Immer mehr Kinder in Bremen haben Probleme beim Sprechen

Mit Hilfe eines Spiels vermittelt eine Erzieherin vier Kindern an einem Tisch Wörter und Sprache.
Bild: dpa | JOKER | Petra Steuer

Die Barmer Krankenkasse hat einen besorgniserregenden Trend festgestellt. Die Zahl von Kindern mit eingeschränktem Wortschatz steigt – und viele können keinen Purzelbaum mehr.

Sie gilt als eine der häufigsten Diagnosen unter Kindern und Jugendlichen: die Störung beim Spracherwerb. Dazu zählen ein begrenztes Vokabular, fehlende Kenntnisse beim Satzbau und Schwierigkeiten bei der Aussprache. Laut einer Hochrechnung der Barmer Krankenkasse wächst die Zahl von Heranwachsenden mit diesen Problemen. Die Hochrechnung stammt aus dem Barmer-Arztreport 2023. Dazu hat die Krankenkasse die anonymisierten Daten von insgesamt rund neun Millionen Versicherten ausgewertet.

In Bremen betrifft das Sprachdefizit den Hochrechnungen der Krankenkasse zufolge etwa 10,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen. Das entspricht 4.400 Kindern. In Niedersachsen sind es noch mehr: Dort sind mit 14,1 Prozent aktuell rund 72.000 Kinder betroffen. 2006 waren es laut Barmer Krankenkasse in Bremen noch 2.700 und in Niedersachsen 47.000 Kinder.

Digitale Inhalte ein möglicher Grund

Heike Sander, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Niedersachsen und Bremen betont, dass besonders Eltern in der Pflicht stünden.

Kinder erlernen Sprache durch Nachahmen. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern viel mit ihrem Kind kommunizieren und den Medienkonsum begrenzen.

Heike Sander, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Niedersachsen und Bremen

Laut Barmer-Arztreport sollten Eltern ihre Kinder besonders in den ersten drei Lebensjahren beobachten. Es sei sinnvoll zu schauen, ob die Kinder in ihrer Sprachentwicklung so weit sind wie Gleichaltrige. Auch eine U7-Untersuchung durch einen Kinderarzt sei wichtig. In der Untersuchung prüft der Arzt, ob das Kind einfache Wörter und Sätze versteht. Gute Sprachkenntnisse seien laut Krankenkasse auch später relevant. Sie haben einen großen Einfluss darauf, wie gut Kinder und Jugendliche Lesen und Schreiben lernen.

Schwierigkeiten auch beim Purzelbaum

Auch bei der motorischen Koordination hätten Kinder laut Barmer noch Aufholbedarf. Vielen Kindern fiele der klassische Purzelbaum oder Hampelmann schwer. In Bremen sind laut Barmer etwa 1.300 Kinder betroffen. In Niedersachsen sind es 27.000 Kinder. Für Schule und Alltag seien motorisch koordinative Fähigkeiten laut Sander jedoch wichtig. Eine Ursache sei zunehmender Bewegungsmangel.

Probleme an Bremer Oberschule bekannt

Für den Schulleiter der Bremer Oberschule Koblenzer Straße, Christian Scheidt, sind die Defizite nicht fremd. Dass Schüler an Bremer Schulen immer mehr Sprachprobleme haben, sei ein generelles Problem und betreffe nicht nur Kinder und Jugendliche. Rechtschreibfehler finde Scheidt mittlerweile auch in E-Mails von Behörden oder in den Nachrichten. Die Sprache habe in der Gesellschaft insgesamt an Bedeutung verloren. Allein die Schulen kämen mit der Entwicklung nicht hinterher, so Schulleiter Scheidt.

Die Zeit, alles zu korrigieren ist gar nicht mehr da. Viele sind schon froh, wenn die Botschaft der Schülerinnen und Schüler ankommt.

Christian Scheidt, Schulleiter der Bremer Oberschule Koblenzer Straße

Kinderarzt in Bremen beobachtet gleiche Entwicklungen

Solche Entwicklungen sieht auch Kinderarzt Dr. Marco Heuerding, Sprecher der Bremer Kinder- und Jugendärzte. In seinem Wartezimmer liegen zwar Bilderbücher und Spielzeug, ein Austausch zwischen Eltern und Kindern finde aber immer seltener statt, so heuerding. Kinder spielten für sich. Ihre Eltern hingen oft am Handy. Die Folge: sprachliche und motorische Fähigkeiten blieben auf der Strecke, so Heuerding. Diese müssten die Kinder zuhause lernen.

Dazu gehört es, Bilderbücher vorzulesen. Dazu gehört es, mit den Kindern zu malen und dazu gehört es auch, mit Papa mal ein Vogelhaus zusammenzuschrauben.

Kinderarzt in Bremern, Dr. Marco Heuerding

Die Bremer Oberschule will ihren Beitrag leisten

Ab dem kommenden Schuljahr wird die Oberschule Koblenzer Straße ein neues Schulfach für Fünftklässer einführen. Mit dem Fach "Basiskompetenz Lesen, Schreiben, Rechnen" sollen Defizite unter Schülern von unterschiedlichen Grundschulen ausgeglichen werden. Auch gegen die fehlende Motorik geht die Schule vor. So seien beispielsweise die Klassenräume darauf ausgelegt, dass die Kinder nicht nur den ganzen Tag auf den Stühlen sitzen. Gleichzeitig sieht auch der Schulleiter die Verantwortung bei den Eltern und betont: "Wir werden den Kindern nicht auch noch erklären, wie sie ihre Schuhe binden sollen".

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Bild: Radio Bremen
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