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"Irreal": Bremer Forscher zerlegen Bundes-Pläne zum Schutz der Moore

Das Teufelsmoor in Niedersachsen, Worpswede. Breites Wasser.

Kritik an der Moor-Strategie des Bundes

Bild: dpa | imagebroker/fotosol

Der Bund möchte die Moore wieder vernässen. Richtig so, sagen Wissenschaftler und üben doch Kritik an den Plänen. Sie seien praxisfern. Zwei Bremer Forscher sagen, inwiefern.

Deutschlands Moore sind heute fast alle trocken. Siedler haben sie einst entwässert, um auf den Moorböden Siedlungen errichten und Landwirtschaft betreiben zu können. Lange hat man sich nichts Böses dabei gedacht. Heute aber weiß man: Aus trockengelegten Moorböden entweicht im großen Stil Kohlenstoff und bildet Treibhausgase: Eine Katastrophe fürs Klima. Daher will die Politik diese Böden wieder bewässern und keine weiteren Flächen trockenlegen. So sieht es auch die Nationale Moorschutzstrategie von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) aus dem November 2022 vor.

Doch an dieser Strategie gibt es jetzt Kritik. Wissenschaftler wie der Bremer Bodenkundler Joachim Blankenburg und der Bremer Biologe Hans-Konrad Nettmann halten sie für unausgegoren. Die darin formulierten Ziele seien zwar richtig. Es fehle der Strategie aber an Ideen und Konzepten dazu, wie man die betroffenen Akteure, insbesondere Landwirte einbinden kann. Auch stelle sich Lemke das Vernässen von Flächen zu leicht vor. Zu den Hintergründen:

Wieso man Moore vernässen sollte

Bild: Radio Bremen

Worauf zielt die Nationale Moorschutzstrategie im Kern ab?

Die Strategie zielt darauf ab, dass "bis 2030 die CO2-Emissionen aus Moorböden jährlich um mindestens 5 Millionen Tonnen reduziert werden", teilt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung mit. Hierzu sollen vor allem:

  • alle noch bestehenden naturnahen Moore erhalten beziehungsweise wiederhergestellt werden

  • land- und forstwirtschaftlich genutzte Moorböden wieder bewässert (vernässt) werden

  • neue Bewirtschaftungsformen für vernässte Moorböden entwickelt werden

  • kein Torf mehr abgebaut werden

Was kritisieren Wissenschaftler an diesen Plänen?

Der Agrarforscher Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin hat bei "Panorama" kritisiert, dass Lemke in ihrer Strategie allein auf Freiwilligkeit setzt und den Landwirten, die die Moorböden nutzen, keine Vorgaben macht. Das kritisiert auch der Bodenkundler Joachim Blankenburg, ehemals Leiter des Geologischen Dienstes Bremen. Er sagt, Lemkes Idee von der Freiwilligkeit sei "irreal": "Man muss die Landwirte mitnehmen. Man müsste ihnen in der Strategie zugleich Vorgaben machen und Angebote unterbreiten. Es muss attraktiv für sie sein, mitzuziehen."

Darüber hinaus kritisiert Blankenburg an Lemkes Plänen, dass der zeitliche Rahmen, den sie in der Moorschutzstrategie setzt, nicht realistisch sei.

Man kann nicht einfach alles vernässen. Außerdem brauchen wir mehr Zeit.

Bodenkundler Joachim Blankenburg

Was Moore mit Treibhausgasen zu tun haben

Moore: Wertvolle Klimaschützer 90% Über der deutschen Moo r e sind entwässe r t der deutschen T r eibhausgasemissionen kommen v on Moorböden so viel wie beim gesamten inne r deutschen Flug v er k eh r 20x 53 Millionen T onnen CO 2 CO 2 CO 2 7,5%
Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2023

Was ist so schwierig daran, Moorböden zu vernässen?

Es gehe damit los, dass es derzeit gar keine verlässlichen Karten zu den Moorböden gibt, sagt Bodenkundler Joachim Blankenburg. "Aber Böden verändern sich", fügt er hinzu. Daher könne es etwa sein, dass manch’ alte Karte Moorböden ausweist, die es gar nicht mehr oder zumindest nicht in der alten Mächtigkeit gibt. Erst, wenn man mehr über die einzelnen Böden wisse, könne man aber entscheiden, welche Flächen sich überhaupt zum Vernässen eignen, welche Flächen nur bedingt und welche gar nicht.

Doch selbst wenn man einen Boden gut kenne, gebe es viel zu beachten, so Blankenburg. "Wenn man beispielsweise Niedermoorböden wie im Bremer Blockland vernässen will, muss man dazu den Grundwasserspiegel anheben. Das führt dann aber in umliegenden Häusern zu Überschwemmungen." Blankenburg weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass einige Regionen nahe Bremen, zumal am linken Weserufer in Richtung Oldenburg, unter dem Meeresspiegel gelegen sind. "Da müsste man ganze Siedlungen aufgeben", so der Wissenschaftler.

