Bremerhavens City: "Vielleicht muss man sich genau jetzt was trauen"

Blick in die Bürgermeister-Smidt-Straße, die Haupteinkaufsstraße in der Innenstadt von Bremerhaven.
Obere Bürger: Das Herzstück der Bremerhavener Innenstadt. Bild: Imago | Chromorange

Bremerhavens Karstadt schließt, Saturn macht dicht, auch bei kleinen Läden viel Leerstand: Was hilft jetzt noch? Mut, finden zwei, die den Handel kennen.

Bremerhaven-Zentrum, ein freundlicher Tag, in der City wuselt es. Viele Besucher aus allen Alters- und Bevölkerungsgruppen flanieren durch die Bürgermeister-Smidt-Straße, die Hauptschlagader der Innenstadt. "Aber das ist nicht mehr genug", sagt Petra Coordes. Denn es sei viel weniger geworden. Coordes muss es wissen, sie arbeitet seit 33 Jahren in der Bremerhavener Karstadt-Filiale, die nun ihre berufliche Sackgasse ist. Karstadt macht zu, der Saturn am anderen Ende der Meile auch, seit Jahren geben viele kleinere Läden auf. Sogar McDonalds hat sich zurückgezogen.

Die Nachricht von der Schließung von Karstadt und Saturn hat in der Stadt eine gewisse Schockwelle ausgelöst. Natürlich, ein neues City-Konzept ist seit Jahren Thema. "Gedanklich ist das Thema seit Jahren groß", sagt Nils Schnorrenberger, Chef der BIS, der städtischen Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung. Zuletzt 2016 hat die Stadt ein Einzelhandelskonzept in Auftrag gegeben. 200 bunte Seiten voller Zahlen und Tabellen, voller Chancen und Risiken. Aber ohne echte Folgen. Die BIS habe zwar die Einzelhändler bei der Digitalisierung unterstützt und plane an neuen Flächen.

Aber die Instrumente der Wirtschaftsförderung sind begrenzt.

Nils Schnorrenberger
Nils Schnorrenberger, Chef der Bremerhavener BIS

Allgemeine Probleme, aber besondere Vorteile

Einkaufsgasse im Mediterraneo Bremerhaven
In das Mediterraneo Bremerhaven wurden viele Hoffnungen gesetzt. Bild: Radio Bremen | Boris Hellmers

Schnorrenberger ist überzeugt, dass die Probleme Bremerhavens die Probleme aller Innenstädte sind: die "grüne Wiese" und der Online-Handel. Er ist sich aber auch sicher, dass Bremerhaven Pfunde hat, mit denen es wuchern kann. Einer der berühmten "unique selling points", ein USP, ein Alleinstellungsmerkmal: die Havenwelten, die kulturell-konsumtive Erlebniswelt zwischen Innenstadt und Wasserkante. Mit dem Viertel hatte Bremerhaven ab 2005 einen Schotterparkplatz mit Deichblick in ein futuristisches Quartier verwandelt. Das Auswanderer- und das Klimahaus und das ehemalige "Mediterraneo", heute ein Outlet, sind ein touristischer Hotspot geworden.

"Die Havenwelten sind doch was, was wirklich geklappt hat", findet Karlheinz Michen. Michen ist gebürtiger Hannoveraner, aber längst Bremerhavener Urgestein. Er hat im alten Karstadt-Haus gearbeitet, später war er beim Konkurrenten Horten – dort, wo später Saturn einzog. Wenn er von den alten Tagen des Einzelhandels in Bremerhaven erzählt, kann Zuhörern schnell schwindelig werden: Von bis zu 5.000 täglichen Besuchern im Horten-Restaurant ist die Rede, von unzähligen Plattenläden in der Stadt, die wegen der Hörer des amerikanischen Soldatensenders AFN ein einmaliges Sortiment hatten, von konkurrierenden Fachhändlern in Branchen, die es schon seit Langem gar nicht mehr gibt: "Das war eine ganz andere Zeit", sagt Karlheinz Michen ganz ohne Bitterkeit.

Die Hardware stimmt, aber die Software fehlt

Dämmerung an der Bremerhavener Havenwelten.
Die Havenwelten sind der ganze Stolz der Stadt. Bild: Matthias Wefer

In den Kaufhäusern hat er Kunden und Geschäftsbetrieb erlebt, als Kommunalpolitiker der Grünen und dann der SPD die andere Seite. "Bremerhaven hat sich mit den Ressourcen, die es hat, in den letzten Jahren ganz gut entwickelt", glaubt Michen. Natürlich spricht er gern über die Erfolge "seiner" Politik – die es durchaus auch gibt: die "Havenwelten" sind wohl am sichtbarsten, aber auch die schon in den Neunzigern durchrenovierte "Bürger" mit Überdachungen vor allen Geschäften oder die verbesserte Anbindung der Einkaufsmeile in Richtung Wasser haben etwas verändert.

