So mischen Jugendliche die Bremer Kunsthalle auf
15 Jugendliche dürfen ihre eigene Ausstellung erstellen – in der altehrwürdigen Bremer Kunsthalle. Ein Experiment, das vor eineinhalb Jahren begonnen hat und nun zu sehen ist.
Nach und nach füllen sich die Räume der altehrwürdigen Bremer Kunsthalle mit Besucherinnen und Besuchern. Außergewöhnlich viele junge Menschen sind darunter. Einige von ihnen sitzen draußen auf den Treppen des Museumsgebäudes in der Abendsonne. Ein Hauch von Festivalstimmung liegt in der Luft.
Dass so viele junge Menschen in die Kunsthalle gekommen sind, hat einen Grund: Sie wollen die neue Ausstellung sehen, die an diesem Abend eröffnet wird. "Generation*. Jugend trotz(t) Krise" nennt sie sich. Und sie ist anders als alle Ausstellungen, die es bisher in der Kunsthalle gab. Denn sie ist ein Experiment, ein Abenteuer, ein Wagnis. Eine Ausstellung von der Jugend für die Jugend.
„Kunstverein muss für junge Menschen eine Bedeutung haben“
15 Jugendliche haben die neue Ausstellung geplant. Alle von ihnen sind zwischen 15 und 25 Jahre alt und bilden zusammen das Jugendkuratorium der Kunsthalle mit dem Namen "New Perception" – "Neue Wahrnehmung". Die Gruppe trifft sich regelmäßig.
Die Kunsthalle selbst hatte die Idee zu dem Projekt und in den Sozialen Netzwerken einen Aufruf gestartet: "Uns beschäftigt die Frage, wie wir weiterhin relevant sein können. Der Kunstverein muss weiterleben, junge Mitglieder anziehen und für junge Menschen eine Bedeutung haben", sagt Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg.
Das Büro: ein Container direkt vor der Kunsthalle
"Wir wollen als Gruppe etwas aufmischen", sagt Emily Kunusch, eine der jungen Kuratorinnen. Seit Wochen haben sie und die anderen Jugendlichen dem Tag der Eröffnung entgegengefiebert. Aufregung, Freude, Erleichterung: An diesem Abend ist das alles da. Und auch ein Gefühl von Wehmut, weil nun etwas Großes und Schönes zu Ende geht.
Mai 2022. Noch ein Jahr bis zu Eröffnung. Für die Jugendgruppe steht ein wichtiger Termin an: Ihr Büro wird geliefert – und zwar per Kran. An dem baumelt ein großer, türkisfarbener Baustellen-Container – und der kommt direkt vor die Bremer Kunsthalle.
"Jetzt sind wir sichtbar", ruft Paul-Nikos Günther. Der 19-Jährige blickt gespannt auf den Container, der gerade auf den Boden abgelassen wird. Dort werden er und die anderen Jugendlichen von nun an zusammenkommen, um ihre Ausstellung zu planen. Gerade sind sie dabei Vorschläge für mögliche Kunstwerke zu sammeln – und eine Recherche-Reise zu organisieren.
Ausstellung in Berlin als Inspiration
Juli 2022. Noch 10 Monate bis zu Eröffnung. Für die Kunst-Recherche geht es jetzt in die Hauptstadt. Denn dort läuft die Berlin Biennale, eine der größten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst. Paul, Emily und die anderen wollen sich auf die Suche machen nach ungewöhnlichen Werken, um sie nach Bremen zu holen.
Videokunst, Installationen, Textilarbeiten: Auf der Biennale finden sie viel Inspiration. "Alles hier ist sehr divers. Die Künstlerinnen und Künstler kommen aus vielen verschiedenen Ländern", stellt Eva Natenzan fest. Die 22-Jährige und die anderen Jugendlichen sind sich einig: Das wollen sie auch. Und noch etwas ist ihnen wichtig. Ihre Ausstellung soll politisch sein.
Kunst wird erst schön, wenn sie eine Aussage hat.
Paul-Nikos Günther, Jugendkurator
Mehrere Werke haben Paul-Nikos Günther und die anderen schon fotografiert – damit sie später in Ruhe überlegen können, was in ihre Ausstellung passt.
