Bremer Journalistin bereitet sich auf Einsatz in Krisengebieten vor
Korrespondenten berichten aus entlegenen und manchmal gefährlichen Orten. Um vorbereitet zu sein, gibt es spezielle Kurse – in denen sogar auf die Teilnehmer geschossen wird.
So nah am Konflikt wie im vergangenen Jahr war ich noch nie. Seit 2015 berichte ich als freie Journalistin und Auslandskorrespondentin immer mal wieder aus entlegenen Regionen der Welt, und auch mal Krisengebieten. Myanmar, Borneo, China, Nahost. Anfangs hatte ich keine besondere Ausbildung. Aber ich hatte Glück. Ich konnte ohne große Vorfälle im Dschungel schlafen, Slums auf Pfahlbauten im Meer besuchen, in Regionen reisen, in denen sich teilweise Rebellen und Militär noch beschossen haben.
Nach dem 7. Oktober bin ich beruflich bedingt zweimal ins Westjordanland gereist. Etwa ein Kilometer entfernt von meiner Wohnung gab es Gefechte, in Dschenin waren abends Schüsse und eine Explosion zu hören, am Checkpoint an der Grenze mussten wir hinter einem Polizisten mit Maschinengewehr Schutz suchen.
Und auch in Jordanien sind uns mehrmals Raketen über den Kopf geflogen, Teile abgeschossener Flugkörper auf den Boden geknallt. Bei pro-palästinensischen Protesten hat die Polizei mehrfach Tränengas einsetzt, die Menschen sind in Panik durch die Straßen gerannt, Luft holen war kaum möglich. Um solche Situationen besser zu meistern, habe ich dieses Jahr ein Sicherheitstraining absolviert.
Ruhe bewahren in unruhigen Lagen
"Runter! Zu Boden! Bleibt unten!" Eine Gruppe von Frauen und Männern unterschiedlichen Alters steht noch ein wenig verschlafen auf dem Parkplatz vor dem Trainingsgebäude, die meisten noch ahnungslos, was so ein Kurs beinhaltet. Der junge Mann, der jetzt flach auf dem Boden liegt und uns auffordert, dasselbe zu tun, ist unser Trainer. Noch vor wenigen Sekunden war er dabei, uns zu zählen – bis zwei junge Männer mit Sonnenbrillen und Mützen in einem alten Wagen an uns vorbeifuhren, eine Pistole zückten und durch die runtergelassenen Fenster schossen.
Es ist der erste einer langen Reihe von Überraschungsangriffen, die wie in der Woche erleben werden. Granaten, Messer, Landminen, halb automatische Gewehre – für jeden ist etwas dabei. Wer jetzt denkt, man könne so etwas unmöglich ernst nehmen, der stand noch nie unausgeschlafen und schutzlos auf einem Hof und sah zu, wie aus dem Nichts bewaffnete Menschen um die Ecke kommen und das Feuer eröffnen. Mit dem Hintergrundwissen, dass in dieser Woche jeder von uns, früher oder später, von vermummten Menschen mit einer Haube überzogen, gefesselt, entführt und stundenlang irgendwo festgehalten wird.
Lernen, wie man sich vor Schützen versteckt, was zu tun ist, wenn man beim Autofahren beschossen wird, Landminen explodieren oder wie man eine offene Wunde versorgt – das ist nur Teil der Vorbereitung. Genauso wichtig ist der geistige Teil. Sich den eigenen Ängsten zu stellen. Verstehen, wie man eigentlich "tickt", wie man funktioniert unter Stress, wenn die Fähigkeit nachzudenken nachlässt. Und der irrationale Teil des Wesens überhandnimmt.
Drei mögliche Antworten auf eine drohende Gefahr gibt es: fliehen, erstarren oder kämpfen. Wieso welche Reaktion in der jeweiligen Situation am ungünstigsten ist, das lernt man. Die eigenen Reaktionen zu steuern, ist alles anders als leicht. Darum geht es eigentlich: die eigenen Schwächen und Ängste zu akzeptieren, Kontrollverlust hinzunehmen und Bewältigungsstrategien zu finden. Für jeden ist eine andere Situation am schwierigsten. Das Training soll so viele Szenarien wie möglich so realistisch wie möglich darstellen.
Psychologische Techniken sind genauso wichtig
An einem sonnigen Tag sind wir zu einer breiten Fläche im Wald gefahren. Im Gänsemarsch sind wir zu einem Tunnel gelaufen, einer Art Graben. Dort, in der Erde, mussten wir in einer Reihe stehen. Nach zehn Minuten kanllte es zum ersten Mal. Schüsse, diesmal scharf, die wenige Meter über unseren Köpfen getroffen haben. Damit wir lernen, wie es sich anhört, wenn man im echten Leben mit unterschiedlichen Waffen beschossen wird.
Bei einem solchen Training geht es auch um Verhandlungstechniken an Checkpoints oder beim Verhör mit den Entführern. Darum Ruhe unter extremen Stressbedingungen zu finden. Und um schnelle Entscheidungen. Ethische Entscheidungen, manchmal.
Ethische Dilemmas
An einem späten Nachmittag sind wir alle noch im Klassenraum, als zwei unserer Kommilitonen auf den Hof gerufen werden. Zwei Männer in Zivilkleidung nehmen sie fest, sie wollen mit den Gruppenleitern reden. Einer von diesen war ich. Und auch die Einzige, die sich nach draußen getraut hat. Die Namen der beiden wollten sie wissen, den Namen unserer Organisation, dann versuchten sie, einen von ihnen wegzuzerren. Andere Menschen erschienen aus den umliegenden Häusern. Schreie, Waffen.
In dem sich aufbauenden Chaos hatte ich plötzlich die Chance, den zweiten Kommilitonen unauffällig auszuschleusen. Das hätte aber bedeutet, den anderen, der mir beim Verhör sogar geholfen hatte, den Agenten oder wer auch immer sie waren, zu überlassen. Einen zu retten oder beide riskieren? Es sind Entscheidungen, die man binnen Sekunden treffen muss. Und die das Überleben von anderen Menschen beeinflussen.
Ein Sicherheitstraining ist empfehlenswert für Journalisten, die sich in konfliktreichen Regionen aufhalten. Je spezifischer für Auslandsjournalisten, desto besser. In meinem hat es zum Beispiel der Umgang mit der schusssicheren Weste und Helmen gefehlt. Auch eine passende Ausstattung ist wichtig, darüber redet man in der Regel bei solchen Kursen. Und Kontakte, die für Sicherheit sorgen können. Und Geld, wenn man als Freie arbeitet.
Am Ende ist jedoch eines das Wichtigste: Der Umgang mit sich selbst. Die eigenen Schwächen und Stärken zu kennen, die eigenen Instinkte. Aber vor allem das, was man bereit ist, für diesen Job zu riskieren. Am Ende ist es die eigene Kraft.
Quelle: buten un binnen.