Aber das ist streng genommen nur Beton. Die Hardware der Bremerhavener Innenstadt ist okay: "Gutes Erscheinungsbild insgesamt (Stadtmöblierung, Brunnen, Wetterschutz, Bodenbelag)" formuliert dies das Gutachten von 2016. Das Problem ist die Software, das Betriebssystem: Wer geht in die City? Was kann man dort machen? Was kann bleiben, was muss neu?

Oberzentrum und Kaufkraft-Sauger

Das Angebot, da sind sich alle einig, muss diverser werden – nur mit "schön shoppen" funktioniert es nicht mehr. "Die Innenstadt muss Anlässe für einen Besuch bieten: Weil ich dort wohne, arbeite, Kultur genieße, ausgebildet werde, essen und trinken kann, mich gerne aufhalte, andere Menschen treffe, mich engagieren kann", definiert Wirtschaftsförderer Schnorrenberger. Das Einzelhandelsgutachten hat schon vor vier Jahren angeregt, die Innenstadt in mehrere Quartiere aufzuteilen: Freizeit und Gastronomie in Richtung Theaterplatz, Wissensquartier bei Hochschule und Alfred-Wegener-Institut, schließlich ein Gesundheits- und ein Hafenquartier – und mittendrin die Einkaufsmeile.

In einer solchen neuen Innenstadt würden sich nicht nur die etwa 117.000 Bremerhavener bewegen. Die Stadt ist ein Oberzentrum für die ganze Region. Das "Marktgebiet" bestehe aus bis zu 400.000 Einwohner in einem Einzugsgebiet von 40 Kilometern, erklärt Karsten Nowak von der Handelskammer Bremen-Bremerhaven. Die so genannte "Einzelhandelszentralität" für die Stadt liegt bei 127. Hier bedeuten alle Zahlen unter 100, dass Kaufkraft ins Umland abfließt, alle Zahlen darüber, dass Kaufkraft von umzu hereinfließt: Mit 127 profitiert das Oberzentrum Bremerhaven also erheblich vom Umland. "Dadurch wird die eher unterdurchschnittliche Kaufkraft Bremerhavens etwas aufgewertet", sagt Nowak. Und "nicht unerheblich" seien auch die etwa 1,7 Millionen jährlichen Tagesgäste der Nordsee-Großstadt.

Alles in allem übt Bremerhaven eine wichtige Versorgungsfunktion aus, die weit in die Region hinein reicht.

Karsten Nowak, Handelskammer Bremen-Bremerhaven

Die Zeit für mehr mutige Entscheidungen

Aber was macht Bremerhaven nun mit diesem Auftrag? Die ersten Vorschläge liegen auf dem Tisch. So hat die CDU gefordert, auf die Suche nach einem Großinvestor zu gehen: Es reiche "für die Gestaltung der Zukunft der Innenstadt nicht aus, für das vorhandene Gebäude auf mittlere und kleinteilige Nachmieter zu setzen", ließ die Partei verlauten. Auch Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) hofft immer noch darauf, dass es mit Karstadt irgendwie weitergeht – und brachte in der Presse sogar ernsthaft ins Spiel, die chronisch klamme Stadt könne das Karstadt-Gebäude selbst kaufen: Wieder eine Rettung durch Beton?

Karlheinz Michen hat die SPD-Fraktion längst verlassen. Vielleicht ist er darüber auch ganz glücklich: "Das ist für die Stadt jetzt echt eine brutale Situation. Ich wünsche ihr, dass sie jetzt vielleicht doch noch ein halbes oder ganzes Jahr Zeit hat, noch einmal nachzudenken." Ja, der Druck sei nun groß.

Aber man muss sich vielleicht genau jetzt auch mal was trauen."

Karlheinz Michen
Karlheinz Michen, Ex-Horten-Verkäufer und SPD-Kommunalpolitiker

Auf mehr Mut hofft auch Verkäuferin Petra Coordes. Wenn sie von früher erzählt, will sie keine besseren Zeiten zurücksehnen, als es noch nicht in jedem Stadtteil einen Vollversorger-Supermarkt gab, als die grünen Wiesen noch keine Einkaufszentren waren, als die Welt noch offline war. "Das drehen wir natürlich nicht zurück", sagt sie, die auch Stadtverordnete für die Grünen ist. "Aber wir haben heute andere Chancen: Wieso nicht zum Beispiel die Stadt des nachhaltigen Handels werden?"

Dass die Stadt nicht mit den Stadtbürgern ins Gespräch komme, dass sie seit Jahren keine neue Ansätze zulasse, das sei das Hauptproblem. Die Politik sei irgendwann einfach stehen geblieben: "Old Boys gegen neue Ideen" spitzt Petra Coordes zu, die nach 33 Karstadt-Jahren im Herzen Bremerhavens bald ohne Job dasteht.

So könnte Bremerhavens Zukunft aussehen

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 16. Juli 2020, 19.30 Uhr

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