Corona-Pandemie: Thema, das die Jugend bewegt
September 2022, noch sieben Monate bis zur Eröffnung. Viele Stunden hat die Jugendgruppe mittlerweile in ihrem Container-Büro verbracht und darüber diskutiert, welche Werke in ihre Ausstellung reinkommen und welche rausfliegen. Unterstützung bekommen sie dabei von zwei Kuratorinnen der Kunsthalle, die die Gruppe beraten. Am Ende aber sind es die Jugendlichen, die die Entscheidungen treffen: "Wir arbeiten mit der Kunsthalle, nicht für die Kunsthalle", sagt Nathan Torres, 19 Jahre alt.
An diesem Tag haben sich die Jugendlichen Besuch in ihren Container eingeladen. Valentin Goppel ist zu Gast. Der 22-Jährige studiert Fotojournalismus in Hannover und hat eine Foto-Reihe über junge Menschen während der Corona-Pandemie gemacht.
Die Bremer Gruppe will einige seiner Arbeiten zeigen. Die Pandemie war für sie alle ein einschneidendes Erlebnis und eine aufreibende Zeit. Und weil sie mit ihrer Ausstellung zeigen wollen, was die Jugend bewegt, müssen Valentin Goppels Fotos mit rein.
Viel Planung im Container und am Computer
Gerade beraten sie mit dem Künstler darüber, welches Format sich am besten eignen würden. "Wir haben ja nicht mehr so viel Platz. Wenn wir mehrere Fotos zeigen wollen, dürften sie nicht zu groß sein und müssten nah beieinander hängen", gibt Paul-Nikos zu bedenken. "Diese Größe sollte es aber schon sein", findet Elly Gastell und zeichnet mit ihren Händen ein Rechteck in DIN A3-Größe in die Luft. Am Ende werden sie sich auf dieses Format einigen und darauf, 15 Fotos als Block an die Wand zu hängen.
In den nächsten Wochen und Monaten wird es noch viele solcher Treffen im Container vor der Kunsthalle geben. Mehr und mehr nimmt die Ausstellung Gestalt an. Einen ersten Eindruck, wie sie wirklich aussehen könnte, bekommen die Jugendlichen am Computer. Mit einem speziellen Programm können sie sich virtuell und in 3D durch die Räume der Kunsthalle bewegen und die einzelnen Werke platzieren.
"Ich bin wirklich aufgeregt. Jetzt wird es konkret", sagt Schirin Düzer während sie am Computer eine Skulptur verschiebt. Danach geht es für die Gruppe in die echten Räume der Kunsthalle, wo gerade noch eine andere Ausstellung läuft. Aber die Zeit drängt und sie müssen sich noch für eine Wandfarbe entscheiden.
Ihre Ausstellung: Modern, divers, politisch
Mai 2023. Endlich ist der große Tag der Eröffnung da. Viele der Werke, die sie wollten, haben sie bekommen. Modern ist ihre Ausstellung, divers und politisch. Es geht um Körper und Sexualität, psychische Probleme und Protestkultur.
Wir haben Themen in die Kunsthalle gebracht, die vorher noch nicht da waren“, sagt
Jumana Ismail, Jugendkuratorin
Die 19-jährige Ismail ist gerade dabei, ihre Eltern durch die Ausstellung zu führen. Auch die anderen Jugendlichen haben Familie, Freundinnen und Freunde mitgebracht.
Junge und ältere Besucherinnen und Besucher treffen an diesem Abend aufeinander. "Wahnsinn, welche Ideen hier eingeflossen sind“, sagt eine ältere Frau. Ein Mann, Mitte 70, will unbedingt noch einmal wiederkommen, um sich alles in Ruhe anzuschauen. "Ich finde es toll und wichtig, dass wir hier als junge Generation angesprochen werden", sagt eine Besucherin, Anfang 20. "Sonst interessiert sich ja kaum jemand, der jung ist, für Kunst", ergänzt ein junger Mann.
Auch für Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg ist das Experiment in der Kunsthalle geglückt: "Es werden hier neue Perspektiven gezeigt und Künstler, auf die wir als professionelle Kuratoren vielleicht nie gestoßen wären. Und so ist daraus eine sehr schöne, spannende und bewegende Ausstellung geworden."
In der altehrwürdigen Kunsthalle hat die Jugend jetzt eine Stimme. Und das liegt an ihnen: Eva, Emily, Paul und die anderen sind ein Team geworden. Und sie wollen weitermachen. Die Jungen Wilden von der Kunsthalle sind noch lange nicht gebändigt.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen Extra, 18. Mai 2023, 19:30 Uhr