Interview

Kanu-Tour mit der dementen Oma: "Sie hatte bessere Laune"

Bremer Dokumentarfilm zeigt Demenz ungeschönt ehrlich

Bild: Radio Bremen

Astrid Menzel paddelte zehn Tage lang mit ihrer an Demenz erkrankten Oma von Bremen nach Kiel und machte daraus einen Film. Mit dem geht sie jetzt auf Kino-Tour.

Bereits in ihrem Filmstudium hat Astrid Menzel angefangen, ihre Großeltern zu filmen. Als ihr Opa noch lebte, freute er sich, dass seine letzten Jahre dokumentiert werden. "Wenn ich sterbe, pass auf deine Oma auf", sagt er zuletzt. Nach seinem Tod bleibt Astrids Großmutter zurück. Wegen ihrer Demenz muss sie in ein Seniorenheim. Die Schuldgefühle, ihre Großmutter allein zu lassen, nagen an der Enkelin. Schließlich beschließt sie, trotz des Zustands ihrer Großmutter eine ganz besondere Reise zu planen: Diese wird zum Hauptthema ihrer Dokumentation "Blauer Himmel Weiße Wolken".

Frau Menzel, in Ihrem Film fahren Sie mit Ihrem Bruder und Ihrer demenzkranken Oma im Kanu von Lilienthal nach Hohenhude bei Kiel. Wie sind Sie auf so eine Unternehmung überhaupt gekommen?

Das Ganze fing eigentlich als Schnapsidee an. Wir haben das Kanu mal von meinem verstorbenen Großvater bekommen und dachten: Bringen wir es doch an den Ort zurück, wo es herkommt, und das am besten auf seinem natürlichem Weg – dem Wasser. Wir fanden den Gedanken so absurd, weil es ja nicht mal einen durchgehenden Wasserweg gibt, dass wir dann noch weiterspannen: Am besten nehmen wir noch unsere Oma mit.
Tatsächlich hat es sich dann aber gut angefühlt, so ein naives kindliches Abenteuer anzugehen, gerade nach dem Tod meines Opas und all den Umständen. Es war auch für mich schwierig zu sehen, dass eine Person, die so viel in ihrem Leben gemacht hat, nun gar nichts mehr tut. Meine Oma war immer ein sportlicher und fitter Mensch und ist gerne gereist. Ich habe ihr mehrmals von dem Vorhaben erzählt und sie hat immer positiv reagiert. Also wurde aus der Idee Realität.

Ihre Großmutter ist zu dem Zeitpunkt 86 Jahre alt, sie lebt in einem Wohnheim und hat teilweise erhebliche Erinnerungslücken. Inwiefern kann sie wirklich an so einer Kanutour teilnehmen?

Wir haben uns natürlich viele Gedanken darüber gemacht, wie wir die Reise "Oma-gerecht" gestalten. Sie hatte beispielsweise einen gemütlichen Sitz in der Mitte des Kanus. Außerdem sind wir nie länger als vier oder fünf Stunden gefahren und wir haben das Paddeln übernommen. Sie hat ab und zu mal etwa 20 Schläge gemacht.

Eine alte Fraue sitzt am Frühstückstisch neben ihr ein junger Mann
Zu dritt paddeln Oma und Enkel von Pension zu Pension. Bild: Astrid Menzel

Und wie ließ sich mit den Demenzsymptomen wie der Vergesslichkeit umgehen?

Was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, ist, dass sie unter einer vaskulären Demenz litt. Vor allem das Kurzzeitgedächtnis war bei ihr stark betroffen und sie hat sich mit ihren Fragen immer wieder im Kreis gedreht. Wir haben diese also auch geduldig wiederholt beantwortet. Außerdem orientieren sich Demenzkranke stark an ihrer Umgebung. Als es heiß war und ich eine kurze Hose anhatte und sie eine lange, passte das für sie nicht zusammen. Ich hab mich dann umgezogen. Deshalb trugen beispielsweise auch mein Bruder und ich Schwimmwesten - damit sie auch eine trägt.

Auch die Orientierungslosigkeit und die Unfähigkeit, Zeiten einzuschätzen, war ein Hindernis. Sie konnte beispielsweise nicht beurteilen, wie lange sie schon in der Sonne saß. Da mussten wir dann aufpassen. Oder wir haben immer wiederholt, dass sie ihren Fuß in die Mitte des Bootes setzen soll, wenn sie einsteigt. Sie hatte ja kaum Erfahrung mit dem Kanufahren. Wenn man diese Sachen aber beachtet, ist das Wichtigste getan.

Das heißt, der Umgang mit ihr war auch eine Übungssache.

Ich bin kein Arzt, aber ich habe durch die Erfahrung mit meiner Oma im Umgang vor allem gesehen, dass es wichtig ist, ihr Unsicherheiten zu nehmen. Sie war zu Beginn oft unsicher, ob sie etwas kann oder nochmal nachfragen darf. Mit der Zeit hat sie auch gelernt, mehr auf ihren Instinkt zu hören und sich mehr Wissen zuzutrauen. Aus der Frage 'Wohin fahren wir?' wurde dann: 'Fahren wir nach Hohenhude?'. Sie hatte es eben schon irgendwie gelernt. Geholfen hat ihr sicher auch, dass sie meinem Bruder und mir vertraut hat.

Uns war immer wichtig: Wir wollen ihr Vertrauen nutzen, aber nicht missbrauchen. Das hat sie sicher auch gespürt.

Astrid Menzel, Bremer Filmemacherin

Gegen Ende des Films erzählen Sie davon, dass sie alles, was ihr im Reisetagebuch festgehalten habt, bereits wieder vergessen hat. Hat es sich trotzdem gelohnt?

Es ist verständlich, dass man sich fragt: 'Warum so etwas unternehmen, wenn es sofort wieder vergessen wird?' Ich bin aber froh, dass wir es getan haben. Es hatte trotzdem seine Auswirkungen. Pfleger haben uns beispielsweise rückgemeldet, dass sie besserer Laune war. Es diente auch als Motivation für andere Familienmitglieder und hat gezeigt, was man noch mit ihr machen kann. Man kennt es vielleicht selbst: Wenn man aus einem Urlaub kommt, fühlt man sich besser – nicht nur wegen der Erinnerungen, sondern weil es eben wohltuend ist. Dieses Gefühl hatte meine Oma auch.

Ein alter Mann und eine alte Frau sitzen in der Sonne
Durch die jahrelangen Filmaufnahmen beginnt die Doku bereits vor dem Tod des Opas. Bild: Astrid Menzel

Wie geht es Ihrer Großmutter heute?

Diese Frage stellen sich sicher viele, die den Film sehen, da sie ja noch relativ fit war gegen Ende. So ist es zuletzt leider nicht mehr gewesen. Die Kanutour war 2016. Ich habe mir viel Zeit zum Schneiden und Sortieren genommen, was sich dann auch gelohnt hat. In diesen Jahren hat sich der Zustand meiner Oma allerdings auch sehr verschlechtert. Zehn Tage vor der Weltpremiere der Dokumentation im Oktober 2022 ist sie gestorben. Sie kann den Film also nicht mehr sehen, aber hat noch bis zu seiner Fertigstellung gelebt.

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Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. Mai 2023, 19:30 Uhr