Fragen & Antworten
Öl, Gas, Stromkabel: Verliert das Wattenmeer seinen Welterbe-Status?
Das Wattenmeer ist ein Weltnaturerbe. Doch Deutschland und die anderen Länder tun zu wenig, um es zu bewahren, sagen Naturschützer. Auch das Unesco-Komitee macht Druck.
Mehr als 10.000 Tier- und Pflanzenarten leben im Wattenmeer. Zudem rasten dort jedes Jahr zwölf Millionen Zugvögel. Die weltweit größte zusammenhängende Sand- und Schlickfläche sei "von besonderer Bedeutung für die weltweite Biodiversität", schwärmt die Deutsche Unesco-Kommission und spricht von einem "einzigartigen Naturerbe".
Dennoch könnte es sein, dass die 21 Staaten, die das Welterbe-Komitee der Unesco bilden, dem Wattenmeer demnächst den Welterbe-Status entziehen werden. Das Areal an der deutschen, dänischen und niederländischen Nordseeküste ist eines von mehreren großen Themen bei der Tagung des Komitees vom 21. bis 31. Juli in Neu-Delhi. Bereits voriges Jahr, damals in Riad, hatte das Welterbe-Komitee Deutschland, Dänemark und die Niederlande aufgefordert, mehr für den Schutz des Wattenmeers zu tun, statt dort den Ausbau der Infrastruktur voran zu treiben und in unmittelbarer Nähe des Schutzgebietes nach Öl und Gas zu bohren sowie Salz aus dem Meer zu fördern.
Unesco rügt Deutschland
Doch viel geschehen ist seit Riad nicht. So zumindest sieht es ein internationaler Zusammenschluss aus Naturschutzorganisationen, der sich bei der Unesco beschwert hat. Deutschland, Dänemark und die Niederlande nehmen die Auflagen der Vereinten Nationen für ein Natur-Welterbe nicht ernst genug, sagen die Naturschützer. Sie fürchten, dass die Unesco dem Wattenmeer daher den Welterbe-Status entziehen wird, zumindest mittelfristig. Dieser Kritik hat sich die Unesco angeschlossen und rügt Deutschland während der Tagung für seinen Umgang mit dem Weltkulturerbe Wattenmeer.
Das Welterbe Wattenmeer:
Wird das Welterbe-Komitee dem Wattenmeer in Neu-Delhi den Welterbe-Status aberkennen?
Nein, höchstwahrscheinlich nicht. Seit einigen Tagen steht auf der Website der Unesco eine PDF-Datei mit Beschlussempfehlungen für die Tagung – auch zum Wattenmeer (ab Seite 24). Darin ist nicht die Rede davon, dass das Komitee dem Wattenmeer den Welterbe-Status aberkennen sollte.
Allerdings machen die Autoren darin deutlich, dass sie die Reaktion Deutschlands, der Niederlande und Dänemarks auf die Forderungen des Komitees aus dem Vorjahr unzureichend finden. So schreiben sie, dass die Öl- und Gasförderung in unmittelbarer Nähe des Welterbes den herausragenden universellen Wert (im Original: "Outstanding Universal Value") des Schutzgebietes "potenziell gefährdeten" – sprich: dass die drei Länder den Welterbe-Status des Wattenmeers aufs Spiel setzen, wenn sie entsprechende Öl- und Gasförderungen weiter zuließen oder gar ausbauten.
Sie beziehen sich auch auf die Ölförderung in der Mittelplate, dem größten Ölfeld Deutschlands. Es liegt vor der Dithmarscher Küste, am Rande des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Der Betreiber möchte dieses Ölfeld Richtung Süden erweitern. Ob er das darf, ist noch nicht abschließend entschieden. In der Beschlussvorlage der Unesco heißt es dazu, Deutschland werde "empfohlen", keine neuen Bohrgenehmigungen zu bewilligen.
Was fordern die Autoren der Unesco-Beschlussempfehlung außerdem für das Welterbe Wattenmeer?
