Antisemitismus in Bremen: "Sag niemandem, dass du Jude bist"
Antisemitismus in Bremen: "Sag niemandem, dass du Jude bist"
Antisemitismus ist ein wachsendes Problem – auch in Bremen. Wir haben jüdische Menschen gefragt, wie sicher sie sich noch in Deutschland fühlen.
Drohend ragen die Spitzen eines Metallzauns in den Abendhimmel, ein Schild informiert über Videoüberwachung. Vor der Synagoge parkt demonstrativ ein Polizeiwagen. Die Botschaft ist eindeutig: Die jüdische Gemeinde in Bremen legt großen Wert auf Sicherheit, ihre Mitglieder stehen unter Schutz. Nicht ohne Grund.
Angst vor Hass
"Viele jüdische Jugendliche oder Kinder bekommen von zuhause mit in die Schule gesagt: Pass auf, mit wem du über deine Religion sprichst", sagt Leon Klepikow, ein 23-jähriger jüdischer Bremer. "Oder noch härter: Sag' niemandem, dass du Jude bist oder Jüdin bist."
Lange hielt auch er seine jüdische Identität geheim, irgendwann habe er das aber nicht mehr ausgehalten. Heute engagiert sich der Kaufmann für Marketing-Kommunikation in der jüdischen Bildungsarbeit, geht offen mit seiner Religion um. Auch, wenn Sichtbarkeit gefährlich werden kann.
Ich wurde in einem Club in Bremen antisemitisch angegriffen. Ich stand in der Schlange für die Jacken und habe meine Davidsternkette nach außen gehabt. Und wurde dann von jemandem auf den Boden geschubst.
Leon Klepikow, jüdischer Bremer
In diesem Fall gingen Sicherheitskräfte dazwischen, erzählt er. Verletzt wurde er nicht. Aber es ist einer von vielen antisemitischen Vorfällen in der Region.
Anstieg antisemitischer Straftaten
Im vergangenen Jahr stieg die Zahl antisemitischer Straftaten im Land Bremen nach Angaben des Senats um zehn Prozent auf 78 Fälle. Niedersachsen meldete zuletzt so viele antisemitische Vorfälle wie noch nie. Konkreter: einen Anstieg von gut 60 Prozent zum Vorjahr, insgesamt 331 Fälle. Und: Viele Vorfälle kommen gar nicht erst zur Anzeige, Experten rechnen mit einer höheren Dunkelziffer.
![Bild: dpa | Vladimir Menck/Sulupress.de "Fuck Israel" steht an einer Hauswand](/bilder/antisemitismus-104~_v-2560x1440_c-1738757380070.jpg 2560w, /bilder/antisemitismus-104~_v-2240x1260_c-1738757380070.jpg 2240w, /bilder/antisemitismus-104~_v-1920x1080_c-1738757380070.jpg 1920w, /bilder/antisemitismus-104~_v-1600x900_c-1738757380070.jpg 1600w, /bilder/antisemitismus-104~_v-1280x720_c-1738757380070.jpg 1280w, /bilder/antisemitismus-104~_v-1120x630_c-1738757380070.jpg 1120w, /bilder/antisemitismus-104~_v-960x540_c-1738757380070.jpg 960w, /bilder/antisemitismus-104~_v-800x450_c-1738757380070.jpg 800w, /bilder/antisemitismus-104~_v-640x360_c-1738757380070.jpg 640w, /bilder/antisemitismus-104~_v-512x288_c-1738757380070.jpg 512w, /bilder/antisemitismus-104~_v-320x180_c-1738757380070.jpg 320w, /bilder/antisemitismus-104~_v-256x144_c-1738757380070.jpg 256w, /bilder/antisemitismus-104~_v-160x90_c-1738757380070.jpg 160w)
Wie erleben jüdische Menschen diesen Anstieg? Antisemitismus sei erst einmal nichts Neues, heißt es aus den jüdischen Gemeinden im Land Bremen. Neu sei aber die Intensität der Anfeindungen. Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Angriffs der Hamas auf Israel, habe der Antisemitismus ein neues Level erreicht.
Was bis vor ein paar Jahren noch nicht direkt ausgesprochen wurde, ist jetzt salonfähig, gesellschaftsfähig geworden.
