Interview
Wie Künstliche Intelligenz aus Bremen die Medizin voranbringen könnte
Forscher setzen in der Medizin verstärkt auf Künstliche Intelligenz. KI soll Diagnosen erleichtern. Aber wie? Ein Informatiker erklärt Bremer Projekte zu KI in der Medizin.
Glaubt man Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), so wird Künstliche Intelligenz immer wichtiger für die Medizin, zumal zur Diagnose von Krebs. Das hat Lauterbach kürzlich bei einem Besuch des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ in Heidelberg betont. Bislang allerdings nutze Deutschland KI in der Krebsforschung zu wenig, so der Minister.
Doch das dürfte sich in den kommenden Jahren ändern, auch dank verschiedener Forschungsprojekte mit Bremer Beteiligung. buten un binnen hat darüber mit Christoph Lüth von der Uni Bremen gesprochen. Lüth ist auch stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs Cyber-Physical Systems des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), das seinen Hauptsitz in Bremen hat.
Herr Lüth, warum ist Künstliche Intelligenz für die Medizin so interessant?
Man hat es in der Medizin mit ganz vielen Patientendaten zu tun. Und aus diesen Daten muss man eine Diagnose ziehen. Die KI hilft dabei, die vielen Daten zu verarbeiten. Dazu gibt es viele verschiedene Verfahren.
Was in der heutigen Praxis hauptsächlich zum Einsatz kommt, sind Methoden der Bildverarbeitung. Dabei geht es um Röntgenbilder, MRT-Aufnahmen und so weiter mit Massen von Daten. Die Bilder dienen beispielsweise dem Ziel, Tumore zu erkennen. Darin sind KI-Programme inzwischen vielleicht sogar besser als Ärzte. Sie können Tumore sicherer erkennen.
Wie erkennt Künstliche Intelligenz einen Tumor?
Die KI greift dazu auf bereits existierende, von Experten gekennzeichnete Daten zurück und gleicht sie mit den neuen ab. Sie vergleicht also beispielsweise ganz viele Röntgenaufnahmen, auf denen Ärzte Tumore markiert haben, und erkennt die entsprechenden Muster, etwa weiße Flecken, auf den neuen Röntgenbildern. Sie imitiert die menschliche Diagnostik. Man kann die KI fortlaufend trainieren und mit immer neuen Daten füttern. Dadurch wird sie ständig leistungsfähiger. Das funktioniert besonders gut in einem eng umrissenen Feld, wie eben bei Röntgenaufnahmen.
Das klingt ein bisschen so, als wenn die KI vor allem medizinisches Personal einsparen soll.
Ich würde eher sagen: Es geht darum, dem Personal zu helfen, das Personal zu entlasten, indem man ihm bestimmte Routineaufgaben abnimmt. Auf diese Weise kann man Zeit sparen, die das medizinische Personal gewinnt, um sich verstärkt dem Menschen zu widmen und Aspekte der Diagnostik zu beleuchten, die über die Mustererkennung hinausgehen. Denn die KI ist noch nicht besonders gut darin, medizinische Zusammenhänge zu erkennen.
Fällt Ihnen ein medizinisches Feld ein, auf dem die KI noch keine besonders große Hilfe ist, es aber auf lange Sicht wahrscheinlich sein wird?
Wir, das KI-SIGS, haben gerade ein Forschungsprojekt abgeschlossen, in dem wir die Vitaldaten, die von Patienten der Intensivstation abgeleitet werden, analysiert haben. Dabei geht es darum, frühzeitig aufgrund von Mustern zu erkennen, ob ein Patient einen Kreislaufzusammenbruch zu erleiden droht. Wir haben das in Kooperation mit dem Klinikverbund Gesundheit Nord und der Firma "Philips" gemacht.
Auch hinter diesem Projekt steckt die Idee, dass man nicht etwa Personal einspart, sondern dass man das behandelnde Personal frühzeitig darauf hinweisen will, dass einem Patienten eine kritische Situation drohen könnte. Dann kann sich das Personal auf diesen Patienten entsprechend fokussieren.
Heute ist es so: In dem Moment, wo der Zusammenbruch kommt, fängt alles an zu piepen. Aber dann ist es oft schon zu spät. Was das Nutzen von Mustern in der Diagnostik angeht: Darin liegt noch viel Potenzial in der Medizin, und darin ist KI gut.
Und worum geht es bei Ihrem nächsten medizinischen KI-Projekt?
Wir versuchen gerade in einem Projekt, mit den Methoden der KI die Bildgebung von MRT-Systemen zu verbessern. Zurzeit ist es technisch noch relativ kompliziert, die Magnetresonanztomographie für die einzelnen Aufnahmen zu programmieren. Man braucht dazu eigens geschultes Personal. Wir wollen aber den behandelnden Mediziner in die Lage versetzen, direkt mit dem System zu interagieren. Der Mediziner soll zum Beispiel sagen können: Ich möchte jetzt, dass das System mir ein Bild vom Schultergelenk erzeugt.
Zwei Beispiele für hiesige Forschungsprojekte zu KI in der Medizin haben Sie nun schon genannt. Welche Rolle spielt Bremen generell bei der Entwicklung von KI für die Medizin?
Wir sind schon ganz gut dabei. Neben unserem KI-SIGS mit dem eben beschriebenen Projekt haben wir hier das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS. Dann haben wir an der Universität verschiedene Gruppen, die sich mit KI in der Medizin beschäftigen, und die UBRA (Unversity of Bremen Research Alliance) mit dem Leitprojekt KI. Und dann gibt es einige Firmen in Bremen, die sich damit befassen, darunter auch Startups. Ich finde: Das kann sich sehen lassen.
Bei aller Faszination für Künstliche Intelligenz: Was, glauben Sie, wird KI in der Medizin nie leisten können?
Den betreuenden Umgang mit Patienten. Die bekannten KI-gestützten Dialogsysteme wie ChatGPT erwecken zwar den Eindruck, als wenn sie intelligent mit einem reden können, aber das tun sie nicht. Sie wiederholen immer nur, was sie einmal gelernt haben. Damit erreicht man aber keine adäquate Betreuung eines Patienten. Das kann sogar eher gefährlich werden.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 5. November 2023, 19:30 Uhr