Generell fordern die Unesco-Autoren für alle größeren Eingriffe rund um das Welterbe-Gebiet Umweltverträglichkeitsprüfungen. Der vielleicht größte Konflikt betrifft die Offshore-Windenergie. Die Autoren der Unesco schließen sich hier im Wesentlichen den Forderungen von Umweltschützern an. Sie fordern, dass Kabeltrassen zum einen beschränkt und zum anderen in Korridoren verlegt werden sollten, die "bereits von anderen Aktivitäten betroffen" seien.
Was das konkret bedeutet, erklärt die Biologin Aline Kühl-Stenzel, Referentin für Meeresschutz beim Naturschutzbund Deutschland (NABU): "Man kann Kabeltrassen am Rande bestehender Schifffahrtsstraßen legen". Fatal wäre es dagegen, wenn Kabeltrassen über Sandbänke führten, die insbesondere für Seehunde wichtige Ruheplätze bildeten.
Wie reagieren Deutschland, die Niederlande und Dänemark auf die Kritik der Umweltverbände sowie auf die Forderungen der Unesco?
Deutschland, Dänemark und die Niederlande koordinieren ihre trilaterale Arbeit rund um das Wattenmeer im Gemeinsamen Wattenmeersekretariat (Common Wadden Sea Secretariat, abgekürzt: CWSS). CWSS-Exekutivsekretär Sascha Klöpper teilt mit: "Wir arbeiten innerhalb der Trilateralen Kooperation zum Schutz des Wattenmeeres seit Jahrzehnten erfolgreich mit den umweltbezogenen Wattenmeer-Verbänden zusammen. Wir schätzen diese Zusammenarbeit sehr." Es gelte nun, die richtige Balance von Naturschutz- und Klimaschutzmaßnahmen zu finden.
Was hat es überhaupt mit dem Welterbe-Status auf sich, wofür ist er wichtig?
Es handelt sich dabei um eine internationale Konvention, vergleichbar mit den Menschenrechten, sagt Stephan Doempke von World Heritage Watch. World Heritage Watch ist eine weltweit operierende gemeinnützige Organisation mit Sitz in Berlin, die die Welterbe-Stätten in ihren jeweiligen Ländern verteidigt, wenn diese bedroht sind. "Das Welterbe besteht aus besonderen Stätten, die die Länder für die gesamte Menschheit bewahren müssen", so Doempke. Das sei eine große Verpflichtung.
Aline Kühl-Stenzel vom NABU fügt hinzu, dass der Titel "Welterbe" auch einen erheblichen Werbeeffekt habe. "Damit kann gerade die Tourismus-Branche werben." Ein Welterbe wie das Wattenmeer locke viele naturinteressierte Touristen an, auch aus anderen Ländern. Nicht umsonst hätten Deutschland, Dänemark und die Niederlande den Titel "Welterbe" unbedingt für das Wattenmeer haben wollen, ehe sie 2009 Erfolg damit hatten. "Jetzt müssen die Länder dazu stehen", so Kühl-Stenzel.
Der Ton, den das Welterbe-Komitee in seiner Beschlussvorlage anschlägt, klingt sehr diplomatisch. Ist wirklich realistisch, dass das Komitee dem Wattenmeer in absehbarer Zeit den Welterbe-Status entzieht?
Ja, sagt Stephan Doempke von World Heritage Watch. Zwar charakterisiert auch er den Ton, den die Unesco in ihrer Beschlussvorlage zum Wattenmeer anschlägt, als "diplomatisch", aber auch als "deutlich". Er verweist darauf, dass die Unesco keine Durchsetzungsmacht gegenüber den Staaten habe, ihnen nichts vorschreiben könne. Entsprechend fielen die Statements der Unesco in ihrem Grundton meistens diplomatisch aus.
Auch betrachte die Unesco den Entzug eines Welterbe-Status als letztes Mittel und versuche üblicherweise, betroffenen Ländern Brücken zu bauen, ehe sie zu diesem Mittel greife. "Wenn aber nichts geschieht, greift die Unesco durch", sagt Doempke. Dass dies im Falle des Wattenmeers noch geschehen wird, sei umso wahrscheinlicher, je weniger Deutschland, die Niederlande und Dänemark nach Neu-Delhi zum Schutz des Wattenmeers unternehmen werden.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 25. Juli 2024, 19:30 Uhr