Mircea Ionescu, Vorsitzender der Liberalen Menorah-Gemeinde
Der Raum des Sagbaren habe sich verschoben. Von einer "Hassatmosphäre in der Stadt" spricht Grigori Pantijelew, Vize-Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Bremen. Die Folge: Vandalismus, Relativierungen des Holocaust, teilweise auch körperliche Angriffe. Anfeindungen in Schulen und Hochschulen.
Zunehmende Unsicherheit und versteckte Identität
Viele jüdische Menschen fühlen sich zunehmend unsicher in Deutschland, auch Leon Klepikow. "Wir hinterfragen: Sollte ich meine Davidsternkette nach außen oder doch unter meinem Hoodie tragen? Und dann wägt man eben ab: Ist das eine sichere Umgebung, oder eher nicht?", erklärt er.
Man macht sich immer Gedanken, ob man als Jude identifiziert werden möchte oder nicht.
Leon Klepikow, jüdischer Bremer
Ganz offiziell lautet der Rat der jüdischen Gemeinden in Bremen, keine Symbole des jüdischen Glaubens sichtbar in der Öffentlichkeit zu tragen. Keine Kippa, keinen Davidstern. Ein Vorstand erzählt, Mitglieder seiner Gemeinde, die ihr Leben lang solche Symbole bei sich trugen, würden diese nun ablegen. Aus Angst vor Hass. Und: Sich als Teil der jüdischen Gemeinde zu zeigen, würden sich viele nicht mehr trauen.
Bröckelnde Demokratie und Rechtsruck
Und dann die anstehende Bundestagswahl, der Rechtsruck im Land. "Wenn man Holocaust-Überlebende wie Margot Friedländer hört, die sagt: So hat es damals auch angefangen – dann macht man sich schon echt Gedanken", sagt Leon Klepikow.
Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Juden habe einen Migrationshintergrund und sei auch deshalb von ausländerfeindlicher, rechter Politik betroffen. Eine bröckelnde Demokratie kann jüdischen Gemeinden kaum noch Sicherheit bieten, so die Sorge.
![Bild: dpa | Wolfgang Kumm Antisemitische Schmiererei an einem jüdischen Kindergarten](/bilder/antisemitismus-106~_v-2560x1440_c-1738757201311.jpg 2560w, /bilder/antisemitismus-106~_v-2240x1260_c-1738757201311.jpg 2240w, /bilder/antisemitismus-106~_v-1920x1080_c-1738757201311.jpg 1920w, /bilder/antisemitismus-106~_v-1600x900_c-1738757201311.jpg 1600w, /bilder/antisemitismus-106~_v-1280x720_c-1738757201311.jpg 1280w, /bilder/antisemitismus-106~_v-1120x630_c-1738757201311.jpg 1120w, /bilder/antisemitismus-106~_v-960x540_c-1738757201311.jpg 960w, /bilder/antisemitismus-106~_v-800x450_c-1738757201311.jpg 800w, /bilder/antisemitismus-106~_v-640x360_c-1738757201311.jpg 640w, /bilder/antisemitismus-106~_v-512x288_c-1738757201311.jpg 512w, /bilder/antisemitismus-106~_v-320x180_c-1738757201311.jpg 320w, /bilder/antisemitismus-106~_v-256x144_c-1738757201311.jpg 256w, /bilder/antisemitismus-106~_v-160x90_c-1738757201311.jpg 160w)
"Der Großteil meiner Freunde und Bekannten – ich will nicht sagen, sitzt auf gepackten Koffern – aber macht sich schon Gedanken, wo es hingehen könnte, wenn es noch brenzliger wird," sagt Leon Klepikow. Einige hätten sich jetzt schon entschlossen zu gehen, hätten kein Vertrauen in den deutschen Staat mehr. Ihm selber macht vor allem die politische Ungewissheit zu schaffen. Nicht zu wissen, was in einem Monat sein könnte, oder in einem Jahr.
Noch aber möchte er bleiben. Um jüdisches Leben weiter sichtbar machen. Denn Austausch und Dialog, so seine Überzeugung, helfen, Gemeinsamkeiten zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen zu finden. Damit beide Seiten sich gegenseitig besser verstehen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 7. Februar 2025, 8:10 Uhr