren langsam in die Endphase gehen.

Niels Stolberg
Niels Stolberg Bild: Radio Bremen

Der Prozess um den Niedergang der Bremer Beluga-Reederei ist einer der größten Wirtschaftsstrafprozesse der Schifffahrtsbranche. Auch wenn offizielle Plädoyers noch ausstehen – Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben ihre Positionen schon klar gemacht. Nun ist die Kammer an der Reihe. Von der wird eine Tendenz für den Strafrahmen erwartet.

Was ist die Position der Wirtschaftsstrafkammer?

Die Vorsitzende Richterin legte am Donnerstag, Verhandlungstag Nummer 52, das Ergebnis einer Zwischenberatung der Kammer vor. Darin sind auch Vorschläge für die Strafzumessung enthalten: Stolberg solle zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, sowie drei Jahren und neun Monaten verurteilt werden. Die anderen drei Angeklagten kämen mit Bewährungsstrafen davon. Der Vorschlag der Kammer enttäuschte die Verteidigung des Hauptangeklagten. Stolbergs Anwalt Bernd Groß lehnte den Vorschlag als "völlig überzogen" ab.

Was ist die Position der Staatsanwaltschaft?

Auch die Anklage sieht ausreichend Beweise und Anhaltspunkte für eine Gefängnisstrafe für Ex-Beluga-Chef Niels Stolberg, der als Hauptverantwortlicher vor Gericht steht. Vier bis fünf Jahre Haft – so die Vorstellung der Staatsanwaltschaft, die sich mit deutlicher Kritik an dem früheren Vorzeige-Unternehmer nicht zurückhielt. Ein von "Größenwahn" getriebener Mensch voller Geltungsdrang, der betrogen und getäuscht habe – so schätzt die Anklage Stolberg ein, dem sie über 30 Vorwürfe zu Last legt. Anders als für die Mitangeklagten kommt aus Sicht der Staatsanwaltschaft für Stolberg eine Bewährungsstrafe derzeit nicht in Frage. Zur Bewährung können nur Strafen von maximal zwei Jahren ausgesetzt werden.

Wie ist die Position der Verteidiger?

Stolbergs Anwälte sehen die Anklage in vielen Punkten als relativiert und in einem Punkt sogar als entkräftet an: Der Vorwurf des Betruges könne nicht aufrechterhalten werden. Auch die Richterin machte bereits im März diesen Jahres deutlich, dass im Zusammenhang mit der Überlassung von Schiffsbetreibergesellschaften an einen Hamburger Reeder eine Verurteilung wegen vollendeten Betrugs nicht in Betracht komme. Aus Sicht der Verteidigung komme für Stolberg daher höchstens eine Bewährungsstrafe in Frage – er habe für berechtigte Vorwürfe die Verantwortung übernommen und sich nie persönlich bereichert.

Wie geht es Stolberg?

Dass er im Moment angeschlagen ist, sieht man Stolberg an. Der 56-Jährige hat mehrere Operationen hinter sich. Magenkrebs und Hautkrebs lauteten die Diagnosen. 14 Kilogramm hat er abgenommen. "Er will nur noch eins: gesund werden", so eine nahestehende Bekannte. "Schon eine Stunde Verhandlung ist für ihn Tortur." Stolberg lebt schon lange in Privatinsolvenz. Sein früherer Anwalt – und kürzlich ernannter Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein – Bernd Buchholz hatte im Juni gemahnt: "Seien Sie milde mit diesem Mann, für den die letzten sechseinhalb Jahre eine Strafe waren, der alles verloren hat, auch seine Gesundheit, der die Verantwortung für seine Fehler tragen muss und will."

Worum geht es im Prozess?

Seit dem 20. Januar 2016 erforscht die Große Wirtschaftsstrafkammer unter Vorsitz von Richterin Monika Schaefer die Gründe, warum und wie die erfolgreiche Reederei auf Grund lief. Unter der Beluga-Flagge fuhr einst eine Flotte von rund 70 Schiffen über die Weltmeere. Damit gehörte das Unternehmen zur Weltspitze der Schwergutreedereien. Doch die Schifffahrtskrise traf Beluga hart, wenn auch mit Verzögerung. Stolberg suchte den Ausweg im Wachstum, ließ weiter Schiffe in China bauen und holte sich dann 2010 den forschen US-Investor Oaktree als Mitgesellschafter an Bord. Doch irgendwie hatte er schon ab 2009 teilweise den Überblick und die Kontrolle über das Unternehmen verloren, wie er einmal einräumte. Mit überhöhten Scheinrechnungen brachte er laut Anklage Banken zu einem höheren Kreditengagement für die Schiffsfinanzierungen. Oaktree legte er teils gefälschte Bilanzen vor, um dem US-Fonds den Einstieg ins Unternehmen schmackhaft zu machen, wie Stolberg selbst zugab. Auch Briefkastenfirmen in Panama wurden genutzt. Die Oaktree-Manager waren es dann auch, die Stolberg am 1. März 2011 aus der Firma drängten und ihn anschließend wegen Betruges anzeigten.

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Tag, 20. Juli 2017, 23:20 Uhr