Wie müsste man vorgehen, um trotz derartiger Schwierigkeiten möglichst viele Moorböden wieder zu vernässen und so dafür zu sorgen, dass sie keine Treibhausgase produzieren, sondern in Zukunft sogar wieder Kohlendioxid binden?

Der Biologe Hans-Konrad Nettmann, Vorsitzender des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen, stellt klar: "Es geht nicht ohne die Nutzer. Man muss sie mit ins Boot holen." Das aber könne nicht zentral vom Bund gesteuert geschehen, so Nettmann: "Dann fühlen sich die Landwirte geschurigelt", glaubt er. Aus seiner Sicht sind vor allem die Landkreise gefordert, um gemeinsam mit allen Akteuren neue Konzepte der Flächennutzung und des Wassermanagements zu erstellen. "Es ist sinnlos, eine Einzelfläche zu bewässern, wenn rundherum entwässert wird", fügt Nettmann erklärend hinzu. Schon deshalb gehe es nicht ohne Absprachen vor Ort.

Zudem sei klar: "Der Staat wird sehr viel Geld in die Hand nehmen müssen." Wie Blankenburg, so glaubt auch Nettmann, dass die öffentliche Hand nicht umhin kommen wird, Landwirten große Flächen abzukaufen, um sie vernässen zu können. Schließlich hätten viele Betriebe erst vor wenigen Jahren – mit staatlichen Subventionen – große Investitionen getätigt, um ihre Produktion beispielsweise auf Biogas umzustellen und ihre Höfe auf diese Weise zu retten.

Bodennebel vor Sonnenaufgang im kultivierten Niedermoor, Deutschland, Bayern
Wer es nicht weiß, wird es nicht erkennen: Dieses Feld steht auf entwässertem Niedermoorboden. Bild: dpa | blickwinkel/A. Hartl

Welche Alternativen gibt es möglicherweise dazu, dass der Staat den Landwirten große Flächen zur Vernässung abkauft?

In der Moorschutzstrategie des Bundes heißt es, dass neue nachhaltige Bewirtschaftungsformen geschaffen werden müssten, damit Landwirte auf nassen Böden Geld verdienen könnten. Dazu zählen beispielsweise Photovoltaikanlagen oder der Anbau neuartiger Kulturen. In Pilotprojekten wird etwa daran geforscht, wie aus Moorpflanzen wie Rohrkolben nachhaltige Dämmplatten für die Bauwirtschaft entstehen könnten. Das Problem: Es gibt dafür noch keinen Markt.

So lange man damit kein Geld verdienen kann, ist das natürlich auch keine Alternative für die Landwirtschaft.

Biologe Hans-Konrad Nettmann

Was ist mit der Milchwirtschaft? Kann man gleichzeitig Flächen vernässen und Kühe halten? Rund 50 Prozent der Moorböden in unserer Region werden von Bauern mit Milchvieh bewirtschaftet.

Wenn Böden bis zur Oberkante vernässt werden, ist es nicht mehr möglich, auf diesen Flächen Milchkühe zu halten oder darauf mit einem Traktor zu fahren. Das Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen hofft daher auf einen Mittelweg. Es erarbeitet nach eigenen Angaben "innovative Konzepte für eine nachhaltige Landwirtschaft auf Grünland" – also auf Weideflächen. Konkret sagt der Agrar- und Umweltforscher Mathias Paech vom Grünlandzentrum: "Es geht nicht in erster Linie darum, Moore wieder zu vernässen, sondern Treibhausgase aus Moorböden einzusparen." Das könne auch dann gelingen, wenn man die betreffenden Böden nicht etwa renaturiere, sondern lediglich beständig feucht halte.

Ein laufendes Forschungsprojekt des Grünlandzentrums trägt den Titel "Future Proof Grasslands" (Zukunftsfähiges Grünland). Dabei geht es um klimaangepasstes Wassermanagement für den nordwestdeutschen Küstenraum. Eine der zentralen Ideen: Man speichert überschüssiges Wasser aus den regenreichen Wintern, um es im Frühjahr und Sommer zur Wässerung zu nutzen und so zu verhindern, dass der Grundwasserspiegel allzu stark sinkt und die Böden austrocknen. "Man kann Gräben nicht nur zum Entwässern, sondern auch zum Speichern von Wasser nutzen", sagt Paech dazu.

Wie das konkret aussehen könnte, ist aber noch unklar. Es ist ein Gegenstand des laufenden Forschungsprojekts "Future Proof Grasland", das noch bis September 2027 läuft.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 12. Juli 2023, 15:10 Uhr