Wieso es obdachlose Frauen in Bremen besonders schwer haben
Hilfsorganisationen werfen Bremen eine "Politik der Vertreibung" am Hauptbahnhof vor. Damit schade die Stadt insbesondere hilfsbedürftigen Frauen. Sie fordern ein Umdenken.
Obdachlosen drohe in der Kälte der Tod. Sie bräuchten unsere Hilfe, sagt Stephan Klimm, Pastor der Evangelischen Kirchengemeinde Horn, mit Blick auf den Winter. Klimm ist einer der Initiatoren eines Netzwerks aus Bremer Hilfsorganisationen, die sich um obdachlose und wohnungslose Menschen kümmern.
Wie bei einem Treffen des Netzwerks am Mittwoch deutlich wurde, sorgen sich viele Hilfsorganisationen derzeit besonders um Frauen, die in Bremen auf der Straße leben müssen. Auch, weil diese Frauen selbst für Menschen, die ihnen helfen wollen, immer schwieriger zu finden seien.
Die Schuld daran trägt aus Sicht vieler Hilfsorganisationen unter anderem der Bremer Senat. Denn Bremen betreibe eine "Politik der Vertreibung" am Hauptbahnhof, sagt etwa Karin Stelljes vom Kältebus der Johanniter.
Kältebus zieht um
Bis März dieses Jahres, erklärt sie, habe die Politik geduldet, dass die Johanniter und andere Hilfsorganisationen auf dem Bahnhofsvorplatz gestanden und Speisen an Obdachlose ausgegeben hätten. Doch diese Zeiten seien vorbei.
Vorgeblich, um die Kriminalität am Bahnhof in den Griff zu bekommen, seien Obdachlose dort inzwischen ebenso wenig erwünscht wie die Hilfsorganisationen, die mit ihren Angeboten Obdachlose anziehen. Daher stehe der Kältebus der Johanniter nicht mehr am Hauptbahnhof, sondern in der Friedrich-Rauers-Straße und am Hohentorspark in der Neustadt.
Der Schutz der Gruppe
Die Folgen dieses Umzugs seien fatal, so Stelljes. Hätten die Johanniter am Hauptbahnhof eine große Bandbreite armer Menschen erreicht, darunter zu etwa 30 Prozent Frauen, so treffe man an den neuen Standorten überwiegend Drogensüchtige an. Vor allem aber: kaum noch Frauen.
"Sie trauen sich dort nicht hin", sagt sie. Der Hauptbahnhof dagegen mit seiner Beleuchtung und den vielen Videokameras habe hilfsbedürftigen Frauen ein wenig Schutz geboten. Doch inzwischen würden Obdachlose dort von der Polizei und anderen Ordnungskräften systematisch vertrieben.
Folgen für Frauen besonders schwer
Das sagt auch Charlotte Schmitz, Vorsitzende des Vereins LieLa, der sich für wohnungs- und obdachlose Frauen einsetzt. "Durch diese Vertreibung werden zugleich die Bezugsgruppen Obdachloser auseinander getrieben", fügt sie hinzu. Die Folgen für die Frauen in diesen Gruppen wögen besonders schwer. Denn sie seien noch stärker als Männer auf den Schutz der Gruppe angewiesen: "Wir gehen davon aus, dass jede Frau, die auf der Straße lebt, sexualisierte Gewalt erfährt", so Schmitz.
Auch seien einzelne obdachlose Frauen für Streetworker viel schwerer zu finden als solche, die sich in Gruppen aus Obdachlosen bewegten. Wie Stelljes fordert auch Schmitz ein "Ende der Vertreibungspolitik in Bremen". Schließlich hätten Obdachlose das gleiche Recht, sich auf öffentlichen Plätzen frei zu bewegen wie alle anderen Menschen auch.
Stadt begründet Vorgehen mit Sicherheitsbedenken
Karen Stroink aus dem Pressereferat des Innenressorts hält dem auf Anfrage von buten un binnen "das subjektive Sicherheitsgefühl" der vielen Passantinnen und Passanten am Hauptbahnhof entgegen. Menschen in prekären Lebenslagen, die öffentlich Alkohol und Drogen konsumierten sowie bettelten oder lagerten, wirkten sich negativ auf das Sicherheitsgefühl vieler Passanten aus.
Daher habe man den Nelson-Mandela-Park auf der Rückseite des Bahnhofs als Aufenthaltsort für Alkoholiker geschaffen sowie die Friedrich-Rauers-Straße für die Drogenszene. Es gehöre nicht nur zu den Aufgaben der Stadt, für Suchtkranke einzustehen, sondern auch die Sicherheit aller zu garantieren.
"Unsere Gäste sind friedlich"
Aus Sicht von Schmitz und Stelljes tut das Innenressort mit dieser Argumentation vielen wohnungslosen Menschen in Bremen unrecht. "Unsere Gäste sind in aller Regel friedlich", sagt Stelljes etwa für den Kältebus. Diejenigen, die sich dort nicht gut benähmen, seien in der Regel nicht der Obdachlosenszene zuzurechnen. Auch Schmitz betont: "Dass Wohnungslose grundsätzlich gefährlich sind – das ist ein ganz falsches, medial geschürtes Bild."
Statt Menschen aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben, müsse Bremen mehr Lösungen durch Hilfe anbieten. "Housing first muss flächendeckend ausgebaut werden", nennt Schmitz ein Beispiel für eine solche Hilfeleistung, die ihr besonders wichtig erscheint.
Ähnlich äußert sich Stelljes. Sie fordert insbesondere mehr bezahlbare Wohnungen in Bremen: "Günstiger Wohnraum ist vielleicht das Allerwichtigste, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen", sagt sie dazu. Mit günstigem Wohnraum könne man sowohl arme Männer als auch Frauen von der Straße holen.
Ich kenne niemanden, der freiwillig auf der Straße lebt.
Karin Stelljes, Johanniter
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 8. Dezember, 19.30 Uhr