Am Limit: Die schwierige Lage der "Casemanager" vom Bremer Jugendamt
Nie wieder ein "Fall Kevin": Nach dem Tod des Zweijährigen im Jahr 2006 gab es scharfe Kritik an der Behörde. Sind Kinder in schwierigen Lebenslagen heute besser betreut?
Es ist einer der verantwortungsvollsten Jobs, die es gibt: Wenn es in Familien brenzlig wird, dann werden Casemanagerinnen und Casemanager im Jugendamt aktiv – aktuell 143 in Bremen und 31 in Bremerhaven. Das Kindeswohl zu sichern ist ihre wichtigste Aufgabe. Hierfür müssen sie auch mal unbequeme Entscheidungen treffen und nicht selten stehen sie für diese auch in der Kritik.
Kritik: Sparkurs des Jugendamts und zu viele Fälle
Im Jahr 2006 sorgte der Fall Kevin auch über Bremens Grenzen hinaus für einen Aufschrei in der Gesellschaft. Im Oktober wurde die Leiche des zweijährigen Jungen im Kühlschrank seines drogenabhängigen Ziehvaters in Bremen gefunden. Das Kind starb an den Folgen schwerer Misshandlungen. Der damals verantwortliche Casemanager musste sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten, weil er den Jungen nicht in Obhut genommen hatte, obwohl dieser vernachlässigt und ihm Gewalt angetan wurde.
Kritik gab es damals auch strukturell – am Sparkurs des Jugendamts, an der hohen Zahl der Fälle, die die Casemanager betreuen mussten und an der damit verbundenen Überforderung. Was hat sich seither an den Arbeitsbedingungen geändert?
Das größte Problem: zu wenig Personal, zu viele Fälle
Sven und Martina – die eigentlich anders heißen – haben eines gemeinsam: Sie beide waren Casemanager im Bremer Jugendamt – zusammen fast 15 Jahre. Sie möchten ihre Erfahrungen teilen, aber anonym bleiben.
Sven und Martina mochten ihre Arbeit sehr und haben sich dann doch entschieden, das Jugendamt zu verlassen. Denn unter den aktuellen Bedingungen sei das kein Job, den man ein ganzes Berufsleben lang durchhält – darin sind sich beide einig. Das größte Problem: zu wenig Personal für zu viele Fälle.
Nach Kevins Tod 2006 wurde zwar reagiert, aber nur im Bereich der Amtsvormunde, die zusätzlich eingesetzt werden, wenn den Eltern das Sorgerecht entzogen wird. Waren es vor Kevin noch mehr als 200 Fällen pro Amtsvormund, wurde danach eine gesetzliche Begrenzung von höchstens 50 eingeführt. Eine vergleichbare Maßnahme im Casemanagement gab es hingegen nicht. Das Problem ist der Behörde bekannt, erklärt dessen Sprecher Bernd Schneider.
Wir wissen, dass die Arbeitsbelastung hoch ist. Und wir haben deswegen auch ein Verfahren in Gang gesetzt, mit dem wir messen, wie hoch ist eigentlich der Personalmehrbedarf, den wir im Jugendamt haben, eben auch gerade im Casemanagement.
Bernd Schneider, Sprecher bei der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport
Neue Casemanager mit vernünftiger Einarbeitung werden gebraucht
Das Ergebnis: 19 neue Casemanager sollen in diesem Jahr kommen, 19 im nächsten Jahr. Dann soll erneut evaluiert und gegebenenfalls weiter aufgestockt werden. In der Theorie eine gute Idee, finden auch Sven und Martina, doch das bringe nur etwas, wenn auch eine vernünftige Einarbeitung erfolgt.
Wenn ich die in ein Team setze, das sowieso gerade komplett gebeutelt ist, weil die Hälfte dauerkrank ist und die andere Hälfte macht den Job seit einem Jahr, und es ist keiner da, der wirklich anleiten kann oder genügend Erfahrung hat, um was zu sagen, dann werden die Leute nicht lange bleiben. Dann haben die einen Fallbestand von 40, 50, 60 Fällen und können auch nur auf das reagieren, was kommt.
Martina, ehemalige Casemanagerin
Denn mit Einarbeitungen sind die Teams im Jugendamt auch jetzt schon regelmäßig beschäftigt. Rein rechnerisch bleiben Casemanager lau Behörde durchschnittlich zehn Jahre in ihrem Job. Doch das können Sven und Martina kaum glauben.
Ich war nachher in meinem kleinen Team mit meinen dreieinhalb Jahren – abgesehen von unserer Leitung – der Dienstälteste. Nicht der Älteste und nicht der Berufserfahrenste, aber der Dienstälteste. Und das ist schon sehr fragwürdig.
Sven, ehemaliger Casemanager
Ein Job, den nicht jeder kann
Dabei spiele Berufserfahrung eine große Rolle, um diesen Job wirklich gut machen zu können. Situationen einschätzen, Familien beraten, Kindeswohl sichern: All das fällt schwer, wenn man frisch von der Uni kommt, meint Sven.
Das ist fahrlässig. Das ist richtig fahrlässig. Jemand, der von der Uni kommt, der kann das nicht können. Auch, wenn er will. Und dann passieren Sachen: Dann werden Kinder zu früh in Obhut genommen – aus Angst, aus Sorge. Und das ist bitter, weil ich meine, man zerstört damit Lebensrealitäten anderer Menschen.
Sven, ehemaliger Casemanager
Auch Martina ist der Meinung, dass es ein Job sei, der viel Kraft koste. "Und ganz viel Empathie und Mut. Und man muss sich immer wieder gut abgrenzen können. Und das kann nicht jeder."
Der Wunsch: gute Arbeitsbedingungen, Wertschätzung und angemessenes Gehalt
Umso wichtiger sei es, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wünsche hätten Sven und Martina viele gehabt: mehr Wertschätzung, mehr Transparenz, mehr Partizipation. Ein Konzept für Teilzeitkräfte, Angebote für Psychohygiene, Ruheräume.
Und am Ende des Tages bräuchte es für eine so anspruchsvolle Tätigkeit auch eine angemessene Vergütung. Mehr als 3.200 Euro Bruttogehalt bei einer Vollzeitstelle. Nicht nur, aber auch, damit sich die Wertschätzung für diesen verantwortungsvollen Job irgendwo niederschlägt.
Die Leute, die ich kennengelernt habe, die waren echt total Klasse. Und dann haben die solche Bedingungen. Das ist so schade. Das ist eine Gesellschaftsfrage. Wir müssen uns überlegen, was uns das wert ist.
Sven, ehemaliger Casemanager
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 9. April 2020, 9:10